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war der Grübler in seinen unerquicklichen Gedanken gekommen, als die Tür geöffnet wurde. Das Licht wurde angeknipst, und die Mutter riß überrascht die Augen auf.

      »Junge, du bist schon hier? Ich habe dich frühestens morgen erwartet, sonst hätte ich mich gewiß nicht aus dem Hause gerührt. Aber warum sitzt du im Dunkeln?«

      »Weil das die Augen schont«, gab er scherzend zurück, während er die Mutter mit einem Handkuß begrüßte und die Wange der Schwester tätschelte.

      »Einen netten Bummel gemacht, Ankalein?«

      »Er war nicht nur nett, sondern zauberhaft«, schwärmte das Mädchen. »Zuerst waren wir im Café, anschließend im Kino. Da spielte ein Mann, einfach gottvoll! Nicht wahr, Mama?«

      »Na ja«, dämpfte diese den Enthusiasmus der Siebzehnjährigen, weil sie augenblicklich dafür kein Interesse hatte. Denn sie brannte förmlich vor Neugierde, zu erfahren, was den Sohn so lange bei Frau Ingwart festgehalten hatte.

      Aber soweit konnte sie sich denn doch beherrschen, ihn nicht gleich mit Fragen zu überfallen. Also sondierte sie erst einmal vorsichtig. »Du – bliebst lange fort, mein Sohn. Gab es etwas Besonderes zu regeln?«

      »Zuerst eine Hochzeit – und dann ein Begräbnis.«

      »Junge, redest du etwa irre?«

      »Keineswegs, mein Verstand ist klar wie eh und je.«

      »Dann drück dich gefälligst deutlicher aus.«

      »Ich bin ja gerade dabei. Du weißt, daß Frau Ingwart gleich nach dem Tode des Gatten vom Schlag gerührt wurde?«

      »Allerdings. Aber was hat das mit dir zu tun? Warum rief sie dich überhaupt außer der Zeit zu sich? Deine Besuche viermal im Jahr müßten doch vollauf genügen. Was wollte sie also jetzt von dir?«

      »Sie rief mich zu sich, weil sie ihr Ende nahen fühlte. Da sie ihre Tochter nicht mutterseelenallein zurücklassen wollte, bat sie mich, sich ihrer anzunehmen.«

      »Mein Gott, Ralf, du kannst dich als junger Mann doch unmöglich mit einem Mädchen belasten!« fiel die Mutter ihm erregt ins Wort, und da blitzte ein Lachen in seinen Augen auf.

      »Siehst du, Mama, der Ansicht war ich auch. Also habe ich der Einfachheit halber dieses Mädchen geheiratet.«

      Nach diesen schwerwiegenden Worten war es zuerst einmal beklemmend still.

      Entsetzt starrte die Mutter ihren Sohn an, als zweifelte sie an seinem Verstand. Mühsam rang sie nach Fassung, bis es ihr gelang, ihre Stimme soweit zu meistern, daß sie überhaupt sprechen konnte. »Ralf, warst du überhaupt zurechnungsfähig, als du diesen übereilten Schritt tatest? Oder hat dich die Frau dazu gezwungen – angesichts unserer Schulden?«

      »Die wir bisher vertragsmäßig abzahlten«, unterbrach er die Erregte gelassen. »Also kann von Zwang nicht die Rede sein – in keiner Beziehung. Was ich tat, geschah aus freiem Willen, das merke dir nur für alle Zeit, Mama.«

      »Damit willst du doch nicht sagen, daß du deine Frau aus Liebe geheiratet hast?«

      »Genau das.«

      »Warum hast du nie darüber gesprochen? Ich meine, so eine Liebe kommt doch nicht von heute auf morgen.«

      »Das wohl kaum. Aber ich wurde mir dieses Gefühls erst recht bewußt, als ich mir vorstellte, daß dieses junge und dazu noch schöne Menschenkind nach der Mutter Tod schutzlos allen Fährnissen des Lebens ausgesetzt sein würde. Es davor zu behüten und zu bewahren, dieser Wunsch stieg fordernd in mir auf. Und wie könnte ich das wohl besser und einfacher tun als bei meiner Frau?«

      »Das schon«, räumte die Mutter widerwillig ein. »Aber mußte diese Heirat denn so überstürzt werden?«

      »Ja. Denn die Tage Frau Ingwarts waren gezählt. Sie sollte mit dem Bewußtsein dahingehen, ihr Kind, das nach dem Tod des geliebten Mannes ihr einziges Glück war, wohlbehütet zurückzulassen.«

      »Wann habt ihr geheiratet?«

      »Vor einer Woche.«

      »Aber das ist doch gar nicht möglich! Du warst doch nur zwölf Tage vom Hause fort, und schon die Frist des Aufgebots allein …«

      »Man hat eine Ausnahme gemacht«, warf er kurz ein. »Jedenfalls sind Lenore und ich vorschriftsmäßig getraut, standesamtlich wie auch kirchlich.«

      »Nur deine Mutter wußte nichts davon«, bemerkte sie spitz.

      Er zog ihre Hand an die Lippen und sah sie bittend an.

      »Mama, du bist doch eine vernünftige Frau, nicht wahr? Also wirst du auch das verstehen, was gewiß nicht aus böser Absicht geschah, sondern vielmehr der Not gehorchend. Frau Ingwart befand sich nämlich in einem Zustand, wo jede Unruhe ihr Ende beschleunigt hätte. Es war sowieso bewundernswert, daß sie die Kraft aufbrachte, der kirchlichen Trauung überhaupt beiwohnen zu können. Zwei Tage später setzte dann ein Herzschlag ihrem Leben ein jähes Ende.«

      »Mein Gott, wie gräßlich!« schauerte Anka zusammen, die dem allen mit atemloser Spannung gelauscht hatte. »So heiraten – nein, das könnte ich nicht.«

      »Davor möge dich auch Gott bewahren, mein Kleines«, sprach Ralf mit einem warmen Blick auf die um zwölf Jahre jüngere Schwester. »Auch für Lenore hoffte ich inbrünstig, daß ihre Mutter, an der sie mit ganzer Kindesliebe hing, wenigstens noch einige Wochen nach der so traurigen Hochzeit gelebt hätte. Aber was können wir gegen das Schicksal tun? Es springt mit uns Menschen um nach Lust und Laune. Nun, Lenore wird zunächst einmal bei uns wohnen. Oder bist du damit nicht einverstanden, Mama?«

      Nein, das war sie ganz und gar nicht. Doch was blieb ihr anderes übrig, als so zu tun, als ob das der Fall wäre? Denn erstens gehörte die Wohnung dem Sohn, weil er die Miete zahlte, zweitens trug er noch einen Teil zum gemeinsamen Lebensunterhalt bei, was beides aufhören würde, wenn er seinen eigenen Hausstand gründete.

      Doch halt, seine Frau bekam ja jetzt laut Vertrag die monatlichen Raten. Wenn sie ihnen die erlassen würde? Man mußte mal vorsichtig sondieren, wie Ralf darüber dachte.

      Doch bevor sie es tun konnte, kam Anka ihr bereits zuvor, die allerdings die Worte nicht wog, sondern ungeniert herausplatzte: »Jetzt sind wir wenigstens unsere Schulden los! Somit hat deine Heirat schon etwas für sich.«

      »Halt mal!« unterbrach der Bruder sie scharf. »Deine Annahme ist falsch. Wie kommst du überhaupt darauf?«

      »Och, nur so.« Sie schob maulend die Unterlippe vor. »Weil es doch unter Eheleuten heißt: Was mein ist, ist auch dein.«

      »Das stimmt, soweit es sich auf die Eheleute selbst bezieht, aber nicht mehr für deren Anhang.«

      »Aber Ralf, wie kannst du unser Dummchen nur so ernst nehmen!« fiel die Mutter hastig ein, um dieses verfängliche Gespräch im Keim zu ersticken. »So eine Siebzehnjährige spricht doch nur gedankenlos nach, was sie hört oder liest. Laß uns lieber beraten, wie wir uns wohl am besten einrichten. Wir haben doch nur die drei Zimmer.«

      »Und eins davon gehört mir. Darin wird Lenore mit mir zusammen wohnen.«

      »Wenn ihr euch damit begnügen wollt, mir soll es recht sein. Wenn du mit der jungen Frau zusammen in deinem Zimmer wohnen willst, wirst du wohl noch verschiedene Sachen anschaffen müssen.«

      »Nicht erforderlich. Lenore besitzt von ihren Eltern Wohn- und Schlafzimmer mit allem Drum und Dran.«

      »Gott, wie altmodisch!« rümpfte Anka das Näschen. »Ich würde mich als junge Frau bestimmt nicht mit dem alten Kram begnügen.«

      »Mein liebes Kind, dieser Kram, wie du sehr geschmacklos zu sagen beliebst, sind Stilmöbel von hohem Wert«, versetzte der Bruder gelassen. »Du müßtest schon einen wohlhabenden Mann heiraten, damit er dir so wertvolle Stücke kaufen könnte. Ich bin ordentlich stolz auf die Zimmer, die Lenore auf meinen Wunsch behielt, während sie die übrige Einrichtung verkaufte. Bis wir uns eine eigene Wohnung leisten können, haben wir

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