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Musterbrecher. Dominik Hammer
Читать онлайн.Название Musterbrecher
Год выпуска 0
isbn 9783867742979
Автор произведения Dominik Hammer
Жанр Зарубежная прикладная и научно-популярная литература
Издательство Bookwire
Sara Ilić ist eine ehemalige Studentin von uns, mit der wir immer wieder gerne zusammenarbeiten, denn sie bringt in unser Team die Sichtweise der »Generation Y« ein und stellt damit unsere eigenen Muster auf die Probe. Sie hat uns zu einem Treffen mit einem echten »Digital-Nomaden« eingeladen. Wir haben nur eine vage Vorstellung von deren Art zu leben. Die vorbereitende Recherche macht deutlich, dass Digital-Nomaden mit leichtem Gepäck um die ganze Welt reisen und dabei an digitalen Projekten mitarbeiten. Besonders beliebt sind bei ihnen die Länder, in denen es eine schnelle, stabile und günstige Internetverbindung gibt und die einen hohen Freizeitwert haben. An formalen Arbeitszeitregelungen, einem festen Gehalt, einem eigenen Büro oder gar an Statussymbolen wie einem repräsentativen Firmenwagen sind die digitalen Nomaden nicht interessiert.
Genau das ist das Leben, das der Mittdreißiger Stefan Klumpp liebt. »Ich war schon immer fasziniert von fremden Kulturen und Menschen aus anderen Ländern«, sagt er uns bei einer Tasse Kaffee. »Ich komme aus einem kleinen Dorf im Schwarzwald, meine Eltern hatten ein Autohaus. Weil ich technisch interessiert war, habe ich eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker gemacht, bevor ich dann Elektrotechnik studiert habe. Eigentlich gute Voraussetzungen, um im Schwarzwald zu bleiben und dort ein abgesichertes Leben zu führen. Doch dann hätte ich die Welt nicht kennengelernt.« Wir erfahren, dass Klumpp 2007 – er arbeitete gerade im Softwareengineering in der Fahrzeugentwicklung – im Fernsehen einen Bericht über die Entwicklung selbstfahrender Autos gesehen hatte. Er schrieb das in der Reportage gezeigte Team an und wurde nach Stanford eingeladen, wo gerade an einem Fahrzeug für die DARPA Urban Challenge 2007, ein Rennen für autonome Fahrzeuge, gebaut wurde. Die Leitung hatte Sebastian Thrun, der bekannte Robotik-Spezialist, ehemaliger Vizepräsident von Google und Mitgründer von Udacity, der erfolgreichen Online-Akademie. Die Länder, in denen Klumpp seitdem irgendwo mitgearbeitet hat, lassen sich kaum mehr alle aufzählen: Schottland, Deutschland, Bali, Südafrika, Spanien …, ohne Frage, er kennt den Globus.
2012 hat er dann mit einem Partner die Firma Mobile Jazz gegründet, die mittlerweile 20 feste und einige freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat. Den Angestellten steht es frei, von wo aus in der Welt sie mitarbeiten wollen. Das Unternehmen entwickelt digitale Lösungen für so namhafte Kunden wie Google oder Airbus und Branchen wie die der Militär- und der Medizintechnik, wo es um Zuverlässigkeit und Qualität geht.
Wie gelingt es, dass trotz dieser immensen Freiheit, zu arbeiten, wo und wann man will, so sensible und erfolgreiche Produkte entstehen können? Stefan Klumpp erklärt es uns: »Zuerst muss man viel Disziplin haben, denn es gibt auf Bali am Strand jede Menge Ablenkungen. Wir müssen also wirklich alle selbstverantwortlich arbeiten. Es geht nicht, darauf zu warten, dass der Chef sagt, was als Nächstes zu tun ist. Darum brauchen die Neuen oft ein paar Monate, bis sie diese besondere Arbeitsweise verstehen. Das klappt nicht bei allen. Wenn Menschen nicht zu unserer Art des Arbeitens passen, dann müssen wir uns wieder von ihnen trennen. Leider gibt es immer wieder sehr naive Vorstellungen von einem Leben als Digital-Nomade.« Auf unser Nachfragen, wie hoch denn die Trefferquote im Einstellungsprozess neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei, denkt Stefan Klumpp kurz nach und sagt: »Ich würde schätzen, so circa 90 Prozent.«
Wichtig sei auch eine überschaubare Unternehmensgröße. Die liege bei etwa 20 Mitarbeitern. In größeren Gruppen entstünden schnell Misstrauen und Ignoranz. Es werde wöchentlich zu einer festen Uhrzeit geskypt, egal wo die Leute sich auf dem Globus gerade aufhielten – Mobile Jazz Weekly heiße dieser Termin. Der diene dem Austausch, um alle in allen Projekten auf dem neuesten Stand zu halten. »Es geht mir nicht um klassisches Größenwachstum. Und ich sehe mich auch nicht als Unternehmer. Bei uns geht es vielmehr darum, dass jede und jeder persönlich in den Feldern wachsen kann, die sie oder ihn interessieren. Ich liebe Kitesurfen, Wandern und Skifahren, also suche ich mir meine Arbeitsorte entsprechend aus.« Und dann kommt Stefan Klumpp doch noch auf einen Punkt zu sprechen, der so gar nicht einem typischen Digital-Nomaden zu entsprechen scheint. »Da wir weiterhin ein Unternehmen sind, in dem Leute etwas zusammen machen, müssen wir auch wirklich und analog zusammen etwas machen, wodurch eine starke Bindung erzeugt wird. Mehrmals im Jahr arbeiten und leben wir alle für eine oder mehrere Wochen an einem Ort zusammen. Letztes Mal hatten wir ein Haus in Thailand gemietet. Oder wir treffen uns im Winter auch mal eine Woche zum Skifahren in den Bergen. Es wird dann viel zusammen gearbeitet, wer will, kann gemeinsam Sport machen, und manchmal wird auch miteinander gefeiert. So entstehen Freundschaften, und die Identifikation mit der Firma wird gefestigt. Ein Event pro Jahr ist für alle verpflichtend. Bei diesem Anlass ist es dann meine Aufgabe, die Firmenkultur zu erklären und nach Möglichkeiten zu suchen, das Team zu entwickeln.«
Das Leben der Digital-Nomaden scheint uns von starken Ambivalenzen geprägt zu sein. Auf der einen Seite wollen sie die analoge Welt bereisen, können das aber nur, weil die digitale Welt ihnen die Möglichkeit eröffnet. Einerseits leben sie an Orten, an denen klassische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Urlaub machen, andererseits müssen sie sich dem Reiz dieser Orte immer wieder entziehen; denn es gilt, Projekte durchzuziehen und Kunden mit hohem Qualitätsanspruch zufriedenzustellen. Und obwohl man die meiste Zeit im Jahr nur »remote« zusammenarbeitet, ist es zwingend notwendig, in einen ganz engen persönlichen Kontakt zu kommen, der den an standortgebundenen Arbeitsplätzen bei Weitem übersteigt.
Durch das Gespräch müssen wir unser stereotypes Bild von einem IT-Unternehmen revidieren, doch Stefan Klumpp »beruhigt« uns beim Abschied: »Tief drinnen sind wir Mega-Nerds!«
Auch wenn wir das Arbeitsmodell eines Digital-Nomaden sehr interessant finden und viele positive Ansätze darin sehen, bleiben viele Fragen offen: Funktioniert das auch, wenn man schulpflichtige Kinder hat? Wie und wo ist man sozial abgesichert? Können wirklich Freundschaften entstehen, wenn man zwei Wochen pro Jahr im selben Haus zusammenarbeitet? – Was wir aber von Stefan Klumpp und der Zusammenarbeit bei Mobile Jazz gelernt haben, ist Folgendes: Damit Teams funktionieren können, muss es ihnen möglich sein, sich weitgehend selbst zu organisieren und ihre eigenen Spielregeln zu entwickeln. Man benötigt eine Basis, auf der man aufbauen kann. Nur dann haben unterschiedlichste Charaktere – vom stillen Computerfreak bis zum extrovertierten Verkäufer – eine Chance, in Abstimmung mit den anderen ihre Rolle im Team zu finden. Dazu gehört dann allerdings auch die Möglichkeit, sich zeitweise aus dem Team auszuklinken.
Bereits in den 1990er-Jahren hat der Psychologe Kevin Dunbar einen interessanten Versuch gestartet, in dem er in vier führenden Instituten für Molekularbiologie Kameras aufstellte, um die Wissenschaftler bei ihren Arbeitsprozessen zu beobachten. Dabei stellte er fest, dass es höchst selten zu »Heureka-Momenten« kam, in denen sie eine wichtige Entdeckung machten. Die Ideen der Wissenschaftler entsprangen eben nicht der individuellen Beobachtung und Untersuchung am Mikroskop, sondern ergaben sich in der vertrauten Umgebung der Teambesprechung, in der man sich gegenseitig half, ein Problem aus unterschiedlichen Perspektiven zu sehen.36 Hier zeigt sich der Vorteil sinnvoll geplanter Teamarbeit.
Es ist also nicht zwingend das Individuum, das eine Antwort auf die fehlende Kreativität der Großgruppe liefert, sondern die vertraute und selbst organisierte Gruppe.
Der Psychiater, Familientherapeut und Organisationsforscher Fritz B. Simon zeigt auf, dass Großgruppen psychoseähnliche Effekte bewirken. »Grenzen des Individuums scheinen sich aufzulösen, seine Orientierung geht verloren, die Komplexität steigt«, die Folge ist die Zuflucht in die Kleingruppe.37 Ein Phänomen, das man erleben kann, wenn man allein an einer Großveranstaltung teilnimmt. Zu Beginn oder in den Pausen fühlt man sich unwohl, bis man auf Bekannte trifft oder den Blick auf das Bühnengeschehen richtet und dadurch die Großgruppe sich in »einer Art Zweipersonenkommunikation zwischen einem und wenigen Protagonisten« auflöst.38
Bei Formaten wie Open-Space-Veranstaltungen oder Bar Camps sorgt ein hoher formaler Organisationsgrad für eine gewisse Rahmung. Durch die Festlegung von Zeit, Raum, Teilnehmerzahl und Moderatoren wird die Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht verloren fühlen. Kreativität ist dann keine Folge der »großen