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innerer Unruhe, obgleich scheinbar ruhig, war sie ein Opfer der Mode: ihre Loge, ihr Hut, ihr Wagen, ihre Person waren ihr alles. Man begegnet zuweilen Menschen von riesenhaftem Körperbau, die in einer ehernen Brust ein weiches liebevolles Herz bergen; aber sie barg ein ehernes Herz unter ihrer zarten, anmutigen Hülle. Meine verhängnisvolle Menschenkenntnis riß viele Schleier von meinen Augen. Wenn der gute Ton darin besteht, sich selbst um des anderen willen zu vergessen, in Stimme und Gebärde eine ständige Sanftmut walten zu lassen, den anderen zu gefallen, indem man ihr Selbstbewußtsein befriedigt, so war es Fœdora trotz ihrer Klugheit nicht gelungen, jede Spur ihrer plebejischen Herkunft auszulöschen: ihre Selbstvergessenheit war Falschheit; ihre Manieren waren nicht angeboren, sondern mühselig erworben; kurz, ihre Höflichkeit roch nach Liebedienerei. Für ihre Günstlinge waren ihre honigsüßen Reden freilich der Ausdruck von Güte, ihre affektierte Überspanntheit edler Enthusiasmus. Ich allein hatte ihre Grimassen studiert, ich hatte die dünne Rinde, die der Welt genügte, von ihrem Inneren abgezogen und ließ mich von ihrem heuchlerischen Schöntun nicht mehr täuschen: ich hatte ihre Katzenseele durchschaut. Wenn irgendein alberner Tropf ihr Komplimente machte, sie pries, schämte ich mich für sie. Und ich liebte sie trotz allem! Ich hoffte, das Eis ihres Herzens mit dem Hauch der Dichterliebe zu schmelzen. Wenn ich ihr Herz einmal nur weiblicher Zärtlichkeit öffnen, sie der himmlischen Kraft der Hingebung hätte empfänglich stimmen können, dann wäre sie vollkommen, wäre mir wie ein Engel erschienen. Ich liebte sie als Mann, als Liebhaber, als Künstler, während man, um sie zu erlangen, sie gar nicht hätte lieben müssen; ein seelenloser Geck, ein kaltsinniger Rechner hätte sie vielleicht bezwungen. Eitel und intrigant, wie sie war, hätte sie zweifellos auf die Sprache der Eitelkeit gehört und sich in den Fallstricken einer Intrige fangen lassen; ein trockener, frostiger Geselle hätte sie zu beherrschen vermocht. Brennender Schmerz durchbohrte mein Herz, wenn sie mir so unbefangen ihren Egoismus enthüllte. Tiefbewegt erkannte ich, daß sie eines Tages allein im Leben dastehen würde, ohne zu wissen, wem sie die Hand reichen sollte, ohne freundlichen Blicken zu begegnen, in denen die ihren ruhen könnten. Eines Abends fand ich den Mut, ihr in lebhaften Farben ihr verödetes, einsames und leeres Alter auszumalen. Angesichts solcher schrecklichen Rache der hintergangenen Natur sagte sie etwas Abscheuliches: »Ich werde immer Geld haben. Mit Geld aber können wir immer die Gefühle um uns schaffen, die zu unserem Wohlbehagen nötig sind.« Ich ging fort, niedergeschmettert von der Logik dieses Luxus, dieser Frau, dieser Welt, überhäufte mich mit Vorwürfen, daß ich sie so hirnverbrannt vergötterte. Ich liebte ja die arme Pauline auch nicht; hatte die reiche Fœdora nicht das Recht, den armen Raphael zurückzuweisen? Unser Gewissen ist ein unfehlbarer Richter, wenn wir es noch nicht gemordet haben. – »Fœdora«, rief mir eine sophistische Stimme zu, »liebt niemanden und weist niemanden zurück; sie ist frei, aber ehedem hat sie sich für Gold verkauft. Der russische Graf, mag er Gatte oder Liebhaber gewesen sein, hat sie besessen. Warte es ab!« Ohne Tugend und ohne Laster lebte diese Frau fern von der Menschheit, in einer Sphäre für sich, einer Hölle oder einem Paradies. Dieses weibliche Rätsel in Kaschmir und Stickereien setzte alle menschlichen Triebkräfte in mir in Bewegung: Stolz, Ehrgeiz, Liebe, Neugierde. Eine Modelaune oder die Manie, originell zu erscheinen, von der wir alle besessen sind, hatte uns dazu getrieben, ein kleines Boulevardtheater zu bevorzugen. Die Comtesse äußerte den Wunsch, die bepuderte Physiognomie eines Mimen zu sehen, den einige Leute von Geist himmlisch fanden, und mir ward die Ehre zuteil, sie zur Premiere irgendeiner miesen Posse zu begleiten. Die Loge kostete kaum 100 Sous, doch besaß ich nicht einen lumpigen Heller. Da ich noch einen halben Band Memoiren zu schreiben hatte, wagte ich nicht, Finot um Geld anzugehen, und Rastignac, mein helfender Engel, war verreist. Diese beständige Verlegenheit machte mein ganzes Leben zum Fluch. Einmal, als wir aus der Oper kamen und es schrecklich regnete, hatte Fœdora einen Wagen für mich vorfahren lassen, ohne daß ich mich diesem eitlen Liebesdienst hätte entziehen können: sie ließ keine meiner Entschuldigungen gelten, weder meine Vorliebe für den Regen noch den Einwand, daß ich spielen gehen wolle. Sie ahnte nichts von meiner Not; sie erriet sie nicht aus meiner verlegenen Haltung und nicht aus meinen traurig scherzenden Worten. Meine Augen brannten schamvoll, aber verstand sie einen einzigen meiner Blicke? Das Leben der jungen Leute ist sonderbaren Launen unterworfen! Auf der Fahrt beschwor jede Umdrehung der Räder Gedanken in mir herauf, die mir das Herz verzehrten; ich versuchte, aus dem Boden des Wagens ein Brett zu lösen, in der Hoffnung, auf das Pflaster gleiten zu können; aber da ich auf unüberwindliche Hindernisse stieß, fing ich krampfhaft zu lachen an und verharrte dann in einer düsteren Ruhe, stumpf, wie ein Mensch am Pranger. Als ich zu Hause angelangt war, unterbrach mich Pauline bei den ersten Worten, die ich stammelte, und sagte: »Wenn es Ihnen an Geld fehlt…?« Oh! Rossinis Musik war nichts gegen diese Worte. Aber zurück zum Theâtre des Funambules. Um die Comtesse dort hinführen zu können, wollte ich den goldenen Rahmen vom Bild meiner Mutter verpfänden. Das Leihhaus stelle ich mir von jeher wie eins der Tore zum Bagno vor; aber es war immer noch besser, sogar mein Bett dahin zu tragen, als Almosen zu erbetteln. Der Blick eines Menschen, den man um Geld bittet, tut so weh! Manche Darlehen kosten uns unsere Ehre, wie manch abschlägiger Bescheid aus Freundesmund uns eine letzte Illusion raubt. Pauline arbeitete, ihre Mutter hatte sich zur Ruhe begeben. Nach einem flüchtigen Blick auf das Bett, dessen Vorhänge leicht zurückgezogen waren, glaubte ich Madame Gaudin fest eingeschlafen, da ich ihr gelbes ruhiges Profil auf dem Kopfkissen wahrnahm. – »Sie haben Kummer?« fragte Pauline und legte den Pinsel auf ihre Malarbeit. – »Gutes Kind, Sie können mir einen großen Gefallen erweisen«, erwiderte ich ihr. Sie sah mich so beglückt an, daß ich erzitterte. »Sollte sie mich lieben?« dachte ich. »Pauline«, begann ich von neuem und setzte mich nun nahe zu ihr, um sie auszuforschen. Sie erriet, was ich wollte, so eindringlich fragend war mein Ton; sie senkte die Augen, und ich sah sie prüfend an. Ich glaubte in ihrem Herzen lesen zu können wie in meinem eigenen, denn der Ausdruck ihres Antlitzes war rein und unschuldig. – »Sie lieben mich?« fragte ich endlich. – »Ein bißchen, über alle Maßen, gar nicht!« rief sie. Sie liebte mich nicht. Ihr neckischer Ton und ihre possierlichen Gebärden zeugten nur von der mutwilligen Dankbarkeit eines jungen Mädchens. Ich gestand ihr also meine schlimme Lage, die Verlegenheit, in der ich mich befand, und bat sie, mir zu helfen. – »Wie, Monsieur Raphael«, rief sie, »Sie wollen nicht aufs Leihhaus gehen und schicken mich!« Ich errötete. Ihre kindliche Logik setzte mich in Verlegenheit. Dann ergriff sie meine Hand, als wolle sie die Wahrheit ihres Ausrufs durch eine Zärtlichkeit wiedergutmachen. – »Oh!« fuhr sie dann fort, »ich ginge schon gern, aber der Gang ist unnötig. Heute morgen habe ich hinter dem Klavier zwei 100-Sous-Stücke gefunden, die Sie wohl aus Versehen zwischen Wand und Scheuerleiste rollen ließen; ich habe sie Ihnen auf ihren Tisch gelegt.«

      »Sie werden gewiß bald Geld bekommen, Monsieur Raphael«, sagte nun die gute Mutter und steckte den Kopf durch die Vorhänge, »ich kann Ihnen inzwischen gut und gern ein paar Taler leihen.« – »O Pauline!«, rief ich und drückte ihr die Hand, »ich wollte, ich wäre reich!« – »Bah! Warum denn?« rief sie keck. Ihre Hand zitterte in meiner und erwiderte alle Schläge meines Herzens; sie zog ihre Finger rasch zurück und betrachtete prüfend meine Hand. »Sie werden eine reiche Frau heiraten«, sagte sie dann, »aber sie wird Ihnen viel Kummer machen. O mein Gott! sie wird Sie töten! Das weiß ich sicher.« In ihrem Aufschrei lag ein gewisser Glauben an die närrischen Prophezeiungen ihrer Mutter. – »Sie sind sehr leichtgläubig, Pauline!« – »Oh, ganz sicher«, versetzte sie und sah mich entsetzt an, »die Frau, die Sie lieben, wird Sie töten!« Sie griff wieder zu ihrem Pinsel, tauchte ihn, tiefbewegt, in die Farbe und sah mich nicht mehr an. In diesem Augenblick hätte ich schon an derlei Hirngespinste glauben mögen. Ein Mensch ist nicht so elend dran, wenn er abergläubisch ist. Der Aberglaube ist oft eine Hoffnung. In meinem Zimmer sah ich in der Tat zwei prächtige Taler auf dem Tisch liegen, deren Dasein mir unerklärlich schien. In den wirren Gedanken während des Einschlafens ging ich meine Ausgaben durch, um diesen unerhofften Fund zu rechtfertigen, aber in vergebliche Rechnereien verloren, schlief ich ein. Am nächsten Morgen kam Pauline, als ich gerade ausgehen wollte, um eine Loge zu bestellen. »Vielleicht reichen Sie mit zehn Francs nicht aus«, sagte das liebe, holde Kind errötend, »im Auftrag meiner Mutter soll ich Ihnen dieses Geld anbieten. Nehmen Sie, nehmen Sie!« Sie legte drei Taler auf den Tisch und wollte eiligst hinaus; aber ich hielt sie fest. Bewunderung trocknete die Tränen, die mir in die Augen traten. »Pauline«, rief ich, »Sie sind ein Engel! Dieses Darlehn rührt mich nicht so tief wie das Zartgefühl, mit dem Sie es mir bieten.

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