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– ich kann doch we­gen so was nicht zum Dok­tor, wann habe ich denn Zeit für ’nen Dok­tor? Aber viel­leicht kön­nen Sie es so­gar aus­drücken, wenn’s Ih­nen nicht ek­lig ist, man­che sind in so was ek­lig …«

      Wäh­rend Frau Gesch kla­gend im­mer so wei­ter­re­det, hat Eva Klu­ge ganz me­cha­nisch die Ket­te los­ge­macht, und die Frau ist in die Wohn­kü­che hin­ein­ge­kom­men. Eva Klu­ge hat die Tür wie­der zu­zie­hen wol­len, da hat sich ein Fuß da­zwi­schen­ge­zwängt, und schon ist auch Enno Klu­ge in ih­rer Woh­nung. Sein Ge­sicht ist aus­drucks­los wie im­mer; dass er doch et­was er­regt ist, merkt sie nur dar­an, dass sei­ne fast haar­lo­sen Li­der stark zit­tern.

      Eva Klu­ge steht mit hän­gen­den Ar­men da, ihre Knie be­ben so sehr, dass sie sich am liebs­ten zu Bo­den sin­ken lie­ße. Der Re­de­strom von Frau Gesch ist ganz plötz­lich ver­siegt, schwei­gend sieht sie in die bei­den Ge­sich­ter. Es ist ganz still in der Kü­che, nur der Brü­hen­topf bro­delt lei­se.

      Schließ­lich sagt Frau Gesch: »Na, nun habe ich Ih­nen den Ge­fal­len ge­tan, Herr Klu­ge. Aber ich sage Ih­nen: ein­mal und nicht wie­der. Und wenn Sie Ihr Ver­spre­chen nicht hal­ten und fan­gen das wie­der an mit der Nichts­tue­rei und dem Knei­pen­lau­fen und dem Pfer­de­wet­ten …« Sie un­ter­bricht sich, sie hat in das Ge­sicht von Frau Klu­ge ge­se­hen, sie sagt: »Und wenn ich Mist ge­macht habe, ich hel­fe Ih­nen auf der Stel­le, das Män­ne­ken raus­zu­schmei­ßen, Frau Klu­ge. Wir bei­de schaf­fen das doch wie nischt!«

      Eva Klu­ge macht eine ab­weh­ren­de Be­we­gung. »Ach, las­sen Sie schon, Frau Gesch, es ist ja doch al­les egal!«

      Sie geht lang­sam und vor­sich­tig zum Korb­stuhl und lässt sich in ihn sin­ken. Sie nimmt auch wie­der den Stopf­strumpf zur Hand, aber sie starrt ihn an, als wüss­te sie nicht, was das ist.

      Frau Gesch sagt ein we­nig ge­kränkt: »Na, denn gu­ten Abend oder Heil Hit­ler – ganz wie den Herr­schaf­ten das lie­ber ist!«

      Has­tig sagt Enno Klu­ge: »Heil Hit­ler!«

      Und lang­sam, als er­wa­che sie aus ei­nem Schlaf, ant­wor­tet Eva Klu­ge: »Gute Nacht, Frau Gesch.« Sie be­sinnt sich. »Und wenn wirk­lich was mit Ihrem Rücken ist«, setzt sie hin­zu.

      »Nee, nee«, ant­wor­tet Frau Gesch, schon vor der Tür, has­tig. »Mit dem Rücken ist nichts, das habe ich nur so ge­sagt. Aber ich misch mich ge­wiss nicht wie­der in die Sa­chen von an­de­ren Leu­ten. Ich seh’s ja doch: ich habe nie Dank da­von.«

      Da­mit hat sie sich aus der Tür ge­re­det; sie ist froh, von die­sen bei­den schwei­gen­den Ge­stal­ten fort­zu­kom­men, ihr Ge­wis­sen zwickt sie ein we­nig.

      Kaum ist die Tür hin­ter ihr zu, kommt Be­we­gung in den klei­nen Mann. Ganz selbst­ver­ständ­lich öff­net er den Schrank, macht da­durch einen Bü­gel frei, dass er zwei Klei­der sei­ner Frau über­ein­an­der hängt, und hängt da­für sei­nen Man­tel auf den Bü­gel. Die Sport­müt­ze legt er oben auf den Schrank. Er geht stets sehr sorg­fäl­tig mit sei­nen Sa­chen um, er hasst es, schlecht ge­klei­det zu sein, und er weiß, er kann sich nichts Neu­es kau­fen.

      Nun reibt er die Hän­de mit ei­nem be­hag­li­chen »Soso!« an­ein­an­der, geht zum Gas­herd und schnup­pert in den Töp­fen. »Fein!«, sagt er. »Brüh­kar­tof­feln mit Rind­fleisch – fein­fein!«

      Er macht eine Pau­se, die Frau sitzt be­we­gungs­los, dreht ihm den Rücken. Er legt lei­se wie­der den De­ckel auf den Topf, stellt sich ne­ben sie, so­dass er auf sie hin­un­ter re­det: »Nun sitz bloß nicht so da, Eva, als wenn du so ’ne Mar­mor­fi­gur wärst! Was ist denn schon los? Du hast für ein paar Tage wie­der ’nen Mann in der Woh­nung, ich werd dir schon kei­ne Sche­re­rei­en ma­chen. Und was ich dir ver­spro­chen habe, das hal­te ich. Ich will auch nichts von den Brüh­kar­tof­feln – höchs­tens, wenn ein klei­ner Rest bleibt. Und auch den nur, wenn du ihn mir frei­wil­lig gibst – ich bit­te dich nicht dar­um.«

      Die Frau ant­wor­tet ihm mit kei­nem Wort. Sie stellt den Stopf­korb in den Schrank zu­rück, setzt einen tie­fen Tel­ler auf den Tisch, füllt sich aus den Töp­fen auf und fängt lang­sam zu es­sen an. Der Mann hat sich an das an­de­re Ende des Ti­sches ge­setzt, ein paar Sport­zei­tun­gen aus der Ta­sche ge­zo­gen und macht sich No­ti­zen in ein dickes, schmie­ri­ges No­tiz­buch. Da­bei wirft er von Zeit zu Zeit einen ra­schen Blick auf die es­sen­de Frau. Sie isst sehr lang­sam, aber sie hat sich schon zwei­mal nach­ge­füllt, viel wird be­stimmt nicht über­blei­ben für ihn, und er hat Hun­ger wie ein Wolf. Den gan­zen Tag, nein, seit dem Abend vor­her hat er nichts ge­ges­sen. Der Mann von der Lot­te, der auf Ur­laub aus dem Fel­de kam, hat ihn ohne jede Rück­sicht auf sein Früh­stück mit Schlä­gen aus dem Bet­te ge­jagt.

      Aber er wagt es nicht, Eva von sei­nem Hun­ger zu spre­chen, er hat Angst vor der schwei­gen­den Frau. Ehe er sich hier erst rich­tig wie­der zu Hau­se füh­len kann, muss noch al­ler­lei ge­sche­hen. Dass die­ser Mo­ment kom­men wird, dar­an zwei­felt er nicht einen Au­gen­blick: man kriegt jede Frau rum, nur be­harr­lich muss man sein und sich viel ge­fal­len las­sen. Schließ­lich, ganz plötz­lich meist, ge­ben sie nach, ein­fach weil ih­nen das Weh­ren über ist.

      Eva Klu­ge kratzt die Res­te aus den Töp­fen aus. Sie hat es ge­schafft, sie hat das Es­sen für zwei Tage an ei­nem Abend ge­schafft, aber nun kann er sie doch nicht um die Res­te an­bet­teln! Dann er­le­digt sie rasch das biss­chen Ab­wasch, und nun fängt sie eine große Um­räu­me­rei an. Di­rekt vor sei­nen Au­gen bringt sie al­les, was ihr ein biss­chen wert ist, in die Kam­mer. Die Kam­mer hat ein fes­tes Schloss, in die Kam­mer ist er noch nie rein­ge­kom­men. Sie schleppt die Ess­vor­rä­te, ihre gu­ten Klei­der und Män­tel, das Schuh­werk, die Kis­sen vom Kana­pee, ja, so­gar das Bild mit den bei­den Jun­gen in die Kam­mer – al­les vor sei­nen Au­gen. Es ist ihr ganz egal, was er denkt oder sagt. In die Woh­nung ist er mit List ge­kom­men, aber viel soll er da­von nicht ha­ben.

      Dann schließt sie die Kam­mer­tür ab und holt sich das Schreib­zeug an den Tisch. Sie ist tod­mü­de, sie läge am liebs­ten im Bett, aber sie hat sich nun ein­mal vor­ge­nom­men, heu­te Abend an den Kar­le­mann zu schrei­ben, so tut sie’s. Sie kann nicht nur hart ge­gen ih­ren Mann, sie kann auch hart ge­gen sich sein.

      Sie hat erst ein paar Sät­ze ge­schrie­ben, da beugt sich der Mann über den Tisch und fragt: »An wen schreibs­te denn, Ev­chen?«

      Un­will­kür­lich ant­wor­tet sie ihm, trotz­dem sie sich fest vor­ge­nom­men hat, nicht mehr mit ihm zu spre­chen. »An Kar­le­mann …«

      »So«, sagt er und legt die Zei­tun­gen aus der Hand. »So, also an den schreibs­te und schickst ihm wo­mög­lich auch noch Päck­chen, aber für sei­nen Va­ter has­te nicht mal ’ne Kar­tof­fel und ’n Hap­pen Fleisch üb­rig, hung­rig wie der ist!«

      Sei­ne Stim­me hat et­was von ih­rem gleich­gül­ti­gen Klang ver­lo­ren, sie klingt, als sei der Mann jetzt ernst­lich be­lei­digt und in sei­nem Recht ge­kränkt, weil sie dem Soh­ne et­was gibt, das sie dem Va­ter vor­ent­hält.

      »Lass man, Enno«, sagt sie ru­hig. »Das ist mei­ne Sa­che, der Kar­le­mann ist ein ganz gu­ter Jun­ge …«

      »So!«, sagt er. »So! Und das hast du na­tür­lich ganz ver­ges­sen, wie er zu sei­nen El­tern war, als sie ihn erst zum Schar­füh­rer ge­macht hat­ten? Wie du ihm nichts mehr recht ma­chen konn­test und er uns als alte, dum­me Bür­ger aus­ge­lacht hat – al­les ver­ges­sen, wa, Ev­chen? Ein gu­ter Jun­ge, wahr­haf­tig, der Kar­le­mann!«

      »Mich hat er nie aus­ge­lacht!«, ver­tei­digt sie

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