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      Quan­gel über­sah die Hand des an­de­ren und mur­mel­te fast un­ver­ständ­lich: »Ei­li­ger Weg!«

      Da­bei ging er schon wei­ter, nach der Prenz­lau­er Al­lee zu. Die­ser läs­ti­ge Schwät­zer hat­te ihm ge­ra­de noch ge­fehlt!

      So leicht ließ sich der aber nicht ab­schüt­teln. Er lach­te me­ckernd und rief: »Da ha­ben wir ja den­sel­ben Weg, Quan­gel!« Und als der an­de­re, stur gra­de­aus star­rend, ei­lig weiter­schritt, setz­te er hin­zu: »Der Dok­tor hat mir näm­lich ge­gen mei­ne Hart­lei­big­keit viel Be­we­gung ver­ord­net, und al­lein rum­lau­fen, das lang­weilt mich!«

      Er fing nun an, weit­läu­fig und ge­nau zu schil­dern, was er al­les schon ge­gen sei­ne Hart­lei­big­keit ge­tan hat­te. Quan­gel hör­te gar nicht hin. Ihn be­schäf­tig­ten zwei Ge­dan­ken, und der eine ver­dräng­te im­mer wie­der den an­de­ren: dass er kei­nen Sohn mehr hat­te und dass Anna ge­sagt hat­te: du und dein Füh­rer. Quan­gel gab es sich zu: er hat­te den Jun­gen nie ge­liebt, wie ein Va­ter sei­nen Sohn zu lie­ben hat. Von der Ge­burt an hat­te er das Kind nur als Stö­rer sei­ner Ruhe und sei­ner Be­zie­hun­gen zu Anna emp­fun­den. Wenn er jetzt doch Schmerz fühl­te, so dar­um, weil er mit Un­ru­he an Anna dach­te, wie sie die­sen Tod auf­neh­men, was da­durch al­les ge­än­dert wer­den wür­de. Hat­te doch Anna schon zu ihm ge­sagt: Du und dein Füh­rer!

      Es stimm­te nicht. Hit­ler war nicht sein Füh­rer oder doch nicht mehr sein Füh­rer, als er An­nas Füh­rer war. Sie wa­ren sich im­mer ei­nig ge­we­sen, als er 1930 mit sei­ner klei­nen Tisch­ler­werk­statt ver­kracht war, dass der Füh­rer den Kar­ren aus dem Dreck ge­ris­sen hat­te. Nach vier Jah­ren Ar­beits­lo­sig­keit war er Werk­meis­ter in der großen Mö­bel­fa­brik ge­wor­den und brach­te jetzt alle Wo­chen sei­ne vier­zig Mark nach Hau­se. Da­mit ka­men sie gut aus. Das war durch den Füh­rer ge­kom­men, der hat­te die Wirt­schaft wie­der in Gang ge­bracht. Dar­über wa­ren sie sich im­mer ei­nig ge­we­sen.

      Er aber, der Werk­meis­ter Otto Quan­gel, war für Ge­rech­tig­keit. Je­der Mensch war ihm ein Mensch, und ob er in der Par­tei drin war, das hat­te da­mit gar nichts zu tun. Wenn er in der Werk­statt im­mer wie­der er­le­ben muss­te, dass dem einen ein klei­ner Feh­ler am Werk­stück schwer an­ge­krei­det wur­de und dass der an­de­re Pfusch über Pfusch ab­lie­fern durf­te, so em­pör­te ihn das stets von Neu­em. Er setz­te die Zäh­ne auf die Un­ter­lip­pe und nag­te wü­tend an ihr – wenn er’s ge­konnt hät­te, er wäre auch die­ses Pöst­chen in der DAF längst los ge­we­sen!

      Die Anna wuss­te das gut, dar­um hät­te sie das nie sa­gen dür­fen, dies Wort: Du und dein Füh­rer! Bei der Anna war al­les auch ganz an­ders ge­we­sen, sie hat­te ganz frei­wil­lig das Amt in der Frau­en­schaft über­nom­men, sie hat­te nicht ge­musst wie er. Gott ja, er ver­stand es, wie es dazu bei ihr ge­kom­men war. Zeit ih­res Le­bens war sie bloß ein Dienst­mäd­chen ge­we­sen, erst auf dem Lan­de, dann hier in der Stadt. Zeit ih­res Le­bens hat­te sie Trab lau­fen müs­sen und war kom­man­diert wor­den von an­de­ren. Und in ih­rer Ehe hat­te sie auch nicht viel zu sa­gen ge­habt, nicht etwa, weil er sie nun viel kom­man­diert hät­te, son­dern ein­fach weil sich um ihn, den Geld­ver­die­ner, nun ein­mal al­les dre­hen muss­te.

      Aber jetzt hat­te sie nun die­ses Amt in der Frau­en­schaft, und wenn sie auch hier ihre Be­feh­le von oben emp­fing, so hat­te sie doch nun eine Men­ge Mäd­chen und Frau­en und so­gar Da­men un­ter sich, de­nen nun sie kom­man­dier­te. Das mach­te ihr ein­fach Spaß, wenn sie da wie­der so eine fau­le Nichts­tue­rin mit rot­ge­lack­ten Fin­ger­nä­geln auf­ge­trie­ben hat­te, und sie konn­te sie in eine Fa­brik schi­cken. Wenn von ei­nem der Quan­gels über­haupt so ein Wort zu sa­gen war wie ›Du und dein Füh­rer‹, dann noch am ers­ten von der Anna.

      Ge­wiss, ge­wiss, auch sie hat­te schon längst ein Haar in der Sup­pe ge­fun­den und zum Bei­spiel ge­merkt, dass sich man­che von die­sen fei­nen Däm­chen ein­fach nicht zur Ar­beit schi­cken lie­ßen, weil sie zu gute Freun­de hat­ten oben. Oder es em­pör­te sie, wenn bei der Ver­tei­lung von war­mem Un­ter­zeug im­mer die­sel­ben dran­ka­men, und das wa­ren eben die mit dem Par­tei­buch. Auch Anna fand, dass die Ro­sent­hals an­stän­di­ge Leu­te wa­ren und solch ein Schick­sal nicht ver­dient hat­ten, aber dar­um dach­te sie doch nicht dar­an, ihr Amt auf­zu­ge­ben. Sie hat­te neu­lich erst ge­sagt, dass der Füh­rer gar nicht wüss­te, was sei­ne Leu­te da un­ten für Schwei­ne­rei­en be­gin­gen. Der Füh­rer konn­te nicht al­les wis­sen, und sei­ne Leu­te be­lo­gen ihn ein­fach.

      Aber nun war die­ser Tod von Ot­to­chen ge­kom­men, und mit Beun­ru­hi­gung spür­te Otto Quan­gel, dass von jetzt an al­les an­ders wer­den wür­de. Er sieht das kran­ke, gelb­lich wei­ße Ge­sicht An­nas vor sich, wie­der hört er ihre An­kla­ge, er ist jetzt zu ei­ner ganz un­ge­wohn­ten Stun­de un­ter­wegs, die­sen Schwät­zer Bark­hau­sen an der Sei­te, heu­te Abend ist die Tru­del bei ih­nen, es wird Trä­nen ge­ben, end­lo­ses Ge­re­de – und er, Otto Quan­gel, liebt doch so sehr das Gleich­maß des Le­bens, den im­mer glei­chen Ar­beits­tag, der mög­lichst gar kein be­son­de­res Er­eig­nis bringt. Schon der Sonn­tag ist ihm fast eine Stö­rung. Und nun soll al­les eine Wei­le durch­ein­an­der­ge­hen, und wahr­schein­lich wird die Anna nie wie­der die, die sie einst war. Das war zu tief aus ihr ge­kom­men, die­ses ›Du und dein Hit­ler‹. Das hat­te wie Hass ge­klun­gen.

      Er muss sich das al­les noch ein­mal ganz ge­nau über­le­gen, nur der Bark­hau­sen lässt ihn nicht dazu kom­men. Jetzt sagt die­ser Mann doch plötz­lich: »Sie sol­len ja auch einen Feld­post­brief be­kom­men ha­ben, und er soll nicht von Ihrem Otto ge­schrie­ben wor­den sein?«

      Quan­gel rich­tet den Blick sei­ner schar­fen, dunklen Au­gen auf den an­de­ren und mur­melt: »Schwät­zer!« Weil er aber mit nie­man­dem Streit be­kom­men will, selbst nicht mit solch ei­nem Gar­nichts wie dem Rum­ste­her Bark­hau­sen, setzt er halb wi­der­wil­lig hin­zu: »Die Leu­te schwat­zen alle viel zu viel!«

      Der Emil Bark­hau­sen ist nicht be­lei­digt, den Bark­hau­sen kann man so leicht nicht be­lei­di­gen, er stimmt eif­rig zu: »Sie sa­gen’s, wie’s ist, Quan­gel! Wa­rum kann die Klu­ge, die Brief­schlei­che, nicht das Maul­werk hal­ten? Aber nein, gleich muss sie al­len er­zäh­len: Die Quan­gels ha­ben einen Brief aus dem Fel­de mit Schreib­ma­schi­nen­schrift be­kom­men! Ist doch ge­nug, wenn sie er­zäh­len kann, dass Frank­reich ka­pi­tu­liert hat!« Er macht eine klei­ne Pau­se, und dann fragt er mit ei­ner ganz un­ge­wohn­ten halb­lau­ten, teil­neh­men­den Stim­me: »Ver­wun­det oder ver­misst oder …?«

      Er schweigt. Quan­gel aber – nach ei­ner län­ge­ren Pau­se – ant­wor­tet nur in­di­rekt auf die Fra­ge des an­de­ren: »Also Frank­reich

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