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über ein beliebiges Geschäft verhandelten. Es schauderte ihn. Das kurze Selbstgespräch des Piratenkapitäns beruhigte ihn zwar über das allernächste Schicksal des Gefangenen, aber es dauerte gleichwohl ein Weilchen, bis er sein seelisches Gleichgewicht wiederfand. Aber er durfte sich dem Entsetzen nicht überlassen; es mußte etwas geschehen, und zwar unverzüglich. Sich vorsichtig erhebend, winkte er seinem roten Begleiter, ihm zu folgen.

      Mit unendlicher Vorsicht schlichen die beiden Männer durch die Büsche auf das Blockhaus zu. Das von starken Palisaden umgebene Gebäude lag in vollkommener Stille inmitten des dunklen Waldes. Nur schwacher Lichtschein, der hier und da durch die Ritzen der Schießscharten drang, wies darauf hin, daß das Anwesen bewohnt sei. Mit immer gleicher Vorsicht, ohne sich vom Saum des Buschwerks zu lösen, umschlichen sie den Komplex. Auf der Rückseite gewahrten sie ein erleuchtetes Fenster, das sich einige Fuß über den Palisaden befand. Es war mit starken Eisenstäben vergittert.

      Schweigend standen sie eine Zeitlang nebeneinander in den Büschen, zu den erhellten Scheiben hinaufstarrend. Saß hinter diesem hochgelegenen und wohlverwahrten Fenster der Gefangene? Der Gedanke lag immerhin nahe. Wie aber, wenn dem so war, sollte man eine Verbindung zu ihm herstellen? Hollins und der Stelzfuß, den John am Vorabend gesehen hatte, weilten zweifellos in den unteren Räumen des Hauses, und sie waren sicher noch munter. Die hohen und glatten Palisaden ohne Hilfsmittel zu erklettern, schien kaum möglich, auch nicht ratsam. Das geringste Geräusch konnte übrigens die Bewohner aufmerksam machen. Und man wußte nicht einmal, wieviele Leute im Haus waren.

      Während John noch so stand und nachsann, was in dieser Lage zu tun sei, berührte der Indianer leicht seinen Arm. Er sah auf; der Indianer wies schweigend nach oben. Der weisenden Hand folgend, gewahrte John hinter der erleuchteten Scheibe den Kopf eines jungen Mannes, der von langem, lockigen Haar umgeben war. Der Mann hielt die Stirn gegen die Scheibe gepreßt.

      Im Augenblick beschloß John, auf jede Gefahr den Schutz des Buschwerks zu verlassen. Er forderte den Indianer auf, sich schußfertig zu machen, um ihm erforderlichenfalls den Rückzug decken zu können.

      Ni-kun-tha begriff und spannte den Hahn seiner Büchse. John trat ein paar Schritte vor und winkte der Gestalt am Fenster mit beiden Händen zu. Doch die schien nichts wahrzunehmen; Johns Gestalt hob sich wohl zu wenig von dem dunklen Hintergrund des Waldes ab. Der junge Mann ließ sich zur Erde niedergleiten und kroch, die Stümpfe der gefällten Bäume zur Deckung ausnützend, bis auf zwanzig Schritt an die Palisadenwand heran; er konnte jetzt eben noch den Kopf des Gefangenen hinter dem Fenster erkennen. Schnell richtete er sich auf und winkte abermals mit beiden Armen.

      Und jetzt wurde der Mann am Fenster aufmerksam. Aus den unteren Räumen drang rauher Gesang. Eine betrunkene Stimme gröhlte ein bekanntes Seemannslied. Oben öffnete sich das Fenster; eine gedämpfte Stimme fragte: »Wer ist da?«

      »Freund!« raunte John, beide Hände trichterförmig an den Mund legend.

      »Dem Himmel sei Dank! Bringt Ihr Hilfe?«

      »Wenn ich kann: ja.«

      »Wißt Ihr, wer ich bin?«

      »Ja. Sir Richard Waltham.«

      »Oh, dann ist alles gut.«

      »Könnt Ihr Euer Zimmer verlassen?«

      »Nein. Unmöglich.«

      »Dann holen wir Euch morgen oder übermorgen nach Mitternacht.«

      »Ihr werdet eine Leiter und eine Feile brauchen.«

      »Beides wird zur Stelle sein.«

      Die Unterredung wurde in hastigem Flüsterton geführt, lag die Gefahr einer plötzlichen Überraschung doch nahe.

      »Habt Dank, unbekannter Freund, und meldet Lord Somerset, wo Ihr Richard Waltham gefunden habt«, rief der Gefangene noch.

      »Wird besorgt werden«, sagte John. Im gleichen Augenblick glitt er zu Boden, hatte er doch Schritte hinter den Palisaden vernommen. Der Gesang im Haus war verstummt. Der junge Mann oben trat vom Fenster zurück.

      »Skroop, versoffene Wasserratte, wo liegt das Holz?« brüllte es hinter den Palisaden. »Wir müssen einen steifen Toddy brauen; die Boys müssen jeden Augenblick kommen.« John erkannte die Stimme Hollins'.

      »Da drüben in der Ecke«, kam die Antwort einer lallender Stimme.

      »Mein lieber Junge, ich werde dich knapp halten müssen«, schimpfte Hollins, »einen betrunkenen Wächter kann ich hier nicht brauchen.«

      »Hab' meine fünf Sinne so gut beisammen wie Ihr, Hollins«, tönte es als Antwort zurück; der Sprechende war offenbar schwer betrunken; »weiß aber verdammt nicht, wielange noch, wenn ich noch lange hier bleiben muß, ohne Rum und ohne Tabak. Sag Euch im Guten: Ich mach' das nicht mehr mit.«

      »Wart's ab und leg' dich schlafen, alte Saufgurgel. Hast für heute genug«, brummte Hollins. John hörte ihn noch einen Fluch ausstoßen, dann verloren sich Schritte und Stimmen. Er erhob sich und eilte in gebückter Haltung zum Waldrand zurück. Oben am Fenster zeichnete sich die Silhouette des Gefangenen ab. Der Indianer, der gegen einen Baumstamm gelehnt, den Vorgängen gefolgt war, deutete hinauf. »Gefangener«, flüsterte er; »ihn retten? – Gut!«

      »Wollen sehen. Morgen. Für heute ist nichts mehr zu tun.« Sie gingen zum Ufer zurück, glitten in ihr Kanu, ließen es in den Kanal treiben und waren eben im Begriff, den Mast aufzurichten, als eine Stimme über das Wasser zu ihnen drang: »Was gibt's da? Ahoi, Kanu!«

      Sie wandten blitzschnell den Kopf und gewahrten hinter sich das stark bemannte Boot, das John am Vorabend gesehen hatte. Rasch ließen sie den Mast fallen, ergriffen die Ruder und tauchten sie zu eiliger Flucht in das Wasser.

      Das große Kielboot war, langsam von der Strömung getrieben, nahezu lautlos um die Insel herumgekommen und hatte John und Ni-kun-tha überrascht. Da das Kanu jetzt nach dem Anruf mit so verdächtiger Eile davonglitt, rief die Stimme, die eben gerufen hatte, in scharfem Ton: »Halt! Oder ich schieße!«

      John und Ni-kun-tha ruderten mit aller Kraft; Schaumblasen aufwerfend, schoß das Kanu durch die Flut. Ein Schuß krachte; die Flüchtenden hörten das Pfeifen der Kugel.

      »Bist du wahnsinnig? Wart', bis ich Feuerbefehl gebe!« brüllte der Rufer von vorhin. »Es sind Indianer. Willst du uns einen ganzen Stamm auf den Hals hetzen? Woll'n uns die Burschen aber wenigstens ansehen. Riemen eingelegt! Los!« Die Männer im Einbaum hörten die dröhnende Stimme die Stille der Nacht durchdringen; jetzt vernahmen sie auch den taktmäßigen Ruderschlag. Ihr Kanu mußte auf dem den Himmel spiegelnden Wasser genau zu erkennen sein.

      John wie Ni-kun-tha verstanden, ein Kanu zu lenken; sie setzten ihre ganze Kraft und Geschicklichkeit ein, doch waren sie sich beide darüber klar, daß sie der stärkeren Ruderkraft des großen Kielbootes auf die Dauer nicht zu begegnen vermochten. Sie mußten versuchen, sich durch geschicktes Manövrieren, durch schnelle Wendungen und durch rechtzeitiges Untertauchen in irgendeinem dichten Ufergebüsch zu retten.

      »Links jetzt«, zischte John, als sich dort ein Kanal öffnete. Sie bogen ein und fuhren mit großer Geschwindigkeit in Ufernähe dahin, aber immer noch klangen die taktmäßigen Ruderschläge dicht genug hinter ihnen.

      Sie mochten ein paar Minuten mit äußerster Kraft gerudert haben, als von rechts her ein Boot in ihren Weg trieb, in dem ein einzelner Mann saß. Das Boot war eine Jolle, wie die Molly sie führte.

      Der Mann mochte etwas von der wilden Jagd, die da im Gange war, bemerkt haben. Er schrie: »Ahoi, Kanu!« Aus dem Kielboot antwortete es: »Stell' sie, Bill!«

      Mit einer geschickten Wendung legte sich die Jolle quer vor den Lauf des Kanus. Im gleichen Augenblick, da Ni-kun-tha das gewahrte, ließ er das Ruder sinken, griff zur Büchse, riß sie an die Wange und schoß. Dem harten Knall folgte unmittelbar ein gellender Schrei aus der Jolle.

      Augenblicklich griff Ni-kun-tha wieder zum Ruder; das Kanu schoß an der querliegenden Jolle, in der ein Mann sich stöhnend herumwälzte, vorbei.

      »Verdammt!« brüllte es hinter ihnen. »Jetzt

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