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ich einer verhängnisvollen Leidenschaft entsagen, die mich töten wird. Vielleicht werden Sie damit recht behalten« – »Genug!« rief sie. Sie entfloh, und ihre Nachtigallenstimme, ihr frisches Trällern klang von der Treppe her wider. – »Wie glücklich sie ist, daß sie noch nicht liebt!« sagte ich zu mir selbst und dachte an die Qualen, die ich seit mehreren Monaten ausstand. Die 15 Francs Paulines erwiesen sich mir als sehr wertvoll. Als Fœdora an die plebejischen Dünste dachte, die wir in dem Saal ein paar Stunden lang ertragen sollten, bedauerte sie, kein Bukett zu haben; ich holte ihr die Blumen und brachte ihr damit mein Leben und mein ganzes Vermögen dar. Ich empfand Reue und Vergnügen zugleich, als ich ihr den Strauß brachte, dessen Preis mich lehrte, wie kostspielig die oberflächliche Galanterie der vornehmen Welt ist. Bald darauf klagte sie über den aufdringlichen Duft des mexikanischen Jasmins; als sie den Saal erblickte, packte sie ein unerträglicher Widerwille, und als sie auf der harten Bank Platz genommen hatte, machte sie mir Vorwürfe, daß ich sie dorthin geführt hatte. Was scherte es sie, daß sie mit mir zusammen war; sie wollte gehen, und sie ging. Nächtelang hatte ich nicht geschlafen, zwei Monate meiner Existenz verschwendet und keine Gnade vor ihren Augen gefunden! Nie war dieser Teufel anmutiger und liebloser gewesen. Unterwegs, als ich neben ihr in dem engen Coupé saß, atmete ich ihren Atem, berührte ihren parfümierten Handschuh, sah all die Herrlichkeiten ihrer Schönheit, spürte einen süßen Duft wie von Schwertlilien: ganz ein Weib und ganz und gar kein Weib. In diesem Augenblick zuckte es wie ein Blitz durch meine Seele, und ich schaute in die Tiefen dieses geheimnisvollen Daseins. Ich dachte an das jüngst erschienene Buch eines Dichters, ein wahres Kunstwerk, wie nach der Statue des Polyklet geschaffen. Ich glaubte jenes Ungeheuer vor mir zu sehen, das bald als Offizier ein feuriges Roß bändigt, bald als junges Mädchen sich herausputzt und seine Liebhaber zur Verzweiflung treibt, bald selbst als Liebhaber eine sanfte und ehrbare Jungfrau ins Elend stürzt. Da ich Fœdora nicht mehr anders enträtseln konnte, erzählte ich ihr diese phantastische Geschichte; nichts jedoch verriet ihre Ähnlichkeit mit dieser Dichtung des Unmöglichen, sie fand ganz treuherzig ihren Spaß daran, wie ein Kind an einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. – »Wenn Fœdora«, sagte ich auf dem Nachhauseweg zu mir, »der Liebe eines Mannes in meinem Alter, dem zündenden Feuer, das von Seele zu Seele springt, widerstehen kann, muß sie unter dem Schutz irgendeines Geheimnisses stehen. Vielleicht ist sie von Krebs befallen, wie Lady Delacour? Wie auch immer, sie führt ein künstliches Leben.« Bei diesem Gedanken überlief es mich kalt. Und nun ersann ich den ausgefallensten und zugleich vernünftigsten Plan, auf den ein Liebender je verfallen ist. Um den Körper dieser Frau zu prüfen, wie ich ihren Geist erforscht hatte, um sie endlich ganz kennenzulernen, beschloß ich, ohne ihr Wissen eine Nacht in ihrem Haus, in ihrem Schlafgemach zuzubringen. Dieses Unternehmen, das mir an der Seele nagte, wie Rachsucht am Herzen eines korsischen Mönches, führte ich folgendermaßen durch. An ihren Empfangstagen hatte Fœdora eine so zahlreiche Gesellschaft bei sich, daß es dem Portier unmöglich war, genau festzustellen, ob alle Gäste auch wieder fortgingen. Sicher, daß ich im Haus zurückbleiben konnte, ohne Aufsehen zu erregen, wartete ich ungeduldig auf die nächste Soiree der Comtesse. Beim Ankleiden steckte ich als Ersatz für einen Dolch ein kleines englisches Federmesser in die Westentasche. Wurde es bei mir gefunden, konnte das kleine Ding, das zum Handwerkszeug eines Schriftstellers gehörte, keinerlei Verdacht erregen; da ich indessen nicht wußte, wie weit mich mein romantischer Entschluß führen konnte, wollte ich bewaffnet sein. Als die Salons sich zu füllen begannen, ging ich in das Schlafzimmer, um die Situation dort zu erkunden, und fand die Jalousien und Fensterläden geschlossen, was ich als glückliches Omen deutete. Da die Zofe kommen konnte, um die Vorhänge an den Fenstern herunterzulassen, löste ich die Halter selbst; freilich war diese Vorwegnahme häuslicher Vorkehrungen riskant, doch sah ich den Gefahren meiner Lage gefaßt ins Auge und hatte sie kaltblütig einkalkuliert. Gegen Mitternacht verbarg ich mich in einer Fensternische. Damit man meine Füße nicht sehen konnte, versuchte ich, mich mit dem Rücken gegen die Wand auf die Leiste der Täfelung zu stellen, wobei ich mich am Fensterriegel festhielt. Nachdem ich mein Gleichgewicht ausprobiert, meine Stützpunkte und den Raum zwischen mir und den Vorhängen geprüft hatte, gelang es mir, mich an meine schwierige Stellung zu gewöhnen, so daß ich dort unentdeckt verharren konnte, wenn kein Krampf, kein Husten und kein Niesen dazwischen kam. Um mich nicht unnütz anzustrengen, blieb ich auf dem Fußboden stehen bis zu dem kritischen Augenblick, in dem ich hängen mußte, wie die Spinne in ihrem Netz. Der weiße Moiré und der Mußelin der Vorhänge warfen tiefe Falten vor mir und glichen Orgelpfeifen, in die ich mit meinem Messer Löcher schnitt, um vermittelst dieser Art Schießscharten alles zu sehen. Aus den Salons drang gedämpft das Gelächter und Stimmengewirr der Plaudernden zu mir herüber. Dieser verworrene Lärm, das dumpfe Hin und Her wurde allmählich schwächer. Einige Herren kamen ihre Hüte holen, die unmittelbar neben mir auf der Kommode der Comtesse abgelegt waren. Wenn sie die Vorhänge streiften, überlief mich ein Schauder, da ich an die Zerstreutheit und das wahllose Umhersuchen von Menschen dachte, die es eilig haben fortzukommen und dann alles durchstöbern. So wertete ich es als ein gutes Zeichen, daß kein solches Mißgeschick eintrat. Den letzten Hut holte ein alter Verehrer Fœdoras, der sich allein glaubte, einen Blick auf das Bett warf und einen schweren Seufzer ausstieß, dem ein unverständlicher, aber recht energischer Ausruf folgte. Die Comtesse, die in dem Boudoir neben ihrem Schlafzimmer nur noch fünf oder sechs enge Freunde bei sich hatte, schlug ihnen vor, dort den Tee einzunehmen. Es mischten sich nunmehr die Verleumdungen, für die sich die heutige Gesellschaft das bißchen Glauben, was ihr noch geblieben ist, bewahrt hat, die Stichelreden, die witzigen Urteile mit dem Geklapper der Tassen und Löffel. Ohne jedes Erbarmen mit meinen Nebenbuhlern erregte Rastignac mit seinen beißenden Bemerkungen schallendes Gelächter. – »Monsieur de Rastignac ist ein Mann, mit dem man es nicht verderben darf«, sagte die Comtesse lachend. – »Das will ich meinen«, erwiderte er unbefangen. »In meinem Haß habe ich immer recht gehabt. In meinen Freundschaften übrigens auch«, fügte er hinzu. »Meine Feinde sind mir vielleicht ebenso dienlich wie meine Freunde. Ich habe die moderne Ausdrucksweise und die natürlichen Kniffe, derer man sich bedient, um alles anzugreifen oder alles zu verteidigen, besonders eingehend studiert. Redegewandt wie ein Minister zu sein ist eine soziale Vervollkommnung. Ist einer Ihrer Freunde geistlos, heben Sie seine Ehrlichkeit und seinen Freimut hervor. Ist das Werk eines anderen schwerfällig, deklarieren Sie es als gewissenhafte Studie. Ist das Buch schlecht geschrieben, loben Sie seinen Ideengehalt. Jemand ist unzuverlässig, unbeständig, nie beim Wort zu nehmen, nun, heißen Sie ihn verführerisch, blendend, charmant. Handelt es sich aber um Ihre Feinde, so werfen Sie ihnen die Toten und die Lebenden an den Kopf und kehren Ihre Sprache einfach um, so geschickt Sie die Vorzüge Ihrer Freunde gepriesen haben, so virtuos stöbern Sie die Fehler Ihrer Feinde auf. Diese Anwendung der moralischen Lupe ist das Geheimnis unserer Konversation und die ganze Kunst des Höflings. Sie nicht gebrauchen hieße waffenlos gegen Leute zu Felde ziehen, die gewappnet sind wie Bannerträger. Und ich gebrauche sie! Ich mißbrauche sie sogar zuweilen; darum hat man Respekt vor mir, vor mir und meinen Freunden, denn übrigens, mein Degen ist nicht schlechter als meine Zunge.« Einer der glühendsten Verehrer Fœdoras, ein junger Mann, dessen Dreistigkeit berühmt und ihm sogar Mittel zum Zweck war, hob den Fehdehandschuh auf, den Rastignac so verächtlich hingeworfen hatte. Er fing an, von mir zu sprechen und meine Begabung und meine Person über alle Maßen zu rühmen. Rastignac hatte diese Art, jemanden zu lästern, allerdings vergessen. Diese hämische Lobeshymne täuschte die Comtesse, die mich mitleidlos opferte; um ihre Freunde zu unterhalten, spottete sie über meine Geheimnisse, meine Wünsche und meine Hoffnungen. – »Er hat eine Zukunft!« sagte Rastignac. Vielleicht ist er eines Tages imstande, grausame Rache zu nehmen; seine Begabung kommt zumindest seinem Mut gleich. Ich halte also Leute, die ihn reizen, für sehr verwegen, denn er hat ein gutes Gedächtnis …« – »Und schreibt Memoiren«, fügte die Comtesse hinzu, der das tiefe Schweigen, welches sich plötzlich ausgebreitet hatte, zu mißfallen schien. »Memoiren einer falschen Comtesse, Madame«, versetzte Rastignac. »Um sie zu schreiben, bedarf es einer anderen Sorte Mut.« – »Ich traue ihm viel Mut zu«, erwiderte sie, »er ist mir treu.« Ich war lebhaft versucht, vor den Spöttern aufzutauchen wie Banquos Geist in Macbeth. Ich verlor eine Geliebte, aber besaß einen Freund! Jedoch flüsterte mir die Liebe mit einem Male eine jener feigen und spitzfindigen Paradoxa zu, mit denen sie all unseren Schmerz einzulullen versteht. – »Wenn Fœdora mich liebt«, dachte ich, »muß sie dann ihre Neigung nicht unter boshaften Scherzen verstecken. Wie oft schon hat das Herz den

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