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gute Köpfe träumen, ist unmöglich; die sie wollen, sind vollkommen irregeführt oder zukünftige Tyrannen. Scheint Ihnen eine beratschlagende Versammlung, welche die Gefahren einer Nation erörtert, wenn man sie zum Handeln bringen muß, nicht lächerlich? Mag das Volk Bevollmächtigte haben, die beauftragt sind, Steuern zu gewähren oder zu verweigern, das ist billig und das hat es zu allen Zeiten unter dem grausamsten Tyrannen wie unter dem nachsichtigsten Fürsten gegeben. Geld kann man nicht fassen; die Steuer hat überdies natürliche Grenzen, jenseits deren eine Nation sich auflehnt, um sie zu verweigern, oder sich niederlegt, um zu sterben. Wenn dieser Wahlkörper, der wie die Bedürfnisse, wie die Ideen, die er repräsentiert, wechselt, sich widersetzt, den Gehorsam aller einem schlechten Gesetze gegenüber zuzugestehen, dann ist alles gut. Anzunehmen aber, daß fünfhundert Männer, die aus allen Winkeln eines Reiches zusammengekommen sind, ein gutes Gesetz machen werden, ist das nicht ein schlechter Scherz, den die Völker früher oder später büßen müssen? Sie wechseln dann die Tyrannen, das ist alles. Die Macht, das Gesetz müssen daher das Werk eines einzelnen sein, der durch die Gewalt der Verhältnisse gezwungen ist, seine Handlungen beständig einer allgemeinen Billigung zu unterwerfen. Die Einschränkungen aber, die bei der Ausübung einer Gewalt, sei es eines einzelnen, sei es mehrerer, sei es der Menge, herbeigeführt werden, können nur in den religiösen Institutionen eines Volkes gefunden werden. Die Religion ist das einzige wirklich wirksame Gegengewicht gegen den Mißbrauch der höchsten Gewalt. Wenn das religiöse Gefühl bei einer Nation untergeht, wird sie aus Prinzip aufrührerisch und der Fürst wird aus Notwendigkeit Tyrann. Die Kammern, die man zwischen die Herrscher und die Untertanen stellt, sind nur Palliative für beide Strebungen. Nach dem, was ich Ihnen eben sagte, werden die gesetzgebenden Versammlungen Mitschuldige entweder des Aufstandes oder der Tyrannei. Nichtsdestoweniger ist die Herrschaft eines einzigen, zu der ich hinneige, nicht absolut gut; denn die Resultate der Politik werden ewig von den Sitten und dem Glauben abhängen. Wenn eine Nation alt geworden ist, wenn die Scheinphilosophie und der Diskussionsgeist sie bis ins Mark der Knochen hinein verdorben haben, geht diese Nation trotz der freiheitlichen Formen dem Despotismus entgegen; ebenso wie kluge Völker fast immer die Freiheit unter den Formen des Despotismus zu finden wissen. Aus alledem ergeben sich die Notwendigkeit einer großen Einschränkung in den Wahlrechten, die Notwendigkeit einer starken Gewalt und die Notwendigkeit einer mächtigen Religion, die den Reichen zum Freunde des Armen macht und dem Armen eine völlige Ergebung befiehlt. Kurz, es ist wirklich dringend nötig, die gesetzgebenden Versammlungen auf die Steuerfrage und die Eintragung der Gesetze zu beschränken, indem man ihnen deren direkte Schaffung nimmt. In vielen Köpfen bestehen andere Ideen, das weiß ich. Heute wie früher begegnet man Geistern, die darauf brennen, »das Beste« zu suchen, und die wollen, daß die Gesellschaften weiser eingerichtet werden als sie es sind. Die Neuerungen aber, die auf die Herbeiführung vollkommener sozialer Aenderungen abzielen, bedürfen einer allgemeinen Bestätigung. Die Neuerer müssen Geduld haben. Wenn ich die Zeit abmesse, welche die Einführung des Christentums nötig hatte – eine moralische Revolution, die rein friedlich sein sollte –, so bebe ich beim Gedanken an das Unheil, das eine Revolution in den materiellen Interessen mit sich bringen müßte, und entscheide mich für die Beibehaltung der bestehenden Institutionen. ›Jedem seine Gedanken,‹ hat das Christentum gesagt; ›jedem sein Feld,‹ sagt das moderne Gesetz. Das moderne Gesetz hat sich in Uebereinstimmung mit dem Christentume gesetzt. Jedem seine Gedanken, ist die Bestätigung der Rechte der Intelligenz; jedem sein Feld, ist die Bestätigung des den Mühen der Arbeit verdankten Besitzes. Darauf beruht unsere Gesellschaft. Die Natur hat das menschliche Leben auf das Gefühl der individuellen Erhaltung basiert; das soziale Leben hat sich auf dem persönlichen Interesse aufgebaut. Für mich sind das die wahren politischen Grundsätze. Indem sie diese beiden egoistischen Gefühle unter dem Gedanken an ein zukünftiges Leben erstickt, mildert die Religion die Härte der sozialen Kontakte. Also lindert Gott die Leiden, welche die Reibung der Interessen hervorruft, durch das religiöse Gefühl, das aus dem Sichselbstvergessen eine Tugend macht, wie er durch unbekannte Gesetze die Reibungen im Mechanismus seiner Welten gemildert hat. Das Christentum hieß den Armen den Reichen dulden, den Reichen das Elend des Armen erleichtern; für mich bedeuten diese wenigen Worte die Essenz aller göttlichen und menschlichen Gesetze.«

      »Ich, der ich kein Staatsmann bin,« sagte der Notar, »sehe in einem Staatsoberhaupte den Liquidator einer Gesellschaft, die in einem ständigen Liquidationszustande verharren muß; er überliefert seinem Nachfolger ein Aktivum, das dem gleich ist, das er empfangen hat.«

      »Ich bin kein Staatsmann!« unterbrach Benassis den Notar lebhaft. »Es bedarf nur gesunden Menschenverstandes, um das Schicksal einer Gemeinde, eines Kreises oder eines Bezirks zu verbessern; wer eine Provinz leitet, muß schon Talent besitzen. Diese vier Verwaltungspflichten aber haben begrenzte Horizonte, die gewöhnliche Augen leicht überschauen können; ihre Interessen stehen durch sichtbare Bande im Zusammenhange mit der großen Bewegung des Staates. In der höheren Region vergrößert sich alles; der Blick des Staatsmannes muß von dem Standpunkt aus, auf dem er steht, alles überschauen. Da wo er, um viel Gutes in einer Provinz, in einem Bezirke, in einem Kreise oder einer Gemeinde zu wirken, nur nötig hätte, das Resultat einer zehnjährigen Frist vorauszusehen, muß er, sobald es sich um eine Nation handelt, ihre Geschichte vorausahnen, sie am Laufe eines Jahrhunderts abmessen. Das Genie der Colbert, der Sully bedeutet nichts, wenn es sich nicht auf den Willen stützt, der die Napoleon und die Cromwell macht. Ein großer Minister, meine Herren, ist ein großer Gedanke, der auf allen Jahren des Jahrhunderts, dessen Glanz und Gedeihen von ihm vorbereitet worden sind, geschrieben steht. Beständigkeit ist die Tugend, deren er am meisten bedarf. Ist aber Beständigkeit nicht auch in allen menschlichen Dingen der höchste Ausdruck der Kraft? Seit einiger Zeit sehen wir allzu viele Männer nur ministerielle Ideen statt nationaler Ideen haben, um nicht den wirklichen Staatsmann als denjenigen zu bewundern, der uns die unermeßlichste menschliche Poesie darbietet. Immer über den Augenblick hinaussehen und dem Geschick zuvorkommen, über der Macht stehen und nur durch das Gefühl der Nützlichkeit dabei beharren, ohne sich über seine Kräfte zu täuschen; sich seiner Leidenschaften und selbst allen gewöhnlichen Ehrgeizes entäußern, um Herr seiner Fähigkeiten zu bleiben, um unaufhörlich vorherzusehen, zu wollen und zu handeln; gerecht und absolut werden, die Ordnung im großen aufrechterhalten, seinem Herzen Schweigen auferlegen und nur auf seine Intelligenz hören, weder mißtrauisch noch vertrauensselig, weder zweiflerisch noch leichtgläubig, weder erkenntlich noch undankbar sein, weder hinter einem Ereignisse zurückbleiben, noch von einem Gedanken überrascht sein; endlich durch das Gefühl der Massen leben und sie immer beherrschen, indem man die Flügel seines Geistes, das Volumen seiner Stimme und das Durchdringende seines Blicks entfaltet, indem man nicht die Einzelheiten, sondern die Konsequenzen aller Dinge sieht, – heißt das nicht ein bißchen mehr sein als ein Mensch? Deshalb müßten die Namen dieser großen und edlen Väter der Nationen für immer populär sein.«

      Einen Augenblick über herrschte Schweigen, währenddessen die Gäste sich untereinander anblickten.

      »Meine Herren, Sie haben nichts von der Armee gesagt,« rief Genestas. »Militärische Organisation scheint mir der wahre Typ jeder guten bürgerlichen Gesellschaft; der Degen ist der Vormund eines Volkes.«

      »Rittmeister,« erwiderte lächelnd der Friedensrichter, »ein alter Advokat hat gesagt, daß die Reiche mit dem Degen begönnen und mit dem Tintenfaß aufhörten; wir sind beim Tintenfaß angelangt.«

      »Nachdem wir jetzt das Los der Welt geregelt haben, wollen wir von etwas anderem reden, meine Herren. Auf, Rittmeister, ein Glas Eremitagewein,« rief lachend der Arzt.

      »Lieber zwei als eins,« erwiderte Genestas, sein Glas hinhaltend, »ich will sie beide auf Ihre Gesundheit trinken; Sie sind ein Mann, der unserer Spezies Ehre macht.«

      »Und den wir alle innig lieben!« sagte der Pfarrer in herzlichem Tone.

      »Wollen Sie mich denn eine Sünde des Hochmuts begehen lassen, Monsieur Janvier?«

      »Der Herr Pfarrer hat nur recht leise geäußert, was der ganze Bezirk ganz laut sagt,« erwiderte Cambon.

      »Meine Herrn, ich schlage Ihnen vor, Monsieur Janvier nach dem Pfarrhause zu bringen und so einen Mondscheinspaziergang zu machen.«

      »Gehen wir,« sagten die Gäste, die sich anschickten, den Pfarrer zu begleiten.

      »Auf

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