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Mit bren­nen­den Fü­ßen und ei­ner schmer­zen­den Öde im Kopf mach­te sie sich auf den Heim­weg; sie moch­te gar nicht dar­an den­ken, was sie noch al­les zu tun hat­te, bis sie end­lich ins Bett ge­hen konn­te. Auf dem Heim­weg er­le­dig­te sie noch ihre Be­sor­gun­gen auf Kar­ten; beim Flei­scher muss­te sie ziem­lich lan­ge an­ste­hen, und so war es fast sechs Uhr ge­wor­den, als sie lang­sam die Stu­fen ih­rer Woh­nung am Fried­richs­hain em­por­stieg.

      Auf der Trep­pen­stu­fe vor ih­rer Tür stand ein klei­ner Mann in hel­lem Man­tel und mit Sport­müt­ze auf. Er hat­te ein farb­lo­ses Ge­sicht ohne al­len Aus­druck, die Li­der wa­ren ein we­nig ent­zün­det, die Au­gen blass, solch ein Ge­sicht, das man so­fort wie­der ver­gisst.

      »Du, Enno?«, rief sie er­schro­cken und nahm die Woh­nungs­schlüs­sel un­will­kür­lich fes­ter in die Hand. »Was willst du denn bei mir? Ich habe kein Geld und auch kein Es­sen, und in die Woh­nung las­se ich dich auch nicht!«

      Der klei­ne Mann mach­te eine be­ru­hi­gen­de Be­we­gung. »Wa­rum denn gleich so auf­ge­regt, Eva? Wie­so denn gleich so bös­ar­tig? Ich will dir doch bloß mal gu­ten Tag sa­gen, Eva. Gu­ten Tag, Eva!«

      »Gu­ten Tag, Enno!«, sag­te sie, aber nur wi­der­wil­lig, denn sie kann­te ih­ren Mann seit vie­len Jah­ren. Sie war­te­te eine Wei­le, dann lach­te sie kurz und böse auf. »Jetzt ha­ben wir uns gu­ten Tag ge­sagt, wie du woll­test, Enno, und du kannst ge­hen. Aber wie ich seh, gehst du nicht, was willst du also wirk­lich?«

      »Siehs­te, Ev­chen«, sag­te er, ihr im­mer gut zu­re­dend. »Du bist ’ne ver­nünf­ti­ge Frau, und mit dir kann man ’n Wort re­den …« Er fing an, ihr um­ständ­lich aus­ein­an­der­zu­set­zen, dass die Kran­ken­kas­se nicht mehr län­ger zahl­te, weil er sei­ne sechs­und­zwan­zig Wo­chen Krank­sein rum hat­te. Er muss­te wie­der ar­bei­ten ge­hen, sonst schick­ten sie ihn zu­rück zur Wehr­macht, die ihn sei­ner Fa­brik zur Ver­fü­gung ge­stellt hat­te, weil er Fein­me­cha­ni­ker war, und die wa­ren knapp. »Die Sa­che ist nun die und der Um­stand der«, schloss er sei­ne Er­klä­run­gen, »dass ich die nächs­ten Tage einen fes­ten Wohn­sitz ha­ben muss. Und da habe ich ge­dacht …«

      Sie schüt­tel­te ener­gisch den Kopf. Sie war zum Um­sin­ken müde und sehn­te sich da­nach, in die Woh­nung zu kom­men, wo so viel Ar­beit auf sie war­te­te. Aber sie ließ ihn nicht ein, ihn nicht, und wenn sie die hal­be Nacht hier ste­hen muss­te.

      Er sag­te ei­lig, aber es klang im­mer gleich farb­los: »Sag noch nicht nein, Ev­chen, ich bin noch nicht zu Ende mit mei­nen Wor­ten. Ich schwö­re dir, ich will gar nichts von dir, kein Geld, kein Es­sen. Lass mich bloß auf dem Kana­pee schla­fen. Ich brauch auch kei­ne Bett­wä­sche. Du sollst nicht Ar­beit von mir ha­ben.«

      Wie­der schüt­tel­te sie den Kopf. Wenn er bloß auf­hö­ren woll­te mit re­den, er soll­te doch wis­sen, dass sie ihm nicht ein Wort glaub­te. Er hat­te noch nie ge­hal­ten, was er ver­spro­chen hat­te.

      Sie frag­te: »Wa­rum machst du das nicht bei ei­ner von dei­nen Freun­din­nen ab? Die sind dir doch sonst gut ge­nug für so was!«

      Er schüt­tel­te den Kopf: »Mit den Wei­bern bin ich durch, Ev­chen, mit de­nen be­fass ich mich nicht mehr, mit de­nen hat’s mir ge­reicht. Wenn ich al­les be­den­ke, du warst doch im­mer die Bes­te von al­len, Ev­chen. Gute Jah­re ha­ben wir ge­habt, da­mals, als die Jun­gen noch klein wa­ren.«

      Un­will­kür­lich hat­te sich ihr Ge­sicht bei der Erin­ne­rung an ihre ers­ten Ehe­jah­re auf­ge­hellt. Die wa­ren wirk­lich gut ge­we­sen, da­mals, als er noch als Fein­me­cha­ni­ker ar­bei­te­te und jede Wo­che sei­ne sech­zig Mark nach Haus brach­te und von Ar­beits­scheu nichts wuss­te.

      Enno Klu­ge sah so­fort sei­nen Vor­teil. »Siehs­te, Ev­chen, ein biss­chen hast du mich doch noch ger­ne, und dar­um lässt du mich auch auf dem Kana­pee schla­fen. Ich ver­sprech dir, ich mach’s ganz schnell ab mit dem Ar­bei­ten, mir liegt doch auch nichts an dem Kohl. Bloß so lan­ge, dass ich wie­der Kran­ken­geld krie­ge und nicht zu den Preu­ßen muss. In zehn Ta­gen schaff ich’s, dass sie mich wie­der krank­schrei­ben!«

      Er mach­te eine Pau­se und sah sie ab­war­tend an. Dies­mal schüt­tel­te sie nicht den Kopf, aber ihr Ge­sicht sah un­durch­dring­lich aus. So fuhr er fort: »Ich will’s dies­mal nicht mit Ma­gen­blu­tun­gen ma­chen, da ge­ben sie ei­nem nichts zu fres­sen in den Kran­ken­häu­sern. Ich rei­se dies­mal auf Gal­len­ko­li­ken. Da kön­nen sie ei­nem auch nichts nach­wei­sen, bloß mal rönt­gen, und man muss kei­ne Stei­ne ha­ben für die Ko­li­ken. Man kann bloß. Ich habe mir al­les ge­nau er­klä­ren las­sen. Das klappt schon. Bloß dass ich erst die­se zehn Tage ar­bei­ten muss.«

      Sie ant­wor­te­te wie­der mit kei­nem Wort, und er fuhr fort, denn er glaub­te dar­an, dass man den Leu­ten ein Loch in den Bauch re­den kann, dass sie schließ­lich doch nach­ge­ben, wenn man nur be­harr­lich ge­nug ist. »Ich habe auch die Adres­se von ’nem jü­di­schen Arzt in der Frank­fur­ter Al­lee, der schreibt je­den krank, wenn man will, bloß dass er kei­ne Schwie­rig­kei­ten hat mit den Leu­ten. Mit dem schaff ich’s: in zehn Ta­gen bin ich wie­der im Kran­ken­haus, und du bist mich los, Ev­chen!«

      Sie sag­te, müde all die­ses Ge­schwät­zes: »Und wenn du bis Mit­ter­nacht hier stehst und re­dest, ich neh­me dich doch nicht wie­der auf, Enno. Ich tu’s nie wie­der, du kannst sa­gen, was du willst, und du kannst tun, was du willst. Ich lass mir nicht wie­der al­les ka­putt­ma­chen von dir und dei­ner Ar­beits­scheu und dei­ner Renn­wet­te­rei und dei­nen ge­mei­nen Wei­bern. Ich hab’s drei­mal er­lebt und das vier­te Mal und noch mal und noch mal, und nun hat’s ge­schnappt bei mir, nun ist es alle! Ich set­ze mich hier auf die Trep­pe, ich bin näm­lich müde, seit sechs bin ich auf den Bei­nen. Wenn du willst, setz dich dazu. Wenn du magst, rede, wenn du nicht magst, halt den Mund, mir ist al­les egal. Aber in die Woh­nung kommst du mir nicht!«

      Sie hat­te sich wirk­lich auf die Trep­pen­stu­fe ge­setzt, auf die glei­che Stu­fe, die vor­her sein War­te­platz ge­we­sen war. Und ihre Wor­te hat­ten so ent­schlos­sen ge­klun­gen, dass er fühl­te, dies­mal half auch al­les Re­den nichts. So rück­te er denn sei­ne Jockey­müt­ze ein we­nig schief und sag­te: »Na denn, Ev­chen, wenn du durch­aus nicht willst, wenn du mir nicht mal so ’nen klei­nen Ge­fal­len tun willst, wo du weißt, dein Mann ist in Not, mit dem du fünf Kin­der ge­habt hast, und drei lie­gen auf dem Kirch­hof, und die zwei Jun­gen kämp­fen für Füh­rer und Volk …« Er brach ab, er hat­te ganz ma­schi­nen­mä­ßig so vor sich hin ge­re­det, weil er das Im­mer­wei­ter­re­den aus den Knei­pen ge­wohnt war, ob­wohl er doch be­grif­fen hat­te, hier war je­des Re­den zweck­los. »Also, ich geh denn jetzt, Ev­chen. Und dass du’s weißt, ich nehm dir nichts übel, das weißt du, ich mag sein, wie ich will, übel­neh­men tu ich nichts.«

      »Weil dir al­les gleich­gül­tig ist bis auf dei­ne Renn­wet­te­rei«, ant­wor­te­te sie nun doch. »Weil dich sonst nichts auf der Welt in­ter­es­siert, weil du nichts und kei­nen gern­ha­ben kannst, nicht ein­mal dich selbst, Enno.« Aber sie brach so­fort wie­der ab, es war so nutz­los, mit die­sem Mann zu spre­chen. Sie war­te­te eine Wei­le, dann sag­te sie: »Aber ich den­ke, du woll­test ge­hen, Enno?«

      »Jetzt geh ich, Ev­chen«, sag­te er ganz über­ra­schend. »Mach’s gut. Ich nehm dir nichts übel. Heil Hit­ler, Ev­chen!«

      »Heil Hit­ler!«, ant­wor­te­te sie ganz me­cha­nisch, im­mer noch fest da­von über­zeugt, dass die­ses Ab­schied­neh­men nur eine Fin­te von ihm war, bloß die Ein­lei­tung zu neu­em, end­lo­sem Ge­re­de. Aber zu ih­rer gren­zen­lo­sen

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