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Er fühlte, daß seine Kräfte nachlassen würden, bliebe er noch länger unter dem zwingenden Bann dieses Mannes.

      »Sie werden mir jederzeit willkommen sein, Mr. Rouse.«

      »Ich danke Euer Majestät.«

      Er beugte sich, als wenn er eine Hand küßte, die doch nicht da war, und ging hinaus.

      Der Stettiner Hafen zeigte ein ungewohntes Bild. Seit Tagen schon.

      Schiffe aller Größen, von Norden kommend, legten an den Kais an, Menschenmassen an Land speiend. Grubenarbeiter aus Spitzbergen, die nach den russischen Kohlenzechen im Donezbecken und im Uralgebirge dirigiert wurden.

      In der Mehrzahl verheiratete Leute, die mit Weib und Kind neue Heimat und neue Arbeitsstätten zu suchen gezwungen waren. Die Unterkunftsmöglichkeiten, für einen solchen Andrang nicht eingerichtet, waren überfüllt. Viele lebten in Schuppen, viele im Freien. Auf den Sachen sitzend, die ihre geringen Habseligkeiten bargen.

      Eine neue Völkerwanderung! Doch die Gesichter der Auswanderer so ganz anders! Kein Zeichen froher Hoffnung. Mißmutig, düster standen sie in dem nässenden Nebel, der bleigrau Hafen und Stadt deckte. Selbst die Kinder waren gedrückt, unbewußt fühlten sie den Druck des Unheils, das alles vor sich hertrieb.

      Bei einer Gruppe, die fester als andere zusammenhielt, saß Klaus Tredrup. Es waren die Leute seiner Belegschaft. In den wenigen Wochen, die er mit ihnen zusammengearbeitet hatte, hatte sein offenes, freies Wesen sie eng an sich zu fesseln gewußt. Als die Minen stillgelegt wurden, der Abtransport feststand, hatte er sich eines befreundeten russischen Ingenieurs im Ural erinnert, hatte sich telegrafisch an ihn gewandt, die Zukunft seiner Leute so gut wie möglich zu sichern. Der war gern bereit gewesen, und so fuhren sie jetzt zum Ural. Plaudernd, scherzend mit den Leuten, hatte er es verstanden, ihnen Furcht und Bedenken vor der weiten Reise nach einem unbekannten Lande zu zerstreuen. Er selbst hatte zunächst die ganze Fahrt mitmachen wollen, erwogen, eventuell dort zu bleiben. Da, im letzten Augenblick, war Walter Uhlenkort nach Spitzbergen gekommen, hatte ihn zu sich gebeten zu einer Unterredung im alten Leuchtturm.

      Tredrup war gegangen. Gegangen … nicht mit dem gewohnten freien Schritt. Einmal nur war er da gewesen. Einmal hatte er seinen Bewohner gesehen. Die nächtliche Fahrt!

      Tagelang … nächtelang … unaufhörlich tobten die Erinnerungen daran in seinem Hirn. Immer wieder hatte er versucht, all das Mystische, Geheimnisvolle auszuschalten. Streng logisch, mit kühlem, klarem Kopf alles zu rekonstruieren, was da geschehen.

      Da war er bei dem Schiffer, dessen Weib krank lag. Bewog den, ihn als Stellvertreter zu melden. Da stieg er in das Motorboot. Da fuhren sie im Schein der Mitternachtssonne nach Süden.

      Fuhren sie? Flogen sie?

      Da begann schon das Rätsel. Was war das für eine Schnelligkeit, die das Boot – es war ein Boot wie tausend andere – durch die See trieb? Er hatte keine Karten, keine Instrumente, gehorchte nur den Weisungen des Steuermanns.

      Doch sein Gefühl sagte ihm … lange genug war er in seiner Jugend auf See gefahren … diese Schnelligkeit überstieg alles, was die kühnste Phantasie sich vorstellen konnte.

      Die skandinavische Küste – im Flug war sie erreicht. Weiter, weiter nach Süden. Fjord an Fjord, Fjord nach Fjord. Wie im Fluge schossen sie daran vorbei. Bis die mitternächtige Stunde schlug, bis der vom Leuchtturm … Dann brach es ab … brach ab … ein paar Bruchstücke.

      Was hatte er getan, der Geheimnisvolle? Immer wieder die Frage. Was hatte er getan?

      In stundenlangem Brüten hatte er sein Gehirn zermartert, das zu ergründen. Es gelang nicht, gelang auch nicht, den Weg zu finden, zu dem Traum … Traum. War das ein Traum? Vineta? Die versunkene Stadt im Ostmoor. Die Sage, die sich daran knüpfte … gewiß! Er kannte sie von Jugend auf.

      Aber das andere, was er wie im Traum weiter gesehen? Das Bild, wie sie dalag an der Nordspitze der Insel. Oben die Burg, zu ihren Füßen die Stadt.

      Er war darin gewesen, war über Straßen und Plätze gegangen. Hatte das reiche Leben gesehen, das sich dort abspielte.

      Ein Traum? Wie konnte er träumen, was er nie gewußt, was er nie gelesen, was seine Sinne nie aufgenommen? Er hatte sich nach Hamburg gewandt, hatte sich verschafft, was die Forschung über Vineta ergeben. Da stand es schwarz auf weiß … was er geträumt. Die Bilder, die er gesehen, da waren sie.

      Er hatte gegrübelt, ob ihm nicht doch jemals das schon vorher zu Gesicht gekommen, ob es nicht doch nur ein Widerspiel im Schlaf gewesen. Nein! Sein Seelenheil hätte er verwetten mögen, daß er nie gelesen, was ihm der Traum zeigte.

      Und nun das, was hinausging über die Grenzen … über alle Grenzen des klaren Verstandes. Nach langem Schlaf war er in seinem Zimmer erwacht … kämpfend mit den wirren Eindrücken des Erlebten.

      Die Zeitung hatte er ergriffen. Das armselige Blatt, wo es stand: Die Stätte, wo einst Vineta lag, ist wieder erstanden. Seine Augen hatten an der kleinen Notiz gehangen, als gelte es Leben und Sterben für ihn.

      Immer wieder hatten seine Lippen die Worte wiederholt: Die Stätte, wo einst Vineta lag, ist wieder erstanden.

      Zuviel. Das war zuviel! Mechanisch hatte er das Blatt in die Tasche gesteckt, war zur Grube gegangen, war eingefahren. Wie Feuer hatte ihm das in der Tasche gebrannt. Immer wieder beim trüben Schein der Grubenlampen hatte er es herausgezogen, gelesen: Die Stätte, wo einst Vineta stand, ist wieder erstanden.

      Der Morgen … unvergeßlich war die Erinnerung daran … die Erinnerung an jene Fahrt und alles, was dann folgte.

      Nur mit größter Willensanstrengung hatte er sich vom Alpdruck der Erinnerung an diese Fahrt befreit. Den alten Leuchtturm hatte er seitdem gemieden. Dessen Anblick allein schon hätte genügt heraufzubeschwören, was er mit aller Kraft zu vergessen suchte.

      Jetzt stand er am Fuße des Turmes. Vor ihm die Stufen, die zu der Pforte führten. Er strich sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er alle die Bilder … Erinnerungen, die der Weg hierher in ihm wachgerufen, verscheuchen.

      In dem Wohnraum hatte ihn Uhlenkort empfangen. Allein … der andere war nicht da … war oben im Laboratorium in der Laterne.

      Uhlenkort hatte zunächst ein paar gleichgültige Worte über den Abbau des Minenbetriebes, den Abtransport der Belegschaft gesprochen. War dann auf die Frage übergegangen: Wohin? Die Frage, die einzige Frage!

      Was gab es noch für andere?

      Er, Tredrup, hatte ihm von seinem Plan gesprochen, eventuell in den Uralgruben Beschäftigung zu suchen. Uhlenkort hatte genickt, war dann auf andere Ziele übergegangen, auf Südafrika.

      Da hatte er verweilt. Hatte gesprochen. Wie dies Land, in erster Linie bestimmt, Massen der Auswanderer aufzunehmen, am Vorabend eines Krieges stände. Wer würde eine neue Heimat suchen in einem Lande, das von einem schweren Krieg bedroht sei? …

      Der Kaiser Augustus das … Salvator.

      Timbuktu der Obermoser …

      Die paar Worte, die Tredrup damals achtlos gesprochen … Uhlenkort hatte sie ihm jetzt wiederholt. Ihn wie beiläufig gefragt, wie er das gemeint, wie er sich das gedacht. Tredrup hatte ihm die Erklärung gegeben, noch immer ohne Ahnung ihrer vollen Bedeutung. Uhlenkort hatte lange Zeit in tiefem Nachdenken gesessen, hatte ihn angeblickt, als wolle er in seinem Innersten lesen. Hatte dann gesagt:

      »Sind Sie orientiert über die Schwierigkeiten, die gegenwärtig zwischen der Regierung der Südafrikanischen Union und der des Kaisers Augustus bestehen?«

      »Gleichberechtigung der Rassen!« Achselzuckend hatte es Tredrup erwidert. »Der eine will’s, der andere will’s nicht. Doktorfrage! Was weiß ich? Ich kenne sie alle, die Rassen auf der Welt.

      Gleichberechtigung? Die Frage hat mir nie Anlaß zum Nachdenken gegeben.«

      Und dann hatte Uhlenkort zu ihm gesprochen. Lange, eindringlich, bis es auch ihm klar geworden. Die Bedeutung der Frage:

      Gleichberechtigung

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