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ist. Kannst du dir vorstellen, mein Lieber, welche Qualen in mir wüteten, als ich in Schnee und Regen über die eisglatten Quais eine Meile Wegs nach Hause ging, nachdem ich alles verloren hatte? Oh! zu wissen, daß sie an mein Elend nicht einmal dachte und mich reich wähnte wie sich und in einem weich gepolsterten Wagen sitzend! – Wie viele Trümmer, wie viele Enttäuschungen! Nicht um Geld handelte es sich mehr, sondern um alle Güter meiner Seele. Ich schritt aufs Geratewohl dahin, indem ich die Reden dieser seltsamen Unterhaltung hin und her drehte und mich so sehr in meinen Auslegungen verwickelte, daß ich schließlich an der wörtlichen Bedeutung der Worte und Begriffe zweifelte. Und ich liebte noch immer, liebte diese kalte Frau, deren Herz in jedem Augenblick neu erobert werden wollte, die an jedem Tage die Versprechungen des vorigen Tages auslöschte und sich am nächsten Tag wie eine neue Geliebte zeigte. Als ich an den Portalen des Instituts vorbeikam, befiel mich ein fiebriges Schauern. Es fiel mir ein, daß ich noch nichts gegessen hatte. Ich besaß keinen Heller. Um mein Unglück vollzumachen, brachte der Regen meinen Hut aus der Fasson. Wie sollte ich jemals ohne einen brauchbaren Hut vor eine elegante Frau hintreten und mich in einem Salon präsentieren! Längst verfluchte ich die dumme alberne Mode, die uns verdammt, durch beständiges In-der-Hand-Halten des Hutes das Hutfutter den Blicken preiszugeben; doch war es mir bisher durch äußerste Sorgfalt gelungen, den meinen in einem erträglichen Zustand zu erhalten. Ohne daß er auffallend neu oder abgenutzt alt, sehr seidig oder ganz ohne allen Glanz gewesen wäre, konnte er für den Hut eines sorgfältig gekleideten Menschen gelten; aber seine künstliche Existenz langte nun bei ihrer letzten Periode an; er war verbogen, zerbeult, fertig, ein wahrer Lumpen, würdiger Repräsentant seines Herrn. Wegen fehlender 30 Sous ging ich meiner mühsamen Eleganz verlustig. Oh! Wie viele Opfer hatte ich Fœdora seit drei Monaten gebracht, von denen sie nichts wußte! Oft gab ich das Geld für eine Woche Brot dahin, um sie einen Augenblick zu sehen. Meine Arbeit liegenlassen und hungern, das war nichts! – aber durch die Straßen von Paris eilen, ohne sich bespritzen zu lassen, rennen, um nicht in den Regen zu kommen, in ebenso tadelloser Kleidung vor ihr zu erscheinen wie die Stutzer, die sie umgaben –, ja, diese Aufgabe barg für einen verliebten und zerstreuten Poeten unzählige Schwierigkeiten! Mein Glück, meine Liebe hing von einem Spritzerchen Straßenschmutz auf meiner einzigen weißen Weste ab! Darauf verzichten zu müssen, sie zu sehen, wenn ich schmutzig oder naß wurde! Nicht fünf Sous zu besitzen, um von einem Stiefelputzer die Kotspritzer auf meinen Stiefeln entfernen zu lassen! Und trotz aller dieser kleinen unbekannten Martern, die für einen reizbaren Menschen ungeheuer waren, war meine Leidenschaft gewachsen. Die Unglücklichen müssen Opfer bringen, über die sie mit den Frauen, die in einer Sphäre des Luxus und der Eleganz leben, nicht sprechen dürfen; jene sehen die Welt durch ein Prisma, das Menschen und Dinge vergoldet. Optimistisch aus Egoismus, grausam aus gutem Ton, schenken sich diese Frauen das Nachdenken um des Genießens willen und sprechen sich von ihrer Gleichgültigkeit gegen das Unglück damit frei, daß sie vom Vergnügen zu sehr in Anspruch genommen sind. Für sie ist ein Heller eine Million, die Million scheint ihnen ein Heller. Wenn die Liebe ihre Sache mit großen Opfern verfechten muß, so muß sie diese auch zartfühlend mit einem Schleier verhüllen, sie im Stillschweigen begraben. Den reichen Männern aber kommen, wenn sie sich aufopfern und ihr Vermögen und ihr Leben vergeuden, die gesellschaftlichen Vorurteile zugute, die ihre verliebten Torheiten immer mit einem gewissen Glanz umgeben; das Schweigen redet für sie, und der Schleier ist eine Gunst, während meine schreckliche Not mich zu entsetzlichen Leiden verdammte, ohne daß es mir vergönnt gewesen wäre zu sagen: Ich liebe! oder: Ich sterbe! Und konnte man das schließlich Aufopferung nennen? War ich denn nicht reichlich belohnt durch die Freude, alles für sie hinzugeben? Die Comtesse hatte den alltäglichsten Ereignissen meines Lebens außerordentlichen Wert, unsagbare Wonnen verliehen. Früher war ich in punkto Kleidung gleichgültig, jetzt respektierte ich meinen Anzug wie ein zweites Ich. Zwischen einer Wunde und einem Riß in meinem Frack hätte ich keinen Augenblick geschwankt. Versetze dich in meine Lage, dann wirst du die wutschäumenden Gedanken, die wachsende Raserei begreifen, die mich beim Gehen durchtobten und vielleicht meinen Schritt noch beschleunigten. Ich empfand eine gleichsam infernalische Freude, mich nun auf dem Gipfel des Unglücks zu sehen. Ich wollte in dieser letzten Krise ein Unterpfand des Glücks erblicken; aber das Unheil ist an Schätzen unerschöpflich. Die Haustür meines Hotels war halboffen. Durch die herzförmigen Ausschnitte des Fensterladens fiel ein Lichtschein auf die Straße. Pauline und ihre Mutter erwarteten plaudernd mein Nachhausekommen. Ich hörte meinen Namen, ich lauschte. »Raphael«, sagte Pauline, »ist viel hübscher als der Student von Nr. 7! Seine blonden Haare haben eine so schöne Farbe. Findest du nicht, daß er etwas in der Stimme hat, was einem, ich weiß nicht wie, das Herz bewegt? Auch ist er so gut, obwohl er ein bißchen stolz aussieht, und hat so feine Manieren. Oh! er ist wirklich sehr nett! Ich bin überzeugt, daß alle Frauen in ihn vernarrt sind.« – »Du sprichst von ihm, als ob du ihn liebtest«, bemerkte Madame Gaudin. – »Oh! ich liebe ihn wie einen Bruder«, erwiderte sie fröhlich. »Es wäre schön undankbar von mir, wenn ich keine Freundschaft für ihn empfände. Hat er mir nicht die Musik beigebracht, das Zeichnen, die Grammatik, kurz alles, was ich weiß? Du achtest nicht sehr auf meine Fortschritte, liebe Mutter; aber ich werde so gescheit, daß ich in einiger Zeit selbst werde Unterricht erteilen können, und dann können wir uns einen Dienstboten halten.« Ich zog mich leise zurück, und nachdem ich mich laut bemerkbar gemacht hatte, betrat ich den Vorsaal, um dort meine Lampe zu holen, die Pauline anzünden wollte. Die liebe Kleine hatte soeben köstlichen Balsam in meine Wunde geträufelt. Dieses kindliche Lob meiner Person gab mir wieder etwas Mut. Es tat mir not, an mich zu glauben und ein unparteiisches Urteil über den wahren Wert meiner Vorzüge zu hören. Meine also wiederbelebten Hoffnungen strahlten vielleicht auf die Dinge zurück, die ich sah. Vielleicht hatte ich diese Szene, die mir die beiden Frauen in diesem Raum meinen Blicken schon oft geboten hatten, noch nie so aufmerksam betrachtet; doch an jenem Abend bewunderte ich das köstlichste Bild schlichter Natürlichkeit, wie es flämische Maler so ursprünglich dargestellt haben, in seiner Wirklichkeit. Die Mutter, am halberloschenen Feuer des Kamins sitzend, strickte Strümpfe und hatte ein gütiges Lächeln auf den Lippen. Pauline bemalte Lichtschirme; ihre Farben und ihre Pinsel, die auf einem kleinen Tischchen ausgebreitet waren, zogen das Auge durch ein malerisches Farbenspiel an. Sie war aufgestanden, um meine Lampe anzuzünden, und das Licht fiel nun voll auf ihr weißes Gesicht; man mußte schon der Sklave einer schrecklichen Leidenschaft sein, um von ihren durchscheinend rosigen Händen, ihrem vollendet schönen Kopf und ihrer jungfräulichen Haltung nicht bezaubert zu werden. Die Nacht und die Stille erhöhten den Reiz dieses arbeitsamen Beisammenseins, dieses friedlichen Interieurs. Dieses unausgesetzte Sichabmühen, das heiteren Sinns ertragen wurde, zeugte von einer frommen Ergebung voll erhabenen Gefühls. Zwischen den Dingen und Personen waltete eine unsägliche Harmonie. Bei Fœdora herrschte nüchterner Prunk, der schlimme Gedanken in mir erweckte, während dieses demutvolle Elend und diese unverfälschte Natur mir die Seele erquickten. Vielleicht fühlte ich mich angesichts jenes Luxus gedemütigt; neben diesen beiden Frauen, in diesem dunklen Raum, wo das einfache Leben sich in die Empfindungen des Herzens zurückzuziehen schien, söhnte ich mich mit mir selber aus, vielleicht weil ich hier den Schutz ausüben konnte, den ein Mann so eifersüchtig zu gewähren trachtet. Als ich neben Pauline stand, warf sie mir einen beinahe mütterlichen Blick zu und rief, während sie mit zitternden Händen die Lampe niedersetzte: »Mein Gott, wie blaß Sie sind! Oh! er ist ganz durchnäßt. Meine Mutter wird Sie abtrocknen … Monsieur Raphael«, fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, »Sie trinken doch so gerne Milch; wir hatten Sahne heute abend, wollen Sie nicht davon kosten?« Sie sprang wie ein Kätzchen nach einem Porzellannapf mit Milch und reichte ihn mir mit einer so lebhaften Bewegung, hielt ihn mir so drollig unter die Nase, daß ich zögerte. – »Wollen Sie mir einen Korb geben?« fragte sie mit zitternder Stimme. Jeder verstand den Stolz des anderen. Pauline schien ihre Armut schmerzlich zu empfinden und mir meinen Hochmut vorzuwerfen. Es rührte mich. Diese Milch war vielleicht ihr Frühstück für den nächsten Morgen, ich nahm sie trotzdem. Das arme Mädchen wollte seine Freude verbergen, aber sie strahlte ihr aus den Augen. – »Es hat mir not getan«, sagte ich, indem ich mich setzte. (Ein sorgenvoller Ausdruck glitt über ihre Stirn.) – »Entsinnen Sie sich der Stelle, Pauline, wo Bossuet sagt, daß Gott ein Glas Wasser reichlicher lohnen wird als einen Sieg?« – »Ja«, antwortete sie. Und ihr Herz schlug wie das einer jungen Grasmücke in den Händen eines Kindes. – »Nun, da wir uns bald trennen werden«, sagte ich mit unsicherer Stimme, »lassen Sie mich

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