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das war Poesie, hier dreht's sich aber um Geschäfte«, sagte Rastignac. »Du bist ein Kind. Höre: Was die Memoiren angeht, so wird das Publikum darüber urteilen; was meinen literarischen Kuppler betrifft, so hat er acht Jahre seines Lebens hingegeben und seine Beziehungen zum Buchhandel mit grausamen Erfahrungen bezahlt. Die Arbeit an dem Buch ist zwar ungleich geteilt, aber ist dein Anteil am Gewinn nicht doch der schönere? 25 Louisdors sind für dich eine weit größere Summe als 1000 Francs für ihn. Du kannst doch wohl historische Memoiren, selbst wenn's ein Kunstwerk würde, schreiben, wenn Diderot sechs Predigten für 100 Taler verfaßt hat.« – »Sei's drum«, erwiderte ich bewegt, »es ist für mich eine Notwendigkeit. Darum bin ich dir Dank schuldig, lieber Freund. 25 Louis werden mich sehr reich machen …« – »Und reicher als du glaubst«, versetzte er lachend. »Errätst du nicht, daß, falls mir Finot eine Provision bei diesem Geschäft gibt, diese für dich bestimmt ist? Gehen wir in den Bois de Boulogne«, sagte er, »wir werden dort deine Comtesse sehen, und ich will dir die hübsche kleine Witwe zeigen, die ich heiraten soll, eine reizende Person, Elsässerin, freilich ein bißchen fett. Sie liest Kant, Schiller, Jean Paul und noch eine Menge »wasserfördernder« Bücher. Sie hat die Manie, mich immer nach meiner Meinung zu fragen; dann muß ich eine Miene schneiden, als verstünde ich diese ganze deutsche Empfindelei und kennte einen Haufen Balladen: lauter Drogen, die mir vom Arzt verboten sind. Ich habe ihr ihren literarischen Enthusiasmus noch nicht abgewöhnen können, sie heult zum Steinerweichen, wenn sie Goethe liest, und ich muß aus Gefälligkeit ein bißchen mit weinen, denn es stehen 50000 Livres Rente in Frage, mein Lieber, und der niedlichste Fuß, das reizendste Händchen der Welt. Ach! wenn sie nicht »mon anche« sagte statt »mon ange« und »proulier« statt »brouiller«, wäre sie eine vollkommene Frau.« Wir sahen die Comtesse, glänzend in glänzender Equipage. Die Kokette grüßte uns sehr herzlich und warf mir ein Lächeln zu, das mir damals himmlisch und voller Liebe vorkam. Ach! ich war sehr glücklich, ich glaubte mich geliebt, hatte Geld und Schätze an Leidenschaft. Das Elend war vorbei. Leichten Herzens, heiter, mit allem zufrieden, fand ich auch die Geliebte meines Freundes bezaubernd. Die Bäume, die Luft, der Himmel, die ganze Natur schienen mir das Lächeln Fœdoras widerzuspiegeln. Auf dem Rückwege von den Champs-Elysées gingen wir zu dem Hutmacher und dem Schneider Rastignacs. Die Halsbandgeschichte erlaubte mir, von meinem kläglichen Friedenspfad auf einen stolzen Kriegspfad überzuwechseln. In Zukunft konnte ich mich furchtlos mit der Grazie und Eleganz der jungen Männer, die Fœdora umschwärmten, messen. Ich ging nach Hause, ich schloß mich ein und saß anscheinend ruhig vor meiner Dachluke; in Wahrheit aber sagte ich meinen Dächern auf ewig Lebewohl, lebte bereits in der Zukunft, malte mir mein Leben aus, genoß im voraus die Liebe und deren Freuden. Oh, wie stürmisch kann das Leben zwischen den vier Wänden einer Mansarde werden! Die menschliche Seele ist eine Fee, sie verwandelt Stroh in Diamanten; unter ihrem Zauberstabe erstehen die Märchenschlösser wie die Blumen des Feldes unter dem warmen Hauch der Sonne. Am nächsten Tage um die Mittagsstunde klopfte Pauline leise an meine Tür und brachte mir – rate was? – einen Brief von Fœdora. Die Comtesse bat mich, sie im Luxembourg abzuholen und sie ins Museum und den Jardin des Plantes zu begleiten. »Der Bote wartet auf Antwort«, sagte sie nach einem Moment des Schweigens. Ich kritzelte eiligst einen Dankbrief, den Pauline mitnahm. Ich kleidete mich an. Im Augenblick, da ich recht zufrieden mit mir meine Toilette beendete, überlief es mich eiskalt bei dem Gedanken: Ist Fœdora zu Fuß oder im Wagen gekommen? Wird es regnen, wird es schön sein? Aber gleichviel, sagte ich mir, ob zu Fuß oder im Wagen, ist man jemals vor den phantastischen Launen einer Frau sicher? Sie wird kein Geld bei sich haben und einem kleinen Savoyarden 100 Sous geben wollen, weil er in seinen Lumpen so hübsch aussieht. Ich besaß keinen roten Heller und sollte erst am Abend Geld bekommen. Oh, wie teuer zahlt ein Dichter in jenen entscheidenen Augenblicken der Jugend seine geistige Überlegenheit, die er der Arbeit und seiner strengen Lebensweise verdankt! Im Nu schossen mir tausend schmerzhafte Gedanken wie spitze Pfeile durch den Kopf. Ich blickte durch mein Dachfenster zum Himmel. Das Wetter war sehr unsicher. Wenn es not täte, könnte ich allenfalls einen Wagen für den Tag mieten; aber würde ich nicht in meinem Glück jeden Augenblick zittern, Finot am Abend nicht anzutreffen? Ich fühlte mich nicht stark genug, so viele Ängste inmitten meiner Freuden auszuhalten. Obwohl ich gewiß war, nichts zu finden, unternahm ich eine ausgedehnte Suchaktion in meinem Zimmer, bis in die Tiefen meines Strohsacks hinab forschte ich nach nicht vorhandenen Talern, ich kehrte das Unterste zuoberst, schüttelte sogar die alten Stiefel aus. In fieberhafter Aufregung starrte ich auf meine Möbel, die ich allesamt durchstöbert hatte. Denke dir, wie ich außer mir geriet, als ich zum siebenten Male meine Schreibtischschublade mit der Beharrlichkeit, die uns die Verzweiflung eingibt, untersuche und, gegen ein Seitenbrett gelehnt, tückisch verkrochen, aber blank, glänzend, hell wie ein aufgehender Stern ein schönes edles 100-Sous-Stück entdeckte! Ohne von ihm Rechenschaft zu fordern ob seines Schweigens, noch ob der Grausamkeit, der es sich seines Katz-und-Maus-Spiels wegen schuldig gemacht hatte, küßte ich es wie einen Freund in der Not und begrüßte es mit einem lauten Ruf, der ein Echo fand. Ich drehte mich um und gewahrte Pauline, die ganz blaß war. »Ich habe geglaubt«, sagte sie mit bewegter Stimme, »daß Sie sich weh getan haben. Der Bote… « (sie hielt inne, als müsse sie nach Luft ringen), »meine Mutter hat ihn bezahlt«, sagte sie noch. Dann eilte sie hinaus, ein kindlich launischer Flattergeist. Arme Kleine! Ich wünschte ihr mein Glück. Im Augenblick schien es mir, als trüge ich alle Seligkeit der Erde in meinem Herzen, und ich hätte den Unglücklichen den Teil zurückerstatten mögen, den ich ihnen zu stehlen glaubte. Fast immer trifft ein Unglück, das wir vorausahnen, ein; die Comtesse hatte ihren Wagen weggeschickt. Aus einer jener Launen, die schönen Frauen meist selbst unerklärlich sind, wollte sie zu Fuß über die Boulevards zum Jardin des Plantes gehen. – ›Aber es wird regnen‹, wandte ich ein. Es gefiel ihr, mir zu widersprechen. Zufällig blieb es schön, solange wir im Luxembourg spazierengingen. Als wir den Park verließen, fielen aus einer dicken Wolke, deren Heraufziehen mich schon beunruhigt hatte, einige Regentropfen, und wir nahmen einen Wagen. Doch hörte der Regen auf, als wir auf den Boulevards angelangt waren; der Himmel heiterte sich auf. Vor dem Museum wollte ich den Wagen wegschicken; Fœdora bat mich jedoch, ihn zu behalten. Welche Qualen! Aber mit ihr zu plaudern, während ich einen geheimen Aberwitz unterdrückte, der sich auf meinem Gesicht wahrscheinlich in einem starren, albernen Lächeln spiegelte; durch den Jardin des Plantes zu schweifen, die schattigen Alleen zu durchwandern und ihren Arm auf dem meinen zu fühlen, in all dem lag etwas ungemein Phantastisches; es war ein Traum am hellen Tage. Doch hatten ihre Bewegungen, ob wir nun gingen oder stehenblieben, trotz ihrer scheinbaren Sinnlichkeit, nichts Hingebendes und Sanftes. Wenn ich versuchte, mich ihrem inneren Rhythmus gewissermaßen anzugleichen, stieß ich in ihr auf eine verborgene Heftigkeit, etwas eigentümlich Ruckhaftes, Exzentrisches. Frauen ohne Herz haben nichts Weiches, Anschmiegsames in ihren Bewegungen. Auch waren wir weder durch einen gleichen Willen noch durch einen gleichen Schritt vereint. Es gibt keine Worte, um diese körperliche Disharmonie zweier Wesen wiederzugeben, denn wir sind noch nicht daran gewöhnt, aus der Bewegung einen Gedanken abzulesen. Dieses Phänomen unserer Natur ist nur instinktiv zu fühlen, es läßt sich nicht in Worte fassen.

      In solchen Hochgefühlen meiner Leidenschaft«, fuhr Raphael nach einigem Schweigen fort, als ob er auf einen Einwand, den er sich selbst gemacht hatte, antwortete, »habe ich meine Empfindungen nicht seziert noch meine Lustgefühle analysiert, noch meine Herzschläge berechnet, wie ein Geizhals seine Goldstücke prüft und wägt. O nein! Heute wirft die Erfahrung ihr trübes Licht auf die vergangenen Ereignisse, und die Erinnerung treibt mir diese Bilder zu, wie Meeresfluten die Trümmer eines Wracks bei schönem Wetter Stück für Stück ans Ufer schwemmen. – ›Sie können mir einen großen Dienst erweisen‹, sagte die Comtesse zu mir und schaute mich verwirrt an. ›Nachdem ich Ihnen meine Abneigung gegen die Liebe eingestanden habe, fühle ich mich freier, im Namen der Freundschaft eine Gefälligkeit zu erbitten. Wäre es nicht weitaus verdienstvoller‹, fügte sie lachend hinzu, ›wenn Sie mich heute zu Dank verpflichten?‹ Ich warf ihr einen schmerzlichen Blick zu. Sie empfand nichts neben mir, tat süß, aber ohne Liebe; sie erschien mir als eine vollendete Schauspielerin. Dann erweckte plötzlich ein Ton, ein Blick, ein Wort wieder meine Hoffnung. Spiegelten aber meine Augen meine wiederentflammte Liebe, hielt sie dem Feuer stand, ohne daß die Klarheit ihrer Augen sich trübte, denn wie bei denen eines Tigers, schien ihr Untergrund aus Metall zu sein. In solchen Momenten haßte ich sie. ›Die Fürsprache des Duc de Navarreins‹, fuhr sie mit einschmeichelndem

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