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oder einer Soldatenwitwe, die mir alle ihre erhobenen Hände entgegenstreckten. Furchtbare Gläubiger, mit denen wir weinen müssen und denen wir, wenn wir sie bezahlt haben, auch noch Beistand schulden. Am Abend vor dem Verfallstag hatte ich mich mit der falschen Ruhe derer schlafen gelegt, die sich auch vor ihrer Hinrichtung oder vor einem Duell immer noch in trügerischer Hoffnung wiegen. Aber als ich aufwachte, als ich kalten Blutes überlegte, als ich fühlte, wie meine Seele im Portefeuille eines Bankiers steckte, mit roter Tinte auf einer Liste voller Zahlen geschrieben stand, da sprangen mir meine Schulden von überallher wie Heuschrecken entgegen; sie saßen in meiner Uhr, meinen Sesseln oder in den Möbeln, die ich am liebsten hatte. Diese angenehmen Sklaven aus Holz und Stoff sollten also den Harpyien des Châtelet zur Beute fallen, sollten von Bütteln weggeschleppt und ungerührt versteigert werden. Ach, nur meine Hülle war noch ich selbst. Die Türklingel läutete in meinem Herzen, sie traf mich, wo man Könige treffen muß, am Kopf. Es war ein Martyrium, aber eins, dem kein Himmel als Lohn winkte. Jawohl, für einen Menschen, der ein Herz hat; sind Schulden die Hölle, eine Hölle mit Gerichtsvollziehern und Häschern des Schuldgerichts. Eine unbezahlte Schuld ist eine Niederträchtigkeit, ist der Anfang der Spitzbüberei und, schlimmer als all das: ist eine Lüge! Sie ist die Saat der Verbrechen, sie häuft die Bretter zum Schafott. Meine Wechsel gingen zu Protest. Drei Tage später bezahlte ich sie. Das ging so: Ein Spekulant schlug mir vor, ich sollte ihm die Insel verkaufen, die ich in der Loire besaß und auf der das Grab meiner Mutter stand. Ich willigte ein. Als ich bei dem Notar des Käufers den Vertrag unterzeichnete, spürte ich in dem dunklen Büro einen eisigen Hauch wie aus einer Gruft. Ich schauderte, als ich dieselbe feuchte Kälte spürte, die mich am Rand des Grabes erfaßt hatte, in dem mein Vater ruht. Ich nahm diesen Zufall für ein düsteres Vorzeichen. Mir war, als hörte ich die Stimme meiner Mutter und sähe ihren Schatten; eine mir unbekannte Macht ließ meinen eigenen Namen durch Glockengeläut hindurch an mein Ohr dringen. Vom Erlös meiner Insel blieben mir nach Bezahlung aller Schulden noch 2000 Francs. Gewiß hätte ich nun zu meiner friedlichen Gelehrtenexistenz in meine Mansarde zurückkehren können, nachdem ich das Leben erprobt, den Kopf voll wichtiger und reicher Beobachtungen hatte und schon eine gewisse Berühmtheit genoß. Aber Fœdora hatte ihre Beute nicht fahrenlassen. Wir waren uns oft begegnet. Ich hatte dafür gesorgt, daß ihre Liebhaber, die über meinen Geist, meine Pferde, meine Erfolge, meine Equipagen erstaunt waren, ihr ständig mit meinem Namen in den Ohren lagen. Sie blieb bei allem kalt und gefühllos, selbst als Rastignac ihr gegenüber die schreckliche Bemerkung machte: »Er richtet sich um Ihretwillen zugrunde!« Ich beauftragte die ganze Welt mit meiner Rache, aber ich war nicht glücklich. Indem ich mich so dem Leben bis in seinen Schlamm hinein hingab, ersehnte ich noch immer die Wonnen einer erwiderten Liebe, und diesem Lockbild jagte ich in all meinen Ausschweifungen und Orgien nach. Zu meinem Unglück wurde ich in meinen schönen Hoffnungen getäuscht, für meine Wohltaten mit Undank bestraft und für meine Fehler mit tausend Genüssen belohnt! Eine unselige Philosophie, für den Wüstling aber wahr! Und schließlich hatte Fœdora mich mit dem Gift ihrer Eitelkeit angesteckt. Als ich meine Seele ergründete, fand ich sie brandig und faulig. Der Teufel hatte mir seine Klaue auf die Stirn gedrückt. Es war mir fortan unmöglich, auf die ständigen Erregungen eines in jedem Moment auf die Waagschale geworfenen Lebens und auf die fluchwürdigen Raffinessen des Reichtums zu verzichten. Wäre ich Millionär gewesen, hätte ich unablässig gespielt, geschwelgt und mich umhergetrieben. Ich wollte nicht mehr mit mir allein bleiben. Ich brauchte Mätressen, falsche Freunde, Wein, gutes Essen, um mich zu betäuben. Familiäre Bande waren in mir für immer zerrissen. Ein Galeerensträfling des Genusses, mußte ich meine Bestimmung, meinen Selbstmord bis zu Ende ausführen. Während der letzten Tage, an denen ich noch Geld besaß, überließ ich mich jeden Abend unglaublichen Ausschweifungen; aber an jedem Morgen warf mich der Tod wieder ins Leben zurück. Wie der Inhaber einer Leibrente hätte ich ruhig eine Feuersbrunst durchschreiten können. Zuletzt fand ich mich mit einem 20-Francs-Stück allein, da erinnerte ich mich des Glücks, das Rastignac gehabt hatte … Holla!« rief Raphael, dem mit einemmal wieder sein Talisman einfiel. Er zog ihn aus der Tasche.

      Ob er nun, von den Kämpfen dieses langen Tages erschöpft, nicht mehr die Kraft besaß, benebelt von Wein- und Punschdünsten, seinen Verstand zu meistern, oder ob er sich, durch den Blick auf sein Leben erregt, unmerklich am Strom seiner Worte berauscht hatte, jedenfalls war Raphael außer sich und geriet in Rage, als hätte er Sinn und Verstand verloren. »Zum Teufel mit dem Tod!« schrie er und fuchtelte mit dem Leder in der Luft herum. »Jetzt will ich leben! Ich bin reich, ich habe alle Tugenden. Nichts kann mir widerstehen. Wer wäre nicht gut, wenn er alles kann? Holla, Heda! Ich habe mir 200000 Livres Jahreseinkommen gewünscht, ich werde sie haben. Respekt vor mir, ihr Schweine, die ihr euch auf diesem Teppich wälzt, als wäre es ein Misthaufen! Ihr gehört mir, seid mein vortrefflicher Besitz! Ich bin reich, ich kann euch alle kaufen, selbst den Deputierten, der dort schnarcht. Auf, auf, ihr Lumpengesindel der vornehmen Welt, auf die Knie! Ich bin der Papst!«

      Raphaels Geschrei, das bis dahin im Basso continuo des allgemeinen Schnarchkonzerts untergegangen war, fand plötzlich Gehör. Die meisten Schläfer fuhren hoch und stießen laute Verwünschungen aus; sie erblickten den Störenfried, der auf unsicheren Beinen schwankte, und überschütteten seinen lärmenden Rausch mit einem Konzert von Flüchen.

      »Schweigt!« rief Raphael. »Hunde, kuscht euch! – Émile, ich habe Schätze, ich werde dir Havannazigarren schenken.«

      »Ich höre dich«, antwortete der Dichter, »Fœdora oder der Tod! Nur immerzu! Diese Zierpuppe Fœdora hat dich betrogen. Alle Weiber sind Evastöchter. Deine Geschichte ist nicht im mindesten dramatisch.«

      »Ah! Du hast geschlafen, du Duckmäuser?«

      »Nein … Fœdora oder der Tod! Ich hab's begriffen!«

      »Wach auf!« rief Raphael und berührte Émile mit dem Chagrinleder, als wolle er ein elektrisches Fluidum auf ihn einströmen lassen.

      »Donnerwetter!« rief Émile, stand auf und packte Raphael mit den Armen, »denke doch daran, Freundchen, daß du mit anrüchigen Frauenzimmern zusammen bist.«

      »Ich bin Millionär!« »Wenn du auch kein Millionär bist, betrunken bist du todsicher.«

      »Trunken von Macht! Ich kann dich töten! Schweig, ich bin Nero! Ich bin Nebukadnezar!«

      »Aber Raphael, wir sind in schlechter Gesellschaft, du solltest endlich Ruhe geben, aus Achtung vor dir selbst.«

      »Mein Leben ist ein zu langes Schweigen gewesen. Jetzt will ich mich an der ganzen Welt rächen. Ich werde mich nicht damit vergnügen, elende Taler zum Fenster hinauszuwerfen, ich werde meine Zeit nachahmen, sie konzentrieren und Menschenleben und Menschengeist und Menschenseelen verprassen. Das ist doch ein Luxus, der nicht armselig ist, was? Das ist der Überfluß der Pest! Ich werde mit dem gelben, blauen und grünen Fieber kämpfen, mit Armeen und Schafotten. Ich kann Fœdora haben. Aber nein, ich will Fœdora nicht, Fœdora ist meine Krankheit, mein Tod! Ich will Fœdora vergessen.«

      »Wenn du mit deinem Geschrei nicht aufhörst, trage ich dich in den Speisesaal.«

      »Siehst du diese Haut hier? Das ist das Vermächtnis Salomos. Salomo gehört mir, dieser lumpige Pedant von einem König gehört mir! Arabien und Peträa dazu. Das ganze Universum gehört mir. Du gehörst mir, wenn ich will. Du, wenn ich will, nimm dich in acht! Ich kann deine ganze Journalistenbude kaufen, und du wirst mein Lakai. Dann mußt du mir Couplets dichten und meine Papiere ordnen. Lakai! Lakai! – das heißt: ›Es geht ihm gut, weil er an nichts denkt.‹«

      Bei diesen Worten schleppte Émile Raphael in den Speisesaal.

      »Schön, du hast recht, Freundchen, ich bin dein Lakai. Aber du sollst Chefredakteur einer Zeitung werden, schweig! Benimm dich gesittet, aus Rücksicht auf mich. Hast du mich lieb?«

      »Ob ich dich liebhabe? Du sollst Havannazigarren haben, durch dieses Leder hier. Immer das Leder, Freundchen, das allmächtige Leder! Ein vortreffliches Pflaster, ich kann die Hühneraugen mit ihm wegbringen. Hast du Hühneraugen? Ich entferne sie dir.«

      »Ich habe dich nie so albern gesehen.«

      »Albern, Freundchen? Nein. Dieses Leder wird kleiner, wenn ich einen Wunsch habe … das ist eine Antinomie. Der Brahmane – es steckt ein Brahmane dahinter! –, der war doch

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