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von heut auf morgen zum Lord Somerset, dem Haupt einer der ältesten und begütertsten Familien Altenglands. Sein Vermögen wuchs durch diese unvorhergesehene Entwicklung beträchtlich, nicht aber seine innere Zufriedenheit; er hatte sich zeitlebens als Sir Henry Waltham sehr wohl gefühlt; die neue Würde und der neue Besitz brachten ihm mehr Sorge als Freude.

      Die Ehe des Lords war kinderlos geblieben; jetzt, nachdem auch die Gattin, mit der er eine lange, glückliche Ehe geführt, das Zeitliche gesegnet hatte, fühlte der alte Herr sich sehr vereinsamt.

      Da er keinen Sohn hatte, folgte ihm, dem geltenden Rechte nach, in der Würde des Pairs und als Erbe seiner Besitzungen in England sein Neffe Sir Richard Waltham, während er über seine amerikanischen Güter nach freiem Ermessen verfügen konnte. Richard war der Sohn seines jüngeren Bruders Edward, der gleich ihm in den Kolonien eine Heimat gefunden hatte. Nach Edwards Tode nahm er den Neffen in sein Haus und ließ ihn seiner künftigen hohen Stellung entsprechend erziehen. Er fand Gefallen an dem frischen, gut gewachsenen Jungen, der zudem freien und offenen Wesens war, und auch der elternlose Richard schloß sich eng an den Oheim an und mühte sich, ihm die Einsamkeit erträglicher zu machen.

      Außer Richard war noch ein weiterer Schwestersohn vorhanden: Sir Edmund Hotham. Lord Somersets Schwester hatte einen Offizier geheiratet, der außer seinem Sold wenig besaß; nach dem Tode ihres Gatten lebte sie weitgehend von der Hilfe ihres Bruders. Zwischen dem Lord und seiner Schwester hatte nie ein sonderlich herzliches Verhältnis bestanden, dafür waren sie zu verschiedene Naturen. Ohnehin herben und verschlossenen Charakters, war das Gemüt der Frau durch den harten Daseinskampf mit den Jahren immer mehr verbittert worden; sie war zudem neidisch und abschreckend geizig, Eigenschaften, die dem immer großzügigen, lebensoffenen Lord wenig behagten.

      Während Richard Waltham zu Ausbildungszwecken in England weilte und in Eton zur Schule ging, hatte der Lord auf Bitten seiner Schwester deren Sohn Edmund ins Haus genommen, und Edmund Hotham hatte keine Mühe gescheut, sich die Gunst des Oheims zu erwerben. Bis zu einem gewissen Grade war ihm das auch gelungen; ein wirkliches Vertrauensverhältnis entstand indessen nicht, denn der alte Lord war zu klug und zu welterfahren, um das Absichtliche in den Bemühungen des Neffen nicht zu erkennen. Gewisse Ähnlichkeiten im Charakter Edmunds mit dem seiner Mutter trugen weiter dazu bei, die Reserve des Lords zu verstärken. Nichtsdestoweniger tat er auch an diesem Neffen alles, was er für seine Pflicht hielt, er ermöglichte ihm eine gute Erziehung, stattete ihn mit reichlichen Mitteln aus und bedachte ihn in seinem Testament mit einem Teil seines Privatvermögens und einigen der in den amerikanischen Kolonien gelegenen Besitzungen. Mit dem größeren Teil dieser Liegenschaften glaubte er freilich ärmere Verwandte seiner verstorbenen Frau bedenken zu müssen.

      Seit dem geheimnisvollen Verschwinden des DUKE OF RICHMOND im vergangenen Herbst war Lord Somerset ein innerlich gebrochener Mann. Sein Neffe und Haupterbe, Sir Richard Waltham, hatte auf diesem Schiff von Stacket Harbour nach Oswego reisen wollen. Das Schiff war während eines bösen Sturmwetters spurlos verschwunden, und weder der Lord noch sonst irgendwer zweifelte daran, daß es mit Mann und Maus untergegangen sei. Alle mit den beträchtlichsten Mitteln angestellten Nachforschungen nach dem Verbleib der Sloop waren ergebnislos. Der Lord war überzeugt, daß sein Neffe den Tod gefunden habe. Erbe der Pairswürde und aller damit verbundenen Besitzungen aber war nach Richard Waltham dessen Vetter Sir Edmund Hotham.

      Und doch gab es einen Menschen in der Umgebung des Lords, der immer wieder seiner Überzeugung Ausdruck gab, der junge Waltham sei noch am Leben. Dieser Mann war seinem Stande nach ein ganz gewöhnlicher Diener, und er war ebenso alt wie der Lord selbst. Aber Allan Mac Gregor war eben kein gewöhnlicher Diener. Er hatte dem Lord schon als Ordonnanz gedient, als jener noch ein junger Offizier war. Mac Gregor war Schotte und stammte aus den Bergen; er war ein Hüne und hatte einmal über Riesenkräfte verfügt. Fünfzig Jahre gemeinsamen Erlebens hatten zwischen Herrn und Diener ein festes Band menschlicher Zusammengehörigkeit geknüpft, das nicht mehr zu erschüttern war. Allan war dem Lord auf Tod und Leben ergeben, und dieser sah in dem alten Bergschotten mehr den erprobten und verläßlichen Freund als den Diener.

      Allan Mac Gregor nun vertrat immer wieder absolut unerschütterlich die Meinung, der junge Herr lebe noch. Er vermochte diese Behauptung freilich auf nichts anderes als Träume zu stützen, denen er freilich prophetische Kraft beimaß. Der alte Lord war an sich ein nüchterner Mann, doch hatte er in einem langen Leben die Beobachtung gemacht, daß die Propheterie des Bergschotten sich als zuverlässig erwies, und so war es denn nicht verwunderlich, daß sich jetzt seine letzte schwache Hoffnung auf die durch nichts zu erschütternde Sicherheit seines alten Dieners stützte.

      Das am Ufer des Black River gelegene Herrenhaus Lord Somersets war in normannischem Stil erbaut, es lag, etwa eine Stunde von Stacket Harbour entfernt, in einem großen, gepflegten Park.

      An einem schönen Morgen, es war noch früh am Tage, saß der Lord, bereits sorgfältig gekleidet und frisiert, in einer Laube des Parkes und hielt einen Brief in der Hand. Er machte, in eine Decke gehüllt, mit seinem bleichen Gesicht und seinen zitternden Händen einen stark verfallenen Eindruck. Der Diener Allan hielt sich, seines Winkes gewärtig, in der Nähe; der alte Bergschotte sah, im Gegensatz zu seinem Herrn, mit seinen kräftigen, völlig ungebeugten Gliedern und seinem frischen Gesicht noch ungewöhnlich rüstig aus. Es mochte immer noch nicht ratsam sein, sich mit diesem Mann auf einen handgreiflichen Streit einzulassen.

      »Allan!« rief der Lord und legte den Brief, den er zu wiederholten Malen aufmerksam gelesen hatte, auf das vor ihm stehende Tischchen. Im Augenblick stand der Alte im Eingang der Laube; die respektvolle Haltung war ihm in einem langen Leben eingeboren.

      »Böse Nachrichten, Alter«, sagte der Lord.

      »Was gibt's, Colonel?« Allan redete seinen Herrn immer noch mit seinem letzten militärischen Dienstgrad an.

      »Krieg gibt's.«

      »Oh! Rühren sich die Franzosen?«

      »Es sieht so aus.«

      »Aber man hat bisher kein Wort in dieser Richtung gehört.«

      »Nun«, sagte der Lord, »daß sich ein Zusammenstoß zwischen England und Frankreich vorbereitet, war schon lange klar; die Diplomaten hofften nur, ihn vermeiden zu können. Ich habe an diese Möglichkeit nie so recht geglaubt. Jetzt sieht es so aus, daß wir in ein paar Wochen wohl schon die Kanonen hören werden. Und das erste wird sein, daß die Franzosen über den Ontario kommen.«

      »Der Krieg ist also erklärt?«

      »Nein, das noch nicht. Dagegen ist das sicherste Anzeichen für den Ausbruch eines Kolonialkrieges inzwischen eingetreten.«

      »Sie meinen die Roten, Colonel? Tut sich da etwas?«

      »Mein lieber Allan, wir beide haben uns ja lange genug hier herumgetrieben, um die Zeichen deuten zu können. Wir wissen, was es heißt, wenn man die Indianer in Bewegung setzt. Hier schreibt mir eben Colonel Johnson, daß französische Agenten unter den Stämmen der Sechs Nationen umherreisen und ziemlich verschwenderisch mit Geschenken umgehen. Johnson ist nun von der Regierung beauftragt worden, seinen Einfluß vor allem auf die Mohawk und die Onondaga auszuüben, bei denen er sich ja ziemlich beliebt gemacht hat und die immerhin noch die verläßlichsten Irokesenstämme sind, im Gegensatz etwa zu den Seneca, die immer das Mäntelchen nach dem Winde gedreht haben. Johnson meint, er hoffe, Mohawk und Onondaga auf unserer Seite zu halten, sie möglicherweise sogar zum Kampf auf Seite der Kolonien zu bringen. Aber wie dem auch sei: die Tatsache, daß überhaupt Sendboten der europäischen Regierungen unter den Indianern herumreisen und werben, scheint mir das zuverlässigste Zeichen für einen unmittelbar bevorstehenden Krieg. Das haben wir ja immer wieder erfahren.«

      »Stimmt, Colonel. Bei den Roten fängt's immer an. An sich eine greuliche Sitte, Mylord – halten zu Gnaden – hab' mich nie damit abfinden können, daß Weiße das rote Mordgesindel zum Kampf aufstacheln. Hab' oft genug erlebt, wie sich das dann auswirkt. Die unglücklichen Opfer sind immer wieder die armen Ansiedler an der Grenze.«

      »Hast selbstverständlich recht, Allan«, versetzte der Lord. »Und ich weiß auch, daß unser Gouverneur grundsätzlich der gleichen Meinung ist. Aber was soll er tun? Wenn die Franzosen Indianerstämme

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