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Fast ausschließlich darauf ist es zurückzuführen, dass wir nicht als Wilde aufwuchsen. Das verdanken wir nicht nur Lady E. (Cousine Mary), sondern ihrer ganzen Familie. Jahr für Jahr wurden wir mit Wanderungen, Autofahrten (die damals etwas aufregend Neues waren), Picknicks und Einladungen ins Theater überhäuft, und das alles mit einer Freundlichkeit, die auch unser ungehobeltes Benehmen, unsere Lautstärke und unsere Unpünktlichkeit nicht ermüdeten. Wir fühlten uns dort fast ebenso zu Hause wie in unserem eigenen Haus, nur mit dem großen Unterschied, dass wir uns an ein gewisses Maß an guten Manieren halten mussten. Was ich über Höflichkeit und Savoir-faire weiß (viel ist es nicht), lernte ich in Mountbracken.

      Sir W. (Cousin Quartus) war der älteste von mehreren Brüdern, die gemeinsam eines der wichtigsten Industrieunternehmen in Belfast besaßen. Er gehörte zu genau der Klasse und Generation, die man heute durch Galsworthys „Forsytes“ kennt. Doch falls Cousin Quartus nicht ganz und gar aus der Art schlug (was natürlich sein kann), ist diese Vorstellung äußerst ungerecht. Nie hat es jemanden gegeben, der weniger Ähnlichkeit mit einer galsworthyschen Figur hatte. Er war großherzig, kindlich, von tiefer und religiöser Demut und wohltätig im Übermaß. Niemand hätte sich seiner Verantwortung für seine Angestellten bewusster sein können. Er besaß eine gehörige Portion jungenhafter Ausgelassenheit; gleichzeitig hatte ich stets den Eindruck, dass der Gedanke der Pflicht sein Leben bestimmte. Seine eindrucksvolle Gestalt, sein grauer Bart und sein auffallend attraktives Profil ergeben ein Bild, an das ich mich stets mit Verehrung erinnern werde.

      Äußere Schönheit war tatsächlich den meisten Mitgliedern dieser Familie zu eigen. Cousine Mary war das Urbild der schönen alten Dame mit ihrem silbernen Haar und ihrem angenehmen südirischen Akzent, der mit dem, was sich Ausländer unter dem irischen Dialekt vorstellen, so wenig gemein hat wie die Sprache eines Gentleman aus dem schottischen Hochland mit dem Jargon der Slums von Glasgow.

      Doch die drei Töchter kannten wir am besten. Alle drei waren schon „erwachsen“, standen uns aber im Alter näher als alle anderen Erwachsenen, die wir kannten, und alle drei waren auffallend hübsch. H., die Älteste und Ernsthafteste, war eine Juno, eine dunkle Königin, die in gewissen Augenblicken wie eine Jüdin aussah. K., die das Profil ihres Vaters geerbt hatte, ähnelte mehr einer Walküre (obwohl sie, glaube ich, alle drei gute Reiterinnen waren). In ihrem Gesicht lag etwas von der feinen Wildheit eines Rassepferdes, eine indignierte Feinheit der Nüstern, die den Eindruck gab, als wollte jeden Augenblick ein Ausdruck exquisiter Verachtung auf ihre Züge treten. Sie besaß das, was die Eitelkeit meines eigenen Geschlechts „männliche“ Ehrlichkeit nennt; kein Mann war je ein treuerer Freund.

      Was die Jüngste, G., angeht, kann ich nur sagen, dass sie die schönste Frau war, die ich je gesehen habe, vollkommen in Gestalt und Farbe und Stimme und jeder Bewegung – doch wer kann Schönheit beschreiben?

      Vielleicht belächelt der Leser dies als fernes Echo einer frühreifen Schwärmerei, aber darin täuscht er sich. Manchmal ist Schönheit so unübersehbar, dass keine Brille solcher Art nötig ist, um sie zu offenbaren; selbst das achtlose und objektive Auge eines Kindes kann sie sehen. (Die erste Frau, die mein Blut in Wallung brachte, war eine Tanzlehrerin in einer Schule, von der in einem späteren Kapitel die Rede sein wird.)

      In mancher Hinsicht hatte Mountbracken Ähnlichkeit mit dem Haus unseres Vaters. Auch dort fanden wir Dachspeicherkammern, verschwiegene Räume und endlose Bücherregale. Anfangs, als wir erst zu einem Viertel gezähmt waren, vernachlässigten wir oft unsere Gastgeberinnen und stöberten allein umher; auf diese Weise fand ich auch Lubbock Ants, Bees, and Wasps. Doch in anderer Hinsicht war es auch ganz anders. Das Leben dort war geräumiger und bedächtiger als bei uns; es glitt dahin wie ein Boot, während es bei uns holperte wie ein Leiterwagen.

      Freunde und Freundinnen in unserem Alter hatten wir keine. Das ist teilweise eine natürliche Folge unseres Internatsbesuchs; auf diese Weise wachsen Kinder als Fremde für ihre eigenen Nachbarn auf. Doch noch viel mehr war es das Ergebnis unserer eigenen störrischen Entscheidung. Ein Junge, der in unserer Nähe wohnte, versuchte hin und wieder, uns kennenzulernen. Wir gingen ihm mit allen Mitteln, die in unserer Macht standen, aus dem Weg. Unser Leben war bereits gefüllt und die Ferien waren ohnehin zu kurz für all das Lesen, Schreiben, Spielen, Radfahren und Reden, das wir vorhatten. Das Auftauchen einer dritten Partei betrachteten wir als eine äußerst ärgerliche Unterbrechung.

      Noch empörender fanden wir jeglichen Versuch (den großen und erfolgreichen Versuch Mountbrackens ausgenommen), uns Gastfreundschaft zu erweisen. Zu der Zeit, von der ich jetzt spreche, war dies noch nicht zu einem ernsthaften Ärgernis geworden, aber da es während unserer Schulzeit allmählich und unaufhaltsam schlimmer wurde, sei es mir erlaubt, hier ein Wort darüber zu sagen und uns das Thema aus dem Weg zu schaffen.

      Es war Brauch in der Nachbarschaft, Partys zu geben, die eigentlich Tanzveranstaltungen für Erwachsene darstellten, zu denen aber dennoch Schuljungen und Schulmädchen eingeladen wurden. Die Vorteile dieses Arrangements aus der Sicht der Gastgeberin sind offensichtlich; und wenn die jungen Gäste sich untereinander gut kennen und nicht zur Verlegenheit neigen, haben sie vielleicht sogar Spaß daran.

      Für mich jedoch waren diese Tanzveranstaltungen eine Folter – und gewöhnliche Schüchternheit war nur zu einem Teil dafür verantwortlich. Es war die falsche Position (die ich durchaus zu erkennen vermochte), die mich quälte; zu wissen, dass man als Kind betrachtet und dennoch gezwungen wurde, an einer im Wesentlichen für Erwachsene bestimmten Veranstaltung teilzunehmen; zu empfinden, dass all die anwesenden Erwachsenen einen mit halb spöttischer Freundlichkeit als etwas zu behandeln vorgaben, was man nicht war. Stellen Sie sich dazu die Unbehaglichkeit des Eton-Anzuges und des steifen Hemdes, die schmerzenden Füße, den brennenden Kopf und schiere Erschöpfung vor, weil man so viele Stunden über die gewohnte Schlafenszeit hinaus aufbleiben musste.

      Selbst Erwachsene, denke ich mir, würden eine Abendparty ohne die Anziehungskraft von Sex und Alkohol nicht leicht erträglich finden; warum man von einem kleinen Jungen, der weder flirten noch trinken kann, erwarten soll, mit Freude bis in die frühen Morgenstunden auf einem gebohnerten Tanzboden herumzuhüpfen, übersteigt meine Vorstellungskraft.

      Natürlich hatte ich keine Ahnung von gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Mir war nie bewusst, dass die Höflichkeit es von gewissen Leuten verlangte, mich einzuladen, weil sie meinen Vater kannten oder meine Mutter gekannt hatten. Für mich war das alles eine unerklärliche, unverdiente Schikane; und wenn solche Einladungen, wie es oft geschah, ausgerechnet in die letzte Ferienwoche fielen und uns um eine lange Reihe von Stunden brachten, von denen jede einzelne Gold wert war, dann hätte ich meine Gastgeberin buchstäblich in der Luft zerreißen können. Wie kam sie dazu, mich so zu plagen? Schließlich hatte ich ihr nichts getan; ich hatte sie nie zu einer Party eingeladen.

      Mein Unbehagen wurde durch das vollkommen unnatürliche Benehmen verstärkt, zu dem ich mich auf solchen Veranstaltungen verpflichtet fühlte; und das hatte sich auf einigermaßen amüsante Weise ergeben. Da ich viel las und wenig Umgang mit Kindern meines Alters pflegte, hatte ich, noch bevor ich in die Schule kam, einen Wortschatz angesammelt, der (wie ich heute erkenne) aus dem Mund eines pummeligen Knirpses im Eton-Jackett reichlich komisch geklungen haben muss. Wenn ich meine „langen Wörter“ herausbrachte, dachten die Erwachsenen, was durchaus verständlich war, ich wolle damit angeben. Doch darin irrten sie sich sehr. Ich gebrauchte die einzigen Wörter, die ich kannte. In Wirklichkeit war es genau umgekehrt: Meinem Stolz hätte es gefallen, die paar Brocken Schuljungenjargon anzubringen, die ich aufgeschnappt hatte, und nicht die Sprache, die mir (in Anbetracht meiner Lebensumstände unvermeidlicherweise) im Alltag über die Lippen kam.

      Es fehlte nicht an Erwachsenen, die mich durch gespieltes Interesse und gespielte Ernsthaftigkeit anfeuerten – bis zu dem Augenblick, wo mir plötzlich klar wurde, dass man über mich lachte. Dann war natürlich meine Verlegenheit groß; und nach einer oder zwei solchen Erfahrungen machte ich es mir zur strengen Regel, bei „gesellschaftlichen Anlässen“ (wie ich sie im Stillen nannte) unter keinen Umständen über ein Thema, für das ich mich auch nur im Geringsten interessierte, oder in Worten, die mir spontan in den Sinn kamen, zu sprechen.

      Und ich hielt mich nur zu gründlich an meine Regel. Von nun an produzierte ich auf Partys eine kichernde und glucksende Imitation des geistlosesten

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