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gesessen, alles um sich vergessend. Bis das Wort Tschadseeschlacht ihn weckte. Noch einmal hatte Uhlenkort die Worte wiederholt, die Tredrup beim Obermoser gesprochen. Dann hatte er gewußt, um was es ging.

      Erste instinktive Regung: Weigern! Diese Aufgabe … riesengroß hatte sie vor ihm gestanden. Schon war sein Mund geöffnet zu dem Wort: Unmöglich.

      »Sie wären der einzige in der Welt, der es könnte.«

      Wie ein Hieb hatten ihn diese Worte Uhlenkorts getroffen. Er, der einzige in der Welt … er, Tredrup. Das Wort haftete in seinem Hirn, dem Ansturm kühler Überlegung spottend. Aufgesprungen war er, hatte dem anderen die Hand gereicht.

      »Ich tu’s!«

      Uhlenkort hatte noch weitergesprochen. Tredrup hatte nichts davon gehört. Seine Gedanken waren bei der Tat. Noch am selben Tag war Uhlenkort zurück nach Hamburg geflogen, hatte ihn mitnehmen wollen.

      Doch er hatte es abgelehnt. Seine Belegschaft wenigstens ein Stück des Weges zu geleiten lag ihm am Herzen.

      Und so stand er jetzt am Stettiner Kai. Abschiednehmend von ihnen, die sich um ihn drängten, immer wieder seine Hände ergriffen und schüttelten, ihm das Versprechen abzwangen, sie aufzusuchen da drüben im alten Land in Asien. Das Postflugzeug, das von Hafen zu Hafen die Küste entlangstrich … Stralsund … Tredrups Hand glitt von dem Kabinenfenster ab, legte sich lieber die Augen. Suchend glitt sein Blick nach Nordosten. Die alten Bilder waren wieder da.

      Vineta! Ein Zauberwort! Es zwang ihn. Er rief den Steward.

      »Mein Gepäck weiter nach Hamburg! Ich steige aus … folge mir einer der nächsten Maschinen.«

      Ein flinkes Hochseeboot fuhr eben hinüber. Er sah auf dem Vorderdeck. Das Glas ruhte in seiner Hand. Was er im Traum gesehen, was jetzt sein leibliches Auge sah, verschmolz zu einem Bild. Da war Rügen … Da war seine Südspitze … jetzt … da war die Rudenbucht, die Südspitze von damals. An ihr vorbei. Der Oderarm. An seinem Ostufer wieder wie damals … Vineta. Seine Augen starrten darauf. Was er da sah … im hellen Sonnenschein. Das Bild, es kam … es ging. Die Stadt mit der ragenden Burg … das graue, kahle, schlickbedeckte Land …

      Visionen, wechselnd wie im Kaleidoskop. Bald das … bald das. Was war Wirklichkeit? Was war es? Die Frage! Aber dann stand er an Land.

      Sie hatten die Anker geworfen. Sah den Boden, den seine Füße traten.

      Er beugte sich hinunter, daß seine Hände den feuchten, kühlen Boden berührten. Sand … Schlick! Wie draußen auf den Watten der Nordsee zur Zeit der Ebbe. Wie da oben auf dem neugeborenen Black Island.

      Black Island … Vineta … ein Rätsel wie das andere. Eine Lösung wie die andere. Was war’s? Die Lösung. Beide … aus dem Meer waren sie entstanden … gewachsen wie das Korn auf der Flur, das der Sämann in die Erde gesenkt. Der Sämann! War’s nicht der Geheimnisvolle … in seinem Boot? Black Island … Vineta …

      Vergeblich kämpfte Tredrup mit den wirr sich überstürzenden Gedanken. Die alte Klippe! Immer wieder scheiterte er daran. Wo blieb der Zusammenhang, für eines Menschen Geist begreiflich? Er taumelte vorwärts, die Füße haftend in dem zähen Sand.

      Dem alten Land zu! Usedom! Er stolperte, stürzte, richtete sich auf.

      Tiefe Gruben durchzogen den Boden. Da lagen Spaten, Hacken. Frische Menschenarbeit.

      Weiter! Eine leichte Wellblechhütte vor ihm. Er kam heran, trat ein.

      Zwei Männer saßen darin. Bei seinem Eintritt drehten sie sich um.

      »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«

      Einen Augenblick stand er, keuchend, tief atmend, bis er die Antwort fand. »Ich kam von Stralsund mit dem Schiff. Ich suchte Vineta und …«

      »… fanden es nicht!« Der Ältere fiel ihm lachend in die Rede. »Sie glauben wohl, hier im alten Vineta wie in den Ruinen Pompejis wandern zu können. Durch die Mauern der alten Jomsburg steigen zu können?

      Nein, mein Lieber.«

      Er lachte. »Die werden Sie nicht sehen … nie sehen. Nie wird ein Mensch – mögen auch die Ausgrabungen noch so weit vorschreiten –, nie wird ein Mensch das Bild vor Augen haben, wie sie aussah, die versunkene Königin des Meeres: Vineta! Wie schön ihr Gesicht war, wie köstlich ihre Kleidung!«

      Tredrup stand da, starrte den Mann an. Es schrie in ihm, zu sagen: Ich weiß, wie es aussah … Ich kann es euch zeigen und malen, das Bild der Königin Vineta … Ich sah sie … war ihr Gast … sah sie sterben …

      Sein Blick fiel auf einen Haufen Geräte … Rüstzeug, das man aus dem Schlamm geborgen, angerostet. Es schrie in ihm, zu sagen: Ich sah den Helm … das Schwert in der Hand des Wikingers, der auf stolzem Ross von der Jomsburg nieder ritt zur Stadt. Ich sah die Zinnkelche in den Händen der Trinker in den Herbergen. Hörte den Klang der Glocke vom Turm Sankt Maria klingen.

      Der andere schob einen Stuhl an ihn heran.

      »Sind Sie krank, Mann? Was haben Sie? Setzen Sie sich. Was erregt Sie so?«

      Er setzte ein Glas Wein vor Tredrup hin. Der stürzte es hinunter.

      Noch eins! Noch eins …

      Die Bilder schwanden. Die graue Wirklichkeit stand vor seinen Augen. Er erhob sich, folgte den beiden, die ihn hinausführten, ihm zeigten, was die See und die Erde wiedergegeben von der versunkenen Stadt.

      Und dann stand er. Die Sonne war verschwunden … Ein dünner kühler Regen rieselte vom Himmel. Tredrup nahm den Hut vom Kopf. Ein leichtes Wohlbehagen durchströmte ihn. Hinüber über Schlick und Land ging sein Blick zum Boot.

      Zurück, Schemen! Nacht! Rätsel!

      Weg! Nach Hamburg! Nach Süden! Der Sonne zu, dem Licht zu … der Tat zu!

      Ein kleiner Raum. Die notwendigsten Möbelstücke darin. Kaum erhellt von den wenigen Strahlen, die das Sonnenlicht durch das kleine Fenster warf. Kein Gitter vor den Fenstern zwar … das Zimmer des Untersuchungsgefangenen James Smith.

      Die lange, sehnige Gestalt auf dem Bett ausgestreckt, die mächtigen Schultern die Breite des Bettes bedeckend. Die Rechte schlaff zum Boden hängend. Ein Bündel Zeitungen am Boden verstreut, als wären sie eben der Hand entglitten.

      Der Isthmus … der Golfstrom … Europa … von überall her grinsten die Aufschriften zu ihm empor. Seine Linke preßte sich auf die Augen, drückte sie fest zu, als wolle sie sie von diesen Worten, diesen folternden, marternden Worten befreien. Waren nicht allein schon die Gedanken genug? Die Gedanken, die nicht loskonnten von dem Isthmus … dem Golfstrom … dem sterbenden Europa?

      Die große Gestalt bog sich, reckte sich, sprang auf. Die Füße traten und stampften auf die Schlagzeilen der Blätter. Von einer Wand zur anderen. Fünf Schritte hin und her. Immer schneller … rasend, bis er tief atmend stehen blieb. Seine Rechte klammerte sich um den Bettpfosten.

      Wo gab es einen irdischen Richter, der schwerere Strafen über ihn hätte verhängen können, Schwereres als das, was er jetzt schon litt, gelitten hatte seit jenem Tage? Er preßte die freie Hand vor die Stirn.

      Wie war das möglich gewesen? Er, James Smith, unterlegen dem Glanz des Goldes? Er, James Smith, dem das Gold nie mehr bedeutet hatte als die Möglichkeit zu leben? Er, dem nur das große Ziel, nur die Arbeit Befriedigung gegeben hatte?

      Seine Gedanken flogen zurück. Zu seiner Jugend, zu den Anfängen seiner Tätigkeit als Ingenieur. Gold! Nie hatte es ihn gelockt.

      Etwas leisten! Etwas Großes leisten. Das war immer das Ziel gewesen.

      Der Panamakanal, der Isthmus! Er, der Chefingenieur! Der Gipfel aller seiner Wünsche. Was gab’s da noch mehr? Das schmale silberne Band von Ozean zu Ozean. Auf ihm sich kreuzend, sich überholend die Schiffe aller Nationen der Erde.

      Sein Werk. Ein Werk. Groß, größer als das der Pyramiden des Altertums, unvergänglich für alle Zeiten. Unvergänglich sein Name damit verknüpft.

      Die

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