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dir, daß du mich hierher schicktest – und somit hinein in mein Glück!«

      »Ja, dafür wollen wir ihm alle danken, mein Kind«, sprach Philipp in die fast andächtige Stille hinein, sich dabei verstohlen die Augen wischend. »Und dir danken wir, daß du immer bei uns bleiben willst.«

      »Wie könnte das wohl auch anders sein?« entgegnete sie einfach. »Von euch gehen, hieße für mich, mir das Herz aus der Brust reißen. Und was ich euch jetzt sage, gilt jedem einzelnen: Wo du nicht bist, kann ich nicht sein.«

Aber das Herz irrte nicht

      Es war im November und das passende Wetter dazu – nämlich eines, wo der Bauer nicht einmal seinen Hund hinausjagt, wie es im Volksmund heißt. Zwar regnete es nicht Bindfäden vom grauverhangenen Himmel, es nieselte nur; aber gerade dieses haarfeine Nieseln hat es bekanntlich in sich, es dringt auf die Dauer durch den dichtesten Wettermantel.

      Also drang es auch durch den des Mannes, der die Endstation der Straßenbahn verließ und raschen Schrittes eine nur mäßig beleuchtete Straße entlangging, möglichst die blanken Pfützen vermeidend, die sich auf dem ausgetretenen Pflaster gebildet hatten. Trotzdem wurden seine Füße naß, die Kleider unter dem Mantel unangenehm feucht.

      Nachdem der Mann wohl zehn Minuten gegangen war, hörte nicht nur das Pflaster auf, sondern auch die karge Straßenbeleuchtung. Der Weg, den er rechts einschlug, war sehr dunkel und schlecht gehalten, obwohl zu beiden Seiten Häuser standen. Am letzten Haus verhielt der Mann den raschen Schritt, öffnete eine Pforte, die im Staketenzaun eingelassen war, überquerte den kurzen Fliesengang und stand nun vor dem Haus, in dem er wohnte. Durch die Fenster im Parterre schimmerte Licht mit traulichem Schein. Dahinter klang gedämpfte Musik, flatterte Lachen zu dem Mann hin, der mit den fröhlichen Menschen nichts gemein hatte; denn seine Wohnung befand sich in der ersten Etage, und hinter seinen Fenstern war es dunkel. Ein Zeichen, daß er nicht erwartet wurde, der da durchnäßt, müde und hungrig von einer Reise zurückkehrte.

      Zwar hatte er seine Ankunft nicht genau auf die Stunde angegeben, und dennoch …

      Mit einem Gefühl der Enttäuschung schloß er die Haustür auf, knipste Licht an, durchquerte den kleinen Flur und stieg langsam die Treppe hinauf.

      Rosalia Skörsen konnte man auf dem Emailleschild lesen, das an der Etagentür angebracht war. Darunter hielten zwei Reißstifte eine Visitenkarte mit dem Namen: Doktor Ralf Skörsen.

      Der Mann schloß nun auch diese Tür auf und stand jetzt in einem Korridor, in dem gerade nur eine Flurgarderobe Platz fand, an die er sorglich den nassen Mantel und den Hut hängte, bevor er nachsah, ob Mutter und Schwester zu dieser frühen Abendstunde etwa schon zu Bett gegangen wären. Doch das Schlafzimmer war leer. Ein resignierter Zug grub sich um den hartgeschnittenen Mund des jungen Arztes, als er in die Küche ging, die kalt und unaufgeräumt war. Wahrscheinlich waren die beiden gleich nach Mittag fortgegangen, da Geschirr und Kochtöpfe ungesäubert herumstanden.

      Aber dafür hatte der nachsichtige Sohn und Bruder eine Entschuldigung. Nun ja, wenn man ohne Hilfe den Haushalt versehen mußte, konnte so etwas schon mal vorkommen.

      Also setzte er den Wasserkessel auf den elektrischen Herd und suchte sich etwas zu essen. Was er fand, war Brot, Butter, Wurst. Und dabei lechzte der hungrige und durchfrorene Mann aber nach einem warmen Essen und einem heißen Trunk, den er sich allerdings mit einer Tasse Tee verschaffen konnte. Er trank sie während des Abwaschens, aß einige belegte Schnitten dazu und verließ die Küche erst, als sie wieder sauber war.

      Im Wohnzimmer, wo der Ofen nicht mehr brannte, war es auch nicht gerade mollig, aber immerhin wärmer als in der Küche. Ohne Licht zu machen, ließ er sich in einen Sessel sinken, steckte seine zweitletzte Zigarette in Brand und dachte an die Vergangenheit.

      Die war sorglos gewesen, bis der Vater, der die Stellung eines Regierungsrats einnahm, eine Frau kennenlernte, die den alternden Mann von seinem bisher korrekten Lebensweg abirren ließ. Und da solche Frauen ja immer viel Geld kosten, ließ der blindverliebte Narr sich zu etwas hinreißen, was er im normalen Zustand nie getan hätte: Er begann zu spielen. Und wie das bei einem so gefährlichen Wagnis wohl öfter vorkommt, war ihm zuerst Fortuna hold, bis – ja, bis sie sich hohnlachend von ihm abwandte. Er verlor an einem Abend eine Summe, die ihm nicht zur Verfügung stand. Nun wandte sich noch jemand von ihm ab: Die Frau, die ihn ruinierte. Als nichts mehr von dem närrischen Liebhaber zu holen war, ließ sie ihn kaltlächelnd im Stich und ging mit einem anderen auf und davon.

      Und der verlassene Mann? Er konnte mit Schiller sagen: Ich habe ein gewagtes Spiel gespielt. Aber da die meisten Menschen die Schuld nie bei sich, sondern bei anderen zu suchen pflegen, so geschah es auch hier. Schuld hatte seine Frau, jawohl! Wäre sie mit ihm in Urlaub gefahren, so hätte er zu einer Liebelei gar keine Gelegenheit gehabt!

      Aber nein, sie wollte, wie gewöhnlich in den Ferien, an die See, die er so gar nicht vertrug. Jedesmal holte er sich in der rauhen Luft eine Erkältung, die er dann nur schwer wieder loswurde. Außerdem wollte er auch einmal in ein mondänes Bad.

      Als seine Frau ihm klarmachte, daß ihr zurückgelegtes Urlaubsgeld für Extravaganzen nicht ausreichte, erklärte er kurz: »Anka geben wir zu Bekannten aufs Land, wo sie den Ferienaufenthalt umsonst hat, und Ralf braucht uns nicht ewig am Rock zu hängen. Der soll zusehen, daß er uns nach dem teuren Studium endlich von der Tasche kommt, indem er sich um einen Posten als Assistenzarzt bemüht.«

      »Du bist ja der reinste Rabenvater!« geriet die Gattin nun auch in Rage.

      Es fielen böse Worte, da sie beide hitzige, rechthaberische Naturen waren. Also gab keiner nach, und man fuhr getrennt in Urlaub: Die Mutter mit ihren Kindern an die See, der Vater in ein mondänes Bad. Und damit begann ein Elend, das der Mann zwar allein verursachte, dessen Ursache er jedoch seiner Frau zuschob. Rücksichtslos eröffnete er ihr, als man wieder zu Hause war, was sich ereignet hatte. Der Krach war da, eine bis dahin ganz gute Ehe bekam einen gehörigen Knacks, aber die Spielschulden blieben.

      In seiner Bedrängnis ging der Mann in Gedanken sämtliche Freunde und Bekannten durch – bis ihm ein Studienfreund einfiel, der ihm als Studenten in seiner Gutmütigkeit so manches liebe Mal aus der Patsche geholfen hatte. Vielleicht würde er es jetzt wieder tun. Und er tat es. Allerdings nicht um Skörsens willen – mit dem hatte dieser Mann von hohen Ehrbegriffen kein Erbarmen, sondern weil ihn die Familie dauerte, die dieser skrupellose Spieler und Ehebrecher mit sich in Schande und Not ziehen würde, falls er die Spielschulden nicht zahlte.

      Also bekam er das Geld, aber erst, nachdem es notariell gesichert war; denn sein Gläubiger, Privatdozent Doktor Ingwart, war ein vorsichtiger Mensch. Skörsen mußte sich verpflichten, monatlich die Schuld, einschließlich Zinsen, mit einer Summe abzudecken, die die Hälfte seines Gehalts ausmachte. Nach seinem Ableben hatte die Witwe die Zahlungen fortzusetzen, nach deren Ableben wiederum ihre Kinder; und so fort, bis die Schuld abgedeckt war; was immerhin zehn Jahre dauern würde. Sollte jedoch Ingwart inzwischen sterben, so erhielten seine Erben die Raten.

      Nun, auf das alles ging der bedrängte Mann ohne weiteres ein. Was er damit seiner Familie antat, war ihm gleichgültig. Hauptsache, er konnte die Spielschulden bezahlen und somit in den Augen seiner Mitmenschen der »ehrenwerte« Bürger bleiben – was ihm tatsächlich auch gelang, selbst über seinen Tod hinaus, der schon einige Monate danach erfolgte.

      Herzschlag hieß es allgemein. Doch sein Sohn, der ja Arzt war, wußte es besser. Er wußte, der Vater hatte eine zu starke Dosis von Schlaftabletten genommen, die ihm der Arzt verschrieb. Diesem jedoch lag gar nichts daran, das Geschehnis an die große Glocke zu hängen.

      Auch Doktor Skörsen, der an einem auswärtigen Krankenhaus angestellt war, lag nichts daran, und so fiel denn kein Schatten auf das Andenken des Toten. Er, der sich so feige aus dem Leben stahl, weil er die jetzige »Misere« nicht länger ertragen konnte, bekam ein ehrenwertes Begräbnis – und manch einer beneidete die Witwe um die gute Pension. Daß sie jedoch die Hälfte davon abgeben mußte, um die Schuld des Gatten noch über das Grab hinaus zu sühnen, das ahnte man allerdings

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