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einen Augenblick schenken? Haben Sie mir nichts mehr zu sagen? Können Sie mir nicht eines Ihrer Vergnügen opfern?« Er ging. »Ach!« rief sie und gähnte, »wie langweilig sie alle sind!« Sie zog heftig an einer Schnur, und eine Klingel ertönte. Die Comtesse trat in ihr Schlafzimmer und trällerte die Melodie »Pria che spunti«. Nie hatte sie jemand singen hören, und dieses Nichtsingen hatte zu absonderlichen Deutungen geführt. Man sagte, sie hätte ihrem ersten Liebhaber, der von ihrem Talent entzückt und übers Grab hinaus eifersüchtig gewesen wäre, versprochen, niemandem ein Glück zu gewähren, das er allein genossen haben wollte. Ich spannte alle Kräfte meiner Seele an, um die Klänge in mich aufzunehmen. Von Note zu Note sang sie voller, schien Fœdora lebhafter, der Reichtum ihrer Kehle entfaltete sich, und die Melodie gewann etwas Göttliches. Die Comtesse hatte eine klare, reine Stimme und etwas Harmonisches und Vibrierendes in ihrem Organ, das das Herz bewegte und wonnig berührte. Musizierende Frauen sind fast immer verliebt. Wer aber so sang wie sie, mußte sehr wohl zu lieben wissen. Die Schönheit dieser Stimme war also ein Geheimnis mehr an dieser Frau, die schon so geheimnisvoll genug war. Ich sah sie damals, wie ich dich sehe; sie schien sich selbst zu lauschen und dabei eine eigene Wollust zu empfinden wie in einem Liebesrausch. Sie ging an den Kamin, während sie das Hauptmotiv dieses Rondo zu Ende sang; aber als sie nun schwieg, veränderte sich ihr Gesichtsausdruck, ihre Züge erschlafften, und sie sah müde aus. Sie legte eine Maske ab, die Schauspielerin hatte ihre Rolle beendet. Indessen war dieses Welkwerden ihrer Schönheit nach dem kunstvollen Gesang oder infolge des anstrengenden Abends nicht ohne Reiz. – »So also ist sie in Wahrheit«, dachte ich. Sie stellte, wie um sich zu wärmen, einen Fuß auf die Bronzestange des Kaminschirms, zog ihre Handschuhe aus, legte die Armbänder ab und streifte eine goldene Kette, an der ihre mit kostbaren Steinen besetzte Riechdose hing, über den Kopf. Ich empfand unsägliches Vergnügen, ihre Bewegungen zu verfolgen, deren geschmeidige Anmut an eine Katze erinnerte, die sich in der Sonne putzt. Sie besah sich im Spiegel und sagte laut und mißvergnügt: »Ich sah heute abend nicht gut aus, mein Teint welkt erschreckend schnell. Ich sollte mich vielleicht früher schlafen legen, diesem liederlichen Leben ein Ende setzen. Aber was fällt denn Justine ein?« Sie klingelte noch einmal; die Zofe kam herbeigeeilt. Wo war ihr Zimmer? Ich weiß nicht. Sie war über eine geheime Treppe gekommen. Ich war neugierig, sie zu betrachten. Meine Dichterphantasie hatte diese unsichtbare Dienerin, eine große, hübsch gebaute Brünette, oftmals in schlimmem Verdacht gehabt. – »Madame haben geklingelt?« – »Zweimal«, antwortete Fœdora; »du bist wohl auf einmal taub?« – »Ich bereitete die Mandelmilch für Madame.« Justine kniete sich nieder, löste die kreuzweise geschlungenen Schnürbänder und zog dann ihrer Herrin die Schuhe aus, die sich indes in einem Lehnstuhl am Kamin rekelte, gähnte und sich den Kopf kratzte. Alles in diesen Bewegungen war durchaus natürlich, und kein Zeichen verriet mir die geheimen Schmerzen oder die Leidenschaften, die ich vermutet hatte. – »Georg ist verliebt«, sagte sie, »ich muß ihn entlassen. Hat nicht er heute abend noch die Vorhänge herabgelassen? Was fällt ihm ein?« Als ich das hörte, strömte mir alles Blut zum Herzen; aber es war weiter keine Rede mehr von den Vorhängen. »Das Leben ist sehr schal«, fuhr die Comtesse fort. »Au! gib acht, daß du mich nicht wieder kratzt wie gestern. Hier, sieh mal her«, sagte sie und zeigte ihr ein kleines Knie, das wie Atlas schimmerte, »da hab ich noch den Stempel deiner Ungeschicklichkeit.« Sie fuhr mit ihren nackten Füßen in die mit Schwanenpelz gefütterten Samtpantoffel und zog ihr Kleid aus, während Justine einen Kamm nahm, um ihr die Haare zu ordnen. – »Sie müssen heiraten, Madame, und Kinder bekommen.« – »Kinder! Das fehlte mir gerade noch!« rief sie. »Einen Mann! Wo ist der Mann, dem ich mich … War ich gut frisiert heute abend?« – »Nicht sehr gut.« – »Du bist dumm.« – »Nichts steht Ihnen schlechter, als wenn Sie Ihr Haar zu sehr kräuseln«, erwiderte Justine. »Große, lange Locken kleiden Sie viel besser.« – »Wirklich?« – »Gewiß, Madame, feingekräuseltes Haar steht nur Blondinen.« »Mich verheiraten? Nein, nein! Die Ehe ist ein Schacher, für den ich nicht geschaffen bin.« Was für eine schreckliche Szene für einen Liebenden! Diese einsame Frau, ohne Eltern, ohne Freunde, eine Atheistin der Liebe, die an keine Empfindung glaubte und, so schwach auch in ihr das jedem menschlichen Wesen eigene Bedürfnis, sein Herz zu ergießen, sein mochte, um es zu befriedigen, war sie gezwungen, mit ihrer Zofe zu plaudern, ein paar trockene Redensarten oder Nichtigkeiten zu sagen! Sie tat mir leid. Justine schnürte sie auf. Ich betrachtete sie neugierig, als der letzte Schleier weggenommen wurde. Sie hatte einen jungfräulichen Busen, der mich blendete; beim Schein der Kerze schimmerte ihr weißer und rosiger Körper durch das Hemd durch wie eine Silberstatue unter einer Gazehülle. Nein, keinerlei Unvollkommenheit mußte sie die verstohlenen Blicke der Liebe fürchten lassen. Ach, ein schöner Körper siegt immer über die heldenhaftesten Entschlüsse. Die Herrin saß stumm und nachdenklich vor dem Feuer, während die Zofe die Kerze der Alabasterlampe, die vor dem Bett hing, anzündete. Justine holte eine Wärmflasche, machte das Bett zurecht und half ihrer Herrin, sich schlafen zu legen; dann hatte sie noch allerlei kleine Dienste zu verrichten, die von der tiefen Verehrung zeugten, die Fœdora für sich selber hegte, und ging schließlich. Die Comtesse warf sich ein paarmal hin und her; sie war aufgeregt, sie seufzte; von ihren Lippen drang ein leichtes Geräusch, das ihre Ungeduld verriet; sie streckte die Hand nach dem Tisch aus, nahm ein Fläschchen und goß einige Tropfen eines braunen Saftes in ihre Milch, ehe sie trank; endlich nach etlichen qualvollen Seufzern rief sie: »Mein Gott!« Dieser Ausruf und vor allem der Ton, der darin lag, fielen mir schwer aufs Herz. Unversehens lag sie ganz reglos. Ich bekam Angst; aber bald vernahm ich den gleichmäßigen und tiefen Atem der Schlafenden; ich schlug die rauschende Seide der Vorhänge zurück, verließ meinen unbequemen Posten und stellte mich an das Fußende ihres Bettes. Ich betrachtete sie mit einem unbeschreiblichen Gefühl. Sie war entzückend, wie sie so dalag. Sie hatte den Kopf wie ein Kind auf den Arm gelegt; ihr ruhiges, schönes Antlitz, in Spitzen gehüllt, hatte einen solchen Liebreiz, daß ich hingerissen war. Ich hatte mir zuviel zugetraut und hatte nicht bedacht, welche Marter ich auszustehen hatte: ihr so nahe und zugleich so fern zu sein! Ich mußte alle Qualen erleiden, die ich mir selbst geschaffen hatte. »Mein Gott!« dieses Bruchstück eines unbekannten Gedankens, das ich nun als einzige Erleuchtung mit mir nehmen sollte, hatte mit einem Schlage meine Meinung über Fœdora geändert. Dieses Wort konnte unbedeutend oder tief, inhaltlos oder voller Wirklichkeit sein, konnte sich auf Glück oder auf Kummer, auf körperliches oder seelisches Leid beziehen. War es ein Fluch oder ein Gebet, Erinnerung oder Zukunft, Reue oder Furcht? Ein ganzes Leben lag in diesem Wort, ein Leben in Armut oder Reichtum; es konnte sogar ein Verbrechen bedeuten! Das Rätsel, das in diesem schönen Frauenbild verborgen lag, war wiedererstanden; Fœdora konnte auf so viele Arten erklärt werden, daß sie unerklärlich wurde. Die Züge ihres Atems, die schwach oder stark, schwer oder leicht von ihren Lippen kamen, formten eine Art Sprache, an die ich Gedanken und Gefühle knüpfte. Ich träumte mit ihr und hoffte, in ihre Geheimnisse einzudringen, indem ich mich in ihren Schlaf schlich, ich schwankte zwischen tausend widersprüchlichen Entschlüssen, zwischen tausend verschiedenen Urteilen. Wenn ich dieses schöne Gesicht in seiner Reinheit und Ruhe sah, konnte ich dieser Frau unmöglich ein Herz absprechen. Ich beschloß, noch einen Versuch zu unternehmen. Ich wollte ihr von meinem Leben, meiner Liebe, all meinen Opfern erzählen; vielleicht, daß ich Mitgefühl in ihr erwecken, ihr eine Träne entlocken konnte, ihr, die niemals weinte. Ich war dabei, all meine Hoffnungen auf diese letzte Probe zu setzen, da kündete mir der Lärm von der Straße, daß der Tag anbrach. Einen Augenblick lang stellte ich mir vor, wie Fœdora in meinen Armen erwachte. Ich konnte mich sachte neben sie legen, mich an sie schmiegen und sie umarmen. Diese Vorstellung quälte mich so fürchterlich, daß ich, um ihr zu entrinnen, in den Salon flüchtete, ungeachtet der Geräusche, die ich hervorrief; zum Glück gelangte ich an eine Tapetentür, die zu einer kleinen Treppe führte. Wie vermutet, steckte der Schlüssel im Schloß; ich riß die Tür auf, eilte beherzt in den Hof hinunter und sprang, ohne mich darum zu kümmern, ob mich jemand sah, in drei Sätzen auf die Straße. Zwei Tage später sollte ein Schriftsteller bei der Comtesse ein Lustspiel vorlesen. Ich ging in der Absicht hin, als Letzter zu bleiben, um ihr ein recht sonderbares Anliegen vorzutragen; ich wollte sie bitten, mir den Abend des nächsten Tages zu widmen; ihre Tür sollte für jeden anderen geschlossen bleiben. Als ich mit ihr allein war, sank mein Mut. Jeder Pendelschlag der Uhr machte mir Angst. Es war dreiviertel Zwölf. – »Wenn ich jetzt nicht mit ihr spreche«, sagte ich zu mir selbst, »schlag ich mir den Schädel an der Kaminecke ein.« Ich bewilligte mir drei

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