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… verbrannt … ertrunken. Das sterbende Europa war das letzte, fürchterlichste Glied dieser Kette von Unheil.

      Vom Tag der Abfahrt an war dies das Tagesgespräch der Passagiere gewesen … war es geblieben, die Spannung steigernd bis zu dem Augenblick, wo man vom Schiff aus mit eigenen Augen ein Bild – war es auch nur ein kleiner Ausschnitt des Riesengeschehens – sehen mußte.

      Sie kamen auf Deck gestürzt.

      Azuero! … Azuero!

      Der Kapitän auf der Brücke, zu seinem Navigationsoffizier gewandt, wies lachend auf die Menge, die sich an die Reling drängte.

      »Bis Mittag können sie warten, ehe sie ihre Neugier befriedigen können. Und dann«, er lachte laut, »werden sie lange Gesichter machen.

      Wir werden uns dicht an der Westküste halten. Die Ostküste ist nach den letzten Segelanweisungen nicht frei von Riffen. Es wäre Zeit, daß die Regierung neue Seekarten herausbringt. Aber die Vermessungsarbeiten dafür scheinen der amerikanischen Schiffahrt aufgepackt zu werden. Lotungen, Peilungen, Temperaturen, Strommessungen – das Schiffahrtsamt verlangt alles von uns.«

      Er nahm das Glas vor die Augen.

      »Da hinten! Das leichte Kräuseln im Westen und Osten! Es müssen schon die Ränder des neuen Stromes sein. Lassen Sie mit den Messungen beginnen. Ich bin selbst auf das Ergebnis neugierig. Ist es doch auch für mich das erstemal, daß ich auf diesem Meere fahre.«

      In einem Liegestuhl des Oberdecks lag Christie Harlessen. Sie preßte die Hände an die Stirn. Wie eine körperliche Qual empfand sie das laute Tun und Treiben der Passagiere. In der Mehrzahl waren es ja Amerikaner.

      Aber doch – sie wußte es aus der Schiffsliste – befand sich auch eine beträchtliche Anzahl von Europäern, auch aus den nordeuropäischen Ländern, an Bord. Wie konnten die? War es nicht genug, das Bewußtsein allein: Europa stirbt? Konnten diese ihre Neugier an der Quelle des Unheils nicht bezähmen? Mußte nicht jeder Schraubenschlag des Schiffes, der sie näher heranbrachte, sie niederdrücken?

      Seit jenem Tag … jede Minute des Tages stand ihr deutlich vor Augen.

      Der Kampf um die Schiffe von Sonnenaufgang bis Untergang … der Sieg … Triumph … unendliches Hochgefühl im Herzen. Die Millionen gerettet für die Firma Harlessen und Uhlenkort.

      Durch sie! Die Harlessen und doch Fremde. Fremde? Nein! Die geretteten Schiffe, sie wischten es fort, das Wort »fremd«. Die kostbare Ladung der Schiffe gerettet durch sie, diese Tat öffnete das Tor, das zur Heimat führte. Hamburg … Heimat … wo blieb es jetzt?

      Der Strom der Völkerwanderung, vom Norden Europas einsetzend, zum Süden flutend, sich zerteilend nach allen Himmelsrichtungen … wohin würde er das führen, womit sich ihr der Begriff Heimat verband?

      Wo in der Welt würden Harlessen-Uhlenkort ihren neuen Sitz gründen, aus dem neue Heimat entstand – wenn es überhaupt noch möglich war?

      Politik! Nie hatte sie sich darum gekümmert. Gleichgültig war ihr das Wort geblieben. In jenen Tagen erst, in denen sich die Fäden von ihr zu Harlessen-Uhlenkort gesponnen hatten, war es ihr ins Bewußtsein getreten. Überall in der Welt saßen die Vertreter der Firma, überall waren ihre Interessen verknüpft mit der Weltwirtschaft. Doch die Hauptadern, die Kohlengruben in Spitzbergen, die Zinngruben in Südafrika: unabwendbares Unheil stand darüber.

      Walter Uhlenkort! Er, der Kopf, das Gehirn des Ganzen! Wo war er jetzt? Im Geiste fühlte sie sich an seiner Seite stehend. Übernatürliche Kräfte fühlte sie in sich, ihm zu helfen, sein Werkzeug, seine Gehilfin zu sein. Was war jetzt noch ihre Tat? Was waren die geretteten Millionen gegenüber dem Zusammenbruch, der alles verschlingen mußte und auch sie zu verschlingen drohte?

      Ein Freudenschrei, von Backbord beginnend, pflanzte sich über das Schiff hin.

      »Die neue Küste! Der Kanal! Das neue Meer!«

      In wirren Rufen klangen die Worte über das Schiff. Das steuerte Nordnordwest. Von Steuerbord strömten die Massen zur Backbordreling. Da! Da mußte etwas zu sehen sein! Näher fuhr man an der neuen Küste. Christie sprang auf. Unerträglich dieses Schreien, Jubeln der Neugierigen. Sie ging hinunter in ihre Kabine, warf sich dort auf das Bett.

      Nur der Gedanke: Allein sein! Weg von diesen! Sie war allein … gewiß. Der Lärm von Deck drang nicht bis zu ihr hinunter.

      Und doch! Ihre Gedanken kamen nicht los von dem, was sie peinigte, marterte von jenem Tage an. Stunden verrannen. Sie hörte nicht, wußte nicht, wie sie von dem einen in den anderen Ozean in freier, breiter Fahrt hinübergekommen war. Uhlenkort … Hamburg … ihre Gedanken gingen um diese beiden Worte.

      Der Kapitän starrte auf die Tabellen, die der Navigationsoffizier vor ihm ausgebreitet hatte.

      »Die Tiefenmessungen? Fast durchgehend mehr als tausend Meter!

      Ich verstehe das Stöhnen der Erde … die Wunde, die ging tief …

      Wasserwärme achtundzwanzig Grad. Der Golfstrom … schon die Temperatur allein sagt’s. Fahrtversetzung? Fünf Meilen! Das heißt, der Golfstrom auf seinem neuen Weg durch die Landenge verringerte unsere Fahrt um fünf Meilen in der Stunde. Kein Zweifel mehr! Der Golfstrom fließt restlos im neuen Bett.

      Die Folgen für Europa? Fehlt er, fehlt auch die Golfdrift … fehlt die Kraft, die das Wasser des Atlantiks in warmem Strom nach Norden riß, dort oben Leben und Lebensmöglichkeit spendete …

      Ah! Der Gong schlägt zum Abendessen. Die Reling wird leer. Das mag jetzt ein schönes Geschnatter an der Tafel geben.«

      So war es auch, wenn es auch nur wenig gewesen, was die neugierigen Augen gesehen hatten. Deshalb hielt sich das Thema von der Kanalkatastrophe nicht allzu lange als Tischgespräch und war nur zu bald erschöpft.

      Seeräuber! Das ältere, beliebteste Thema der Schiffspassagiere dieser Zeit! Am untersten Ende der Tafel aufgeworfen, eilte es wie ein Stichwort von einem zum anderen. Allerdings war man jetzt im Atlantik in belebtester Fahrstraße. Westlich die amerikanische Küste, östlich die Antillen. Ganz aktuell war hier das Thema nicht. Der Stille Ozean in seiner südlichen Ausdehnung mit viel schwächerem Verkehr war das eigentliche Feld für die modernen Piraten.

      Als hätte man nur auf das Stichwort gewartet, schwirrten die Geschichten von den Piratenstückchen – sich übertrumpfend an Frechheit, Tollkühnheit – durch den Raum. Schon hatte sich ein Schleier von Romantik um dieses neue, früher kaum noch der Sage nach bekannte Freibeutertum gewoben. Da waren zum Beispiel einzelne Piratenkapitäne – sie erfreuten sich der besonderen Hochachtung des Publikums –, die mehr aus politischen als aus verbrecherischen Instinkten diese Laufbahn ergriffen hatten. Motive aller Art, von den edelsten hinab bis zu den verworfensten, sollten die Triebfedern dieser modernen Seehelden sein, die schließlich – die Motive sprachen da nicht mit – doch meistens lebenslängliche Haftstrafe ereilte.

      Auch die andere Seite, die Seepolizei der Mächte, bot hervorragende Figuren, die Besonderes in der Verfolgung und Bekämpfung der Freibeuter leisteten. Ihr Kampf war sehr schwer. Fanden doch die Seeräuber bei manchen Staaten offene oder geheime Unterstützung. Auf freier See bei frischer Tat ihnen beizukommen war so gut wie unmöglich. Sie in ihren Schlupfwinkeln aufzusuchen, dort zu bekämpfen, darin sie zu vernichten, die einzige Möglichkeit.

      Schlupfwinkel für ein U-Boot? Die Wasser der Erde boten unzählige.

      Der große Aktionsradius der Boote – mit ihren Atomreaktoren konnten sie monatelang auf See fahren, ermöglichte es ihnen, Stützpunkte an den entlegensten Stellen des Weltmeeres zu wählen. Bis zu den Polen hin waren sie bei entlegenen Inseln, an abgelegenen Küsten versteckt. Doch besonders guten Unterschlupf bot den Piraten der Stille Ozean mit seinen unzähligen kleinen Koralleninseln, die kein Verkehr berührte.

      So manche Tragödie hatte sich hier abgespielt, von der die Zeitungen und Magazine spaltenlang berichteten. Der übliche Gang! Ein Schiff fuhr. An Bord alles sorglos. Da, plötzlich ein Schuß, ein zweiter, ein dritter, und die Antennen der Funkanlage sind zerstört, bevor das überraschte Schiff um

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