Скачать книгу

gerissen? Acht Kilometer, die Höchst-Grenze menschlichen Lebens … er fühlte, wie das Blut seine Adern zu sprengen drohte. Dazu die strahlende Glut! Die Gestänge in seinen Händen wurden heißer und heißer. Die Zunge klebte ihm am Gaumen.

      Auf seinem Rücken bewahrte er eine Flasche Wasser. Tantalusqualen!

      Er konnte es nicht wagen, danach zu greifen … die Steuerung loszulassen. Seine Kräfte wurden matter. Er schloß die Augen, als wolle er das Unvermeidliche über sich ergehen lassen, den Kampf aufgeben.

      »Die Strafe des Schicksals folgt der Tat«, murmelten seine trockenen Lippen …

      Ein riesiges, glühendes Wellblechdach, das in tollen Wirbeln sich überschlagend seine Bahn kreuzte, riß ihn aus seiner Betäubung. Das hatte den Weg gefunden aus dem glühenden Zentrum in die Abdrift des Orkans. Mit einer letzten, übermenschlichen Anstrengung drehte er das Tiefensteuer immer weiter herum, riß er das Seitensteuer. Der letzte Versuch …

      Da vor ihm flatternd das wirbelnde Blech. Ihm nach! Er starrte hinüber. Da verschwand es aus seiner Sicht. Nein! Nein! Da war es wieder!

      Deutlicher, immer deutlicher sah er es jetzt. Er näherte sich ihm … schneller, immer schneller. Er ließ das Tiefensteuer noch einmal hoch und drückte mit scharfem Ruck nach unten. Der Kopf des Fliegers senkte sich, das Gestänge zum Zerspringen gespannt.

      Und dann … der Widerstand ließ nach. In sausendem Gleitflug schoß er unter dem Blech hindurch, weg vom Wirbel, weg von den Flammen.

      Gerettet! wollte er rufen.

      Da, eine Bö hob ihn, warf ihn zurück. Noch einmal das Tiefensteuer!

      Der Apparat ächzte, aber er gehorchte. In gleitendem, rasendem Flug schoß er aus dem Zyklon in ruhigeren Äther … schoß weiter, weiter, die Tageshelle hinter sich lassend, in die kühle, rettende Nacht. Eine unendlich wohltuende Müdigkeit überfiel Tredrup. Der Widerstand der Luft wurde so schwach, daß seine ermüdeten Arme sich nur wenig anzustrengen brauchten, um den Albatrosflug des Schwingenfliegers durchzuhalten.

      Jetzt endlich konnte er einen Arm frei machen, die Wasserflasche ergreifen, sie an die Lippen führen. Das Wasser war warm! Und doch, wie labte es den vertrockneten Gaumen! In gierigen Zügen sog er die Flasche aus bis zum letzten Tropfen.

      Er wandte den Kopf nach Süden. Wohl sah er sie noch, die Riesenfackel, die von der Erde zum Himmel reichte. Aber ihr Licht war schwächer geworden. Die Tageshelle da unten war hier dunkler Nacht gewichen. Er blickte hinauf zum Himmel. Das Meer der Sterne grüßte ihn. Im Augenblick hatte er sich orientiert.

      Nach Norden hin! Nach Norden zu den Freunden, zur Heimat!

      Wibehafen … das neue Bild! Wie anders war’s noch vor Wochen!

      Gewiß! Auch jetzt drängte sich Schiff an Schiff an den Kais. Sie kamen an wie früher, mit Lebensmitteln, mit Ballast. Kehrten zurück mit dem, was die Gruben lieferten. Kohle früher! Jetzt Menschen!

      Leer die Riesenschächte! Leer die gewaltigen Fabrikgebäude! Stumm die Maschinen! Alles Lebende auf der Flucht nach Süden. Nichts von den kostspieligen Anlagen, von den Riesenwerften durfte abmontiert, durfte weggeschafft werden.

      Menschenleben retten! Die letzten Transporte waren zu machen. Ein paar tausend … Die letzten von den Hunderttausenden, die bis vor kurzem hier gelebt hatten. Die Stadt mit ihren schönen breiten Straßen, den großen, wohlgebauten Häusern bot ein trauriges Bild in ihrer Öde und Verlassenheit.

      Das Flugzeug, das, von Süden her kommend, auf dem Flugplatz landete, fand keine Helfer. Die Riesenhalle leer, verlassen.

      Uhlenkort sprang hinaus und nahm den Weg zum alten Leuchtturm.

      Die Augen geradeaus gerichtet … nicht links, nicht rechts schauend, als könne er den trostlosen Anblick nicht ertragen, ging er seinen Weg. Und wieder war es ihm wie so oft. Als er nun am Fuße des Turmes stand und die Hand an die kalten grauen Quadern legte, ging ein Strom von Zuversicht, von Hoffnung durch sein Herz, verscheuchte alles, was es bedrückte.

      Und dann stand er dem Freunde gegenüber, oben in der Laterne des Turmes. Der begrüßte ihn kurz, wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

      War es die Nähe des Mannes, war es die Ruhe im Gemach? Uhlenkort ließ sich in einen Sessel nieder. Seine Hand strich über die Stirn, verscheuchte alle Sorgen und Qualen der Tage und Nächte. Er zog eine amerikanische Zeitung aus seiner Tasche und begann zu lesen. Hier ein ausführlicher authentischer Bericht über das Unglück am Augustus-Schacht in Mineapolis. Tredrup … sein Werk! Wo war er jetzt? Hatte er sich gerettet? Die Zeitung schilderte die Vorgänge der Katastrophe in den grellsten Farben. Uhlenkort las, zuckte die Achseln.

      Wie verblaßte das alles gegenüber dem, was über Europa gekommen war. Noch einmal überlegte er im Geiste die Tat Tredrups, ihre Notwendigkeit. Ein Herostrat … das Wort stand in den Spalten der Zeitung immer wieder. War es das? War das richtig? Nein! Nein! Schrie es in ihm auf. Es mußte geschehen in berechtigter Notwehr. Und als wollte er sich frei machen von alledem, schlug er die Seite um, las weiter. Flüchtig gingen seine Augen über die gesperrt gedruckten Überschriften. Da!

      »Ein freches Piratenstück im Golf von Mexiko!«

      Er las …

      Der Überfall war anscheinend schon vor Tagen passiert. Der Bericht der Augenzeugen war es. Der letzte Satz: »Ein Passagier, Miss Christie Harlessen, Kontoristin aus New York, wird seit der Stunde des Überfalls vermißt. Man vermutet, daß sie von den Piraten mitgeschleppt wurde, wobei allerdings auffällt, daß niemand die gewaltsame Entführung gesehen hat.«

      Uhlenkort las … immer wieder lasen seine Augen diese Worte. Der Atem stockte ihm, seine Hände umkrampften das Blatt.

      Christie geraubt! Unmöglich! Von wem? Warum? Lösegeld?

      Von einer kleinen Kontoristin … und doch! Doch konnte es sein … ihr Name: Harlessen … vielleicht war er den Piraten aufgefallen. Sie hatten erfahren, daß sie mit dem Präsidenten der Europäischen Union nah verwandt sei. Im Geiste versetzte er sich auf das Schiff, sah, wie Christie, von rauhen Fäusten aus ihrer Kabine gerissen, in das Räuberschiff gebracht wurde.

      Jäh sprang er auf, eilte zu dem Arbeitstisch. Johannes mußte helfen …

      Er konnte es! Was konnte der Freund nicht?

      Er rüttelte an dessen Schultern, sprach zu ihm. Dieser schien nichts zu fühlen, nichts zu hören. Seine Hände arbeiteten an einem mechanischen Werk, seine Augen waren darüber geneigt, jede Bewegung verfolgend, prüfend. Uhlenkort trat zurück. Er durfte ihn nicht stören. Er stellte sich zur Seite, wartete in fieberhafter Ungeduld. Die Sekunden wurden ihm zu Minuten, die zu Stunden … unerträglich …

      Da, endlich! Der andere richtete sich auf, wandte sich zu ihm.

      »Was ist? Was wolltest du?«

      Uhlenkort wies ihm die Zeitungsnotiz. Mit fliegendem Atem stammelte er ein paar erläuternde Worte.

      »Hilf mir, Johannes! Hilf mir! Du kannst es! Ich weiß es.«

      Der schüttelte den Kopf.

      »Nein! Du irrst. Ich kann dir nicht helfen, ich kann dir nichts sagen, ich darf es nicht …«

      Die letzten Worte, in leisem Flüsterton gesprochen, Uhlenkort hatte sie doch vernommen.

      »Du darfst es nicht?« schrie er. »Du kannst es und willst es nicht?«

      Der Freund wandte sich ab zu dem breiten Südfenster, starrte lange hinaus.

      »Ich könnte es … vielleicht …«, murmelten seine Lippen.

      »Nein!« Mit dem Wort hatte er sich umgewandt, trat auf Uhlenkort zu.

      »Nein! Ein Mißbrauch war’s! Ich will nicht! Du, der du tiefer in mein Innerstes geschaut hast als irgendein anderer Sterblicher … du, der du weißt, was das Schicksal mir auferlegte, weißt, daß meine schwachen Schultern die Bürde kaum zu ertragen vermögen … weißt, daß ich alles, was ich tue … tue … weil das Schicksal

Скачать книгу