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nach Cäsar hat Tiberius das römische Kaiserreich daraus geschaffen, ein System, wo die Macht, dadurch, daß sie in eines einzigen Mannes Händen vereinigt war, das Leben dieser großen Herrschaft um einige weitere Jahrhunderte verlängert hat. Der Kaiser war nicht mehr in Rom, als die ewige Stadt an die Barbaren fiel. Als unser Boden erobert wurde, erfanden die Franken, die sich in ihn teilten, das Feudalsystem, um sich ihre Privatbesitzungen zu sichern. Die hundert oder tausend Anführer, die das Land besaßen, führten ihre Einrichtungen zu dem Zwecke durch, die durch die Eroberung erworbenen Rechte zu verteidigen. Die Lehensherrschaft dauerte demnach so lange, bis das Privileg eingeschränkt wurde. Als aber die Männer dieser Nation (hommes de cette nation, wie die wahre Uebersetzung des Wortes gentilshommes lautet), anstatt fünfhundert zu sein, fünfzigtausend wurden, gab es eine Revolution. Zu weit ausgedehnt besaß die Wirkung ihrer Macht weder Spannkraft noch Stärke, und konnte sich außerdem gegen die Freigabe des Geldes und des Gedankens, die sie nicht vorhergesehen hatten, nicht verteidigen. Da der Triumph der Bourgeoisie über das monarchische System also bezweckt, die Zahl der Bevorrechteten in den Augen des Volkes zu vermehren, würde der Triumph des Volkes über die Bourgeoisie die unvermeidliche Wirkung dieser Veränderung sein. Wenn diese Umwälzung eintritt, wird sie das ohne Einschränkung auf die Masse ausgedehnte Wahlrecht als Hilfsmittel haben. Wer abstimmt, streitet. Bestrittene Gewalten existieren nicht. Können Sie sich eine Gesellschaft ohne Macht vorstellen? Nein. Nun gut, wer Macht sagt, sagt Kraft. Die Kraft muß auf ›entschiedenen Sachen‹ beruhen. Das sind die Gründe, die mich auf den Gedanken gebracht haben, daß das Wahlprinzip eines der unheilvollsten für den Bestand der modernen Regierungen ist. Ich glaube meine Liebe zur armen und leidenden Klasse gewiß genugsam bewiesen zu haben, und man dürfte mir nicht vorwerfen können, ihr Unglück zu wollen. Doch obwohl ich sie auf dem arbeitsamen Wege bewundere, den sie, in ihrer Geduld und Resignation erhaben, geht, erkläre ich sie für unfähig, an der Regierung teilzunehmen. Die Proletarier erscheinen mir als die Minderjährigen einer Nation und müssen stets unter Vormundschaft bleiben. So ist meiner Meinung nach das Wort: ›Wahl‹ nahe daran, ebensoviel Schaden anzurichten, wie es die Worte: ›Gewissen‹ und ›Freiheit‹ angerichtet haben, die schlecht verstanden, schlecht gedeutet und den Völkern als Empörungssymbole und Zerstörungsbefehle hingeworfen worden sind. Die Bevormundung der Massen scheint mir daher für die Erhaltung der Gesellschaft eine ebenso gerechte wie notwendige Maßregel zu sein.«

      »Dieses System bietet allen unsern heutigen Ideen so sehr Trotz, daß wir wohl ein wenig das Recht haben, Sie um nähere Begründung zu bitten,« sagte Genestas, den Arzt unterbrechend.

      »Gerne, Rittmeister.« »Was hat unser Herr da gesagt?« rief Jacquotte, als sie wieder in die Küche kam. »Rät der arme liebe Mann ihnen da nicht, das Volk zu bedrücken, und sie hören ihn an …«

      »Nie hätte ich das von Monsieur Benassis gedacht!« antwortete Nicolle.

      »Wenn ich starke Gesetze fordere, um die unwissende Menge im Zaume zu halten,« fuhr der Arzt nach einer kleinen Pause fort, »so wünsche ich, daß das soziale System schwache und nachgiebige Netze habe, um jeden aus der Menge, der den Willen hat und sich fähig fühlt, sich in die höheren Schichten emporzuarbeiten, ans Ziel seiner Wünsche gelangen zu lassen. Jede Macht strebt ihre Erhaltung an. Um leben zu können, müssen heute wie früher die Regierungen bedeutende Männer an sich ziehen, indem sie sie überall nehmen, wo sie sie finden, um sich Verteidiger aus ihnen zu machen, und den Massen die energischen Leute, die sie aufwühlen, zu nehmen. Indem er dem öffentlichen Ehrgeiz steile und zugleich bequeme Wege – steil für den schwankenden, tatenlosen und bequem für den echten tatkräftigen Willen – eröffnet, kommt ein Staat den Revolutionen zuvor, welche die Hemmung des Aufwärtsstrebens wirklich überlegener Persönlichkeiten verursachte. Unsere vierzig Marterjahre haben einem vernünftigen Menschen beweisen müssen, daß die Ueberlegenheiten eine notwendige Folge der sozialen Ordnung sind. Es gibt ihrer drei, die unbezweifelbar sind: Ueberlegenheit des Gedankens, politische Ueberlegenheit, Vermögensüberlegenheit. Sind das nicht die Kunst, die Macht und das Geld, oder anders ausgedrückt: das Prinzip, das Mittel und das Resultat? Angenommen nun, man habe tabula rasa – die sozialen Einheiten seien vollkommen gleich, die Geburten im selben Verhältnis und man gäbe jeder Familie den nämlichen Grundbesitz, so würden Sie binnen kurzem doch die heute bestehende Vermögensunregelmäßigkeit wiederfinden. Aus dieser in die Augen springenden Wahrheit ergibt sich also, daß die Ueberlegenheit durch Vermögen, Gedanken und Macht eine Tatsache ist, die man hinnehmen muß, eine Tatsache, welche die Menge stets als bedrückend ansehen wird, indem sie in den auf die beste Weise erworbenen Rechten Privilegien sieht. Der von dieser Grundlage ausgehende Gesellschaftsvertrag wird also ein ewiger Pakt zwischen den Besitzenden gegen die Besitzlosen sein. Nach diesem Prinzip werden die Gesetze von denen gemacht werden, denen sie nützen; denn sie müssen den Instinkt ihrer Erhaltung besitzen und ihre Gefahren voraussehen. Sie sind mehr interessiert an der Ruhe der Masse als die Masse selber es ist. Die Völker haben ein vollkommenes Glück nötig. Wenn Sie von diesem Gesichtspunkte aus die Gesellschaft betrachten, wenn Sie sie in ihrer Gesamtheit umfassen, so werden Sie bald mit mir anerkennen, daß das Wahlrecht nur von den Leuten, die Vermögen, Macht oder Intelligenz besitzen, ausgeübt werden darf; und ebenso werden Sie anerkennen, daß ihre Bevollmächtigten nur äußerst beschränkte Funktionen haben können. Der Gesetzgeber, meine Herrn, muß seinem Jahrhundert überlegen sein. Er stellt die Tendenz der allgemeinen Irrtümer fest und präzisiert die Punkte, nach denen die Ideen einer Nation hinneigen; er arbeitet daher noch mehr für die Zukunft als für die Gegenwart, mehr für die heranwachsende Generation als für die absterbende. Wenn Sie nun die Masse berufen, Gesetze zu machen, kann die Masse dann sich selber überlegen sein? Nein. Je getreulicher die gesetzgebende Versammlung die Meinungen der Menge repräsentieren wird, desto weniger Verständnis wird sie für die Aufgabe des Regierens haben; desto weniger bedeutend werden ihre Pläne, desto weniger präzise, desto schwankender wird ihre Gesetzgebung sein; denn die Masse ist, in Frankreich vor allem, und wird nie etwas anderes sein als eine Masse. Das Gesetz bringt eine Unterwerfung unter Regeln mit sich; jede Regel steht in Opposition zu den natürlichen Sitten, zu den Interessen des Individuums; wird die Masse Gesetze wider sich selber unterstützen? Nein. Oft muß die Tendenz der Gesetze im umgekehrten Verhältnis zu der Tendenz der Sitten stehen. Wenn man Gesetze nach den allgemeinen Sitten formen wollte, hieße das in Spanien nicht, der religiösen Unduldsamkeit und dem Müßiggang, in England dem Handelsgeiste, in Italien der Liebe zu den Künsten, die dazu bestimmt sind, Ausdruck der Gesellschaft zu sein, die aber nicht die ganze Gesellschaft sein können, in Deutschland den adligen Klasseneinteilungen, in Frankreich dem Geist der Leichtfertigkeit, der Zugkraft der Ideen und der Leichtigkeit, uns in Parteien, die uns stets verzehrt haben, zu zersplittern, Ermunterungsprämien verleihen? Was ist in den mehr als vierzig Jahren geschehen, während deren die Wahlkollegien Hand an die Gesetze legen? Wir haben vierzigtausend Gesetze! Ein Volk, das vierzigtausend Gesetze hat, hat kein Gesetz! Können fünfhundert mittelmäßige Intelligenzen – denn einem Jahrhundert stehen nicht mehr als hundert starke Intelligenzen zu Diensten – die Kraft besitzen, sich zu solchen Betrachtungen aufzuschwingen? Nein. Die stets aus fünfhundert verschiedenen Oertlichkeiten hervorgegangenen Männer werden niemals den Geist des Gesetzes in der nämlichen Weise verstehen – und das Gesetz muß eins sein. Doch ich gehe noch weiter. Früher oder später gerät eine gesetzgebende Versammlung unter das Zepter eines Mannes, und anstatt Dynastien von Königen zu haben, haben Sie die wechselnden und kostspieligen Dynastien von Premierministern. Am Ende jeder Beratung finden sich Mirabeau, Danton, Robespierre oder Napoleon: Prokonsuln oder ein Kaiser. In der Tat bedarf man einer bestimmten Kraftmenge, um ein bestimmtes Gewicht aufzuheben; diese Kraft kann auf eine mehr oder minder große Zahl von Hebeln verteilt werden, schließlich aber muß die Kraft dem Gewicht proportioniert sein: hier ist die unwissende und leidende Menge, welche die erste Schicht jeder Gesellschaft bildet, das Gewicht. Die ihrer Natur nach einschränkende Macht bedarf einer großen Konzentration, um der Volksbewegung einen gleichen Widerstand entgegenzusetzen. Es ist die Anordnung des Prinzips, das ich eben entwickelte, indem ich Ihnen von der Beschränkung des Regierungsprivilegs sprach. Wenn Sie Leute von Talent zulassen, unterwerfen Sie sich diesem Naturgesetz und unterwerfen ihm das Land; wenn Sie mittelmäßige Menschen versammeln, werden sie früher oder später durch das überlegene Genie besiegt: der Deputierte von Talent fühlt die Staatsraison, der mittelmäßige Deputierte findet sich mit der Kraft ab. In Summa: eine gesetzgebende Versammlung weicht einer Idee,

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