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Reis am Baum – und es wird ein gutes Reis sein.«

      An diese Worte dachte Philipp Hadebrecht, als das Vermächtnis seines Sohnes an ihn jetzt holdselig dastand. Gebe Gott, daß das Schicksal dieses zarte Reis nicht vom Stamm der Hadebrechts abschlüge!

      Fast wäre es schon so weit gewesen, daß man dieses zarte Reis auf einen fremden Stamm gepfropft hätte. Aber noch war dieses unerbittliche Schicksal an denen im Hadebrecht Haus vorübergegangen.

      »Laß mich, Tante Philchen!« wehrte Eike, als diese an den Flügel treten wollte, um das Geigenspiel zu begleiten. »Was die Geige des Meisters zu sagen hat, werde auch ich begreifen.«

      »Na, wenn man…«, betrachtete Philchen ihren schneidigen Neffen skeptisch. »Dazu gehört viel Herz und viel Gefühl.«

      »Wer sagt, daß ich beides nicht habe?«

      »Deine Gelassenheit, mein Sohn.«

      Da lachte Eike Hadebrecht so frei und froh, wie er schon lange nicht mehr gelacht hatte. Er nahm am Flügel Platz und präludierte so lange, bis eine bekannte Melodie hörbar wurde, die Silje auf der Geige sofort aufgriff.

      Es war ein Zusammenklang der Instrumente in seliger Freude, in Lust und Schmerz, wie es der fremdländische Prinz in Lehars unsterblicher Operette »Das Land des Lächelns« empfand:

      Dein ist mein ganzes Herz –

      wo du nicht bist, kann ich nicht sein…

      Wie eine Offenbarung klang es, wie ein Bekenntnis voll süßer Schwere, dieses flehende: Wo du nicht bist, kann ich nicht sein.

      Das war schon oft gesagt von Dichtern, schon oft empfunden von Herz zu Herz. Aber es blieb immer neu, das beschwörende: Wo du nicht bist, kann ich nicht sein. Und wird es bleiben, solange die Welt atmet, solange sehnsüchtige Menschen darauf leben.

      Dann wich das Klavierspiel von der Melodie ab, erging sich in Variationen, bis eine andere Weise aufklang, die auch der Geigerin wohlbekannt war. Sie erzählte von dem schönen Spielmann, der am Waldessaum schlief und dem sich im Traum drei wunderschöne Mädchen vorstellten:

      »Der Glaube und die Liebe,

      die Hoffnung heißen wir,

      wen du von uns erwähltest

      zieht in dein Haus mit dir.«

      Der Spielmann ward verlegen

      und sagt: »Ich hab kein Haus,

      ihr alle drei sollt folgen

      mir in die Welt hinaus.«

      »Nur eine kann dir folgen,

      nur eine, die wird dein

      nur eine darfst du wählen,

      nur eine soll es sein.«

      »Darf ich nur eine wählen,

      und soll es nur eine sein,

      dann wähl ich mir die Liebe,

      die sei fortan die Mein’.«

      Da sprachen die drei Mädchen:

      »Du trafst die rechte Wahl,

      die Liebe ist im Leben

      das höchste Glück zumal.

      Wir andern aber beide,

      wir wollen auch mit dir gehn,

      denn ohne Glaube und Hoffnung,

      kann die Liebe nicht bestehn…«

      Schon längst hatte die herzinnige Stimme der Geigerin eingesetzt, gleich zu Anfang des Liedes. Wie träumend sprach der jungrote Mund, was ein Dichter einst empfand, dessen Worte Ewigkeitswert behalten sollten. Denn Liebe ist wohl zuerst allein schon beglückend genug, doch wenn sie Bestand haben soll, dürfen Glaube und Hoffnung dabei nicht fehlen.

      Silje Berledes war noch nie so schön gewesen, wie jetzt in ihrer Verträumtheit. Der Mann am Flügel konnte keinen Blick lassen von der zaubersüßen Gestalt. Um seinen Mund lag jetzt das Lächeln, das Silje so sehr an ihm liebte, und in seinen Augen stand ein glückhaftes Leuchten.

      Die Zuhörer wagten kaum, sich zu rühren, fühlten sich wie verzaubert durch eine fremde, heilige Macht.

      Man pflegt in solchen Augenblicken zu sagen: Gott und seine Engelein sind uns nah. Solche Augenblicke gibt es nicht oft im Menschenleben, aber sie gehen den Menschenkindern nach. Bleiben ihnen als traute, liebwerte Erinnerung. –

      Kein Applaus setzte ein, als das süßselige Spiel verklang, Und doch schienen tausend Stimmen zu raunen von einem kommenden Glück, an dem alle Bewohner des Hadebrecht-Hauses teilhaben durften.

      Man wagte jetzt kaum, laut zu sprechen, um es ja nicht zu verscheuchen, dieses doch so äußerst empfindsame Glück, das mißtrauisch und zaghaft nähertrat. Für die drei älteren Menschen steckte es mit behutsamen Fingern das helle Licht der Freude an – für die beiden jungen jedoch das strahlende der Glückseligkeit.

      *

      Am Silvestermorgen geschah dasselbe wie vor einem Jahr. Philchen weckte das Geburtstagskind eine Stunde früher als gewöhnlich. Sah schmunzelnd mit an, wie die verschlafenen Augen blinzelten, wie der Mund sich zu einem herzhaften Gähnen öffnete, wie der jugendschöne Mädchenkörper sich dehnte und streckte.

      »Das alles habe ich schon einmal erlebt«, meinte Philchen trocken. »Nur, daß du damals ein Jahr jünger warst, du kleine Schlafmütze.«

      »Hach, Geburtstag hab ich heute!« machte Silje einen Freudensprung aus dem Bett. »Sag, Philelinchen, was wird er mir bringen?«

      »Wahrscheinlich niedliche Fixfaxereien.«

      »Und weiter?«

      »Mädchen, ich bin keine Hellseherin.«

      »Aber ein Scheusal – und zwar ein sehr geliebtes!« lachte das frischfröhliche Menschenkind die Tonleiter auf und nieder. Dann verschwand es im Badezimmer, rückte bald darauf blankgeputzt in Philchens Wohngemach an – und machte ein enttäuschtes Gesicht.

      »Philinchen, es sieht ja hier aus wie immer!«

      »Na, was denn sonst, du kleines Schaf? Meinst du etwa, daß du immer noch mein alleiniges Eigentum bist wie vor einem Jahr? Man macht mir dieses Besitzerrecht schon längst streitig. Komm nach unten, da findest du heute deinen Geburtstags­tisch.«

      Und er war reich, wie Silje bald darauf feststellen konnte. Für die entzückenden »Fixfaxereien« zeichneten Ottilie und Philine, doch für das Sparkassenbuch mußte der Vormund geradestehen.

      Die darin vermerkte Summe war so hoch, daß Silje sie zuerst nur erschrocken anstarrte – und dann jedoch äußerst vehement zu protestieren versuchte.

      »Onkel Philipp, das geht doch nicht…«

      »Warum nicht? Ich werde meinem Mündel doch wohl noch ein Geburtstagsgeschenk machen können!«

      »Dann streich bitte zwei Nullen.«

      »Fällt mir gar nicht ein. Noch etwas?«

      »Nein, ich füge mich schon«, lachte Silje.

      Und dann blieb ihr Blick an einem Strauß haften, der gleich einem flammenden Liebesgruß alles andere überstrahlte. Rote Rosen waren es, zwanzig an der Zahl, die in einer kostbaren Vase prunkten. Und ebenso leuchtend rot waren die Wangen des Geburtstagskindes, das den Blick nicht zu heben wagte. Es bot einen holden Anblick, der den Menschen, die es umstanden, das Herz aufgehen ließ, ganz groß und weit.

      Und was kam da angetrippelt? – Ute Hadebrecht, in der ganzen Allerliebstheit ihrer drei Jahre. Das mollige Körperchen steckte in einem niedlichen Strickkleid, die dicken Patschen hielten mehr liebevoll als vorsichtig einen Strauß Christrosen, der nun dem Geburtstagskind strahlend gereicht wurde.

      »Da, nimm, Tante Sil!« plauderte das rote Mündchen, das sich immer noch nicht zu schwierigen Worten formen wollte und es daher nonchalant bei

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