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Sondervotum hat Böhmer die Ansicht vertreten, dem Vollstreckungsgläubiger könne immer nur der geringste Eingriff in die Schuldnersphäre zur Erreichung seines Vollstreckungszwecks erlaubt sein[60]. Das BVerfG hat eine ähnlich schematisierte Verhältnismäßigkeitskontrolle des Vollstreckungseingriffs anklingen lassen, als es bei Bagatellforderungen die Wohnungsdurchsuchung für fragwürdig hielt[61]. In beiden Fällen vernachlässigt die Verhältnismäßigkeitskontrolle das Rechtsschutzgrundrecht des Gläubigers[62], u.U. bis zur faktischen Rechtsverweigerung, und führt dann zur Korrektur des materiellrechtlichen Anspruchs. Auch ist zu berücksichtigen, dass der Schuldner „unverhältnismäßigen“ Eingriffen meist durch Selbstliquidation ausweichen kann (Rn. 6.75, 7.18)[63]. Letztlich kann nur eine konkrete Abwägung verfassungswerter Interessen ein zeitlich befristetes Moratorium in Extremfällen verfassungsrechtlich gebieten. Auch die von Gerhardt (ZZP 95, 488) aufgestellte Grundregel, am menschlichen Leben scheitere jede Vollstreckung („kein Leben gegen Eigentum“) verliert ihre stringente Schlüssigkeit, wenn man z.B. dem suizidbedrohten Mieter den ebenfalls kranken, suizidbedrohten Mitmieter oder Vermieter gegenüberstellt, der unter der Gegenwart des kranken Mieters gesundheitlich leidet. Konkrete Abwägungen haben den Nachteil, den Rechtsstreit neu aufzurollen und zur Rechtsunsicherheit zu führen; man sollte sie deshalb klaren Fällen schweren Unrechts vorbehalten. „Die Verfassungsrechtler besitzen den Schlauch des Äol, die klarsten zivilrechtlichen Ansprüche im Winde von Übermaßverbot und Güterabwägung schwanken und zerknicken zu lassen …“ (Stürner NJW 1981, 1760).

      7.46

      Die Kritik an der Rechtsprechung des BVerfG kann nicht vergessen machen, dass positive Vorschläge für bessere und praktikable Maßstäbe verfassungsrichterlicher Kontrolle letztlich fehlen und wahrscheinlich unmöglich sind. Man wird sich auf den Wunsch zu beschränken haben, bei der verfassungsrichterlichen Bewertung von richterlichen Entscheidungen im Vollstreckungsrecht stärker als bisher Selbstbeschränkung zu üben. Die Praxis täte gut daran, die Entscheidungen in erster Linie als Einzelfallkorrekturen zu begreifen und grundsätzliche Anpassungen des Zwangsvollstreckungsrechts an den neuesten Stand der Verfassungsinterpretation dem Gesetzgeber zu überlassen, der z.B. im Zwangsversteigerungsrecht tätig geworden ist (§§ 30a, 74a, 85a ZVG). Es wäre um die Rechtssicherheit und Durchschlagskraft des Vollstreckungsrechts schlecht bestellt, wenn nun Richter und Vollstreckungsorganwalter daran gingen, das einfache Recht nach ihren Vorstellungen vom Verhältnismäßigkeitsprinzip umzustülpen[64].

Zweites Kapitel Die Vollstreckungsorgane und das Vollstreckungsverfahren

      § 8 Die Vollstreckungsorgane

      Schrifttum:

      Messer, Die freiwillige Leistung des Schuldners in der Zwangsvollstreckung, 1966; Kern, Reformgedanken über die Stellung und Aufgaben des Gerichtsvollziehers, ZZP 80 (1967), 325; Gaul, Zur Struktur der Zwangsvollstreckung, Rpfleger 1971, 81; Hoffmann, Die Aufgabenverteilung zwischen Vollstreckungsorgan und erkennendem Gericht (Diss. Saarbrücken 1972); Dütz, Der Gerichtsvollzieher als selbstständiges Organ der Zwangsvollstreckung, 1973; Gaul ZZP 87 (1974), 241 (Besprechungsaufsatz zu Dütz); Zeiss, Aktuelle vollstreckungsrechtliche Fragen aus der Sicht des GVs, JZ 1974, 564; Pawlowski, Die Wirtschaftlichkeit der Zwangsvollstreckung, ZZP 90 (1977), 345; Fahland, Die freiwillige Leistung in der Zwangsvollstreckung und ähnliche Fälle, ZZP 92 (1979), 432; Eickmann, Vollstreckungssysteme und Gerichtsvollzieherstellung in Europa, DGVZ 1980, 129; Brehm, Zentralisierung der Zwangsvollstreckung, Rpfleger 1982, 125; Eich, Die Vollstreckungsorgane der Volksrechte (Diss. Bonn 1983); Noack, Die Verpflichtung des Gerichtsvollziehers zur Aufklärung und Berücksichtigung des im Einzelfall gegebenen Sachverhalts, DGVZ 1984, 33; Christmann, Der Gerichtsvollzieher und sein Amt, DGVZ 1985, 33; Eich, Vollstreckungspersonen – Ursprünge und Entwicklungen bis zum Gerichtsvollzieher des heutigen Rechts, DGVZ 1985, 13; Geißler, Zum Beschwerderecht des Gerichtsvollziehers in der Zwangsvollstreckung, DGVZ 1985, 129; Hanke, Erfolge oder Rückschläge? Zur Entwicklung des Zwangsvollstreckungsrechts seit 1974 und zur Rechtsstellung des Gerichtsvollziehers, DGVZ 1986, 17; H. Schneider, Formstrenge und Wertung in der Vollstreckungstätigkeit des Gerichtsvollziehers, DGVZ 1986, 130; Stolte, Aufsicht über die Vollstreckungshandlungen des Gerichtsvollziehers (Diss. Bochum WS 1986/87); ders., Der Gerichtsvollzieher – Vollstreckungsorgan zwischen Selbstständigkeit und Weisungsgebundenheit, DGVZ 1987, 97; Zeiss, Vollstreckungsautomat oder Entscheidungsträger? DGVZ 1987, 145; Seip, Die Entwicklung der Geschäftsbelastung der Gerichtsvollzieher von 1971–1986, DGVZ 1988, 112; Stolte, Rechtsschutzkasuistik für Gerichtsvollzieher, DGVZ 1988, 99; Grawert, Die Ordnung des Gerichtsvollzieheramtes vor dem Grundgesetz, DGVZ 1989, 97; Schilken, Der Gerichtsvollzieher als Vermittler zwischen Gläubiger und Schuldner bei der Realisierung titulierter Geldforderungen, DGVZ 1989, 161; H. Schneider, Die Ermessens- und Wertungsbefugnis des Gerichtsvollziehers, 1989 (Besprechung: Münzberg ZZP 103 [1990], 505); ders. mit gleichnamigem Aufsatz, DGVZ 1989, 145; Oerke, Gerichtsvollzieher und Parteiherrschaft, 1991; Behr, Effektive Sachpfändung durch den Gerichtsvollzieher, NJW 1992, 2738; Polzius, Aufgabengebiet und Systemfrage des Gerichtsvollziehers über das Jahr 2000 hinaus, DGVZ 1993, 103; Uhlenbruck, Das Bild des Gerichtsvollziehers, DGVZ 1993, 97; Seip, Die Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher, NJW 1994, 352; Scherer, Verzugsbeendigung durch Scheckübergabe an den Gerichtsvollzieher, DGVZ 1994, 129; Geißler, Zuständigkeiten des Gerichtsvollziehers und der Ordnungsbehörde bei der Zwangsräumung von Wohnraum, DGVZ 1996, 161; Schilken, Die Einziehung von Teilbeträgen durch den Gerichtsvollzieher gemäß §§ 806b, 813a, 900 Abs. 3 ZPO n.F., DGVZ 1998, 145; s.a. Rn. 8.12 (Durchsuchungsanordnung).

      Aus rechtssoziologischer Sicht: Blankenburg/Voigt (Hg.), Implementation von Gerichtsentscheidungen, 1987 (insbes. 3. Kapitel: „Implementation von zivilgerichtlich legitimierten Geldforderungen“ mit Beiträgen von Rogowski, J.M. Klein, Hörmann, Adler/Hörmann, Rasehorn, Ziegert); Hörmann, Verbraucher und Schulden, 1987; ders., Mechanismen der Beitreibung und Regulierung von Schulden, DGVZ 1991, 81; Wacke, Heiteres und Historisches über das Amt des Gerichtsvollziehers, DGVZ 1991, 101; Nesemann, Gerichtsvollzieher in Vergangenheit und Zukunft, ZZP 119 (2006); 87; Bruns, Vom Forderungseinzug zum Forderungsmanagement – Neue Aufgaben für den Gerichtsvollzieher?; DGVZ 2010, 24; Schwörer, GVGA und GVO – Vorschriften ade?, DGVZ 2010, 73; Glenk, Unverzichtbares Allerlei – Amt und Haftung des Gerichtsvollziehers, NJW 2014, 2315; s.a. Schrifttum zu § 4.

      Vollstreckungsorgane sind der Gerichtsvollzieher (I.), das Vollstreckungsgericht (II.), das Prozessgericht (III.) und andere Behörden (IV.).

I. Der Gerichtsvollzieher

      8.1

      Der Gerichtsvollzieher (GV) ist ein Beamter der Justizverwaltung, führt dabei aber einen eigenen Geschäftsbetrieb mit Geschäftszimmer und Bürobediensteten auf eigene Kosten. Ein bestimmter Anteil der Gerichtsvollziehergebühren, dessen Höhe sich nach den Gerichtsvollzieher-Vergütungsverordnungen der Länder bemisst[1], verbleibt nach der seit 1.9.2013 in den Bundesländern einheitlich geltenden Gerichtsvollzieherordnung ebenso bei ihm wie der von ihm vereinnahmte Auslagenersatz (§ 7 Abs. 1 und 2 GVO); unverschuldete Ausfälle sind aus der Landeskasse zu ersetzen (Einzelheiten s. § 7 Abs. 3 GVO). Der Gerichtsvollzieher ist nach h.M. selbständiges Organ der Rechtspflege[2] und funktionell zuständig für alle Akte der Zwangsvollstreckung, soweit sie nicht den Gerichten zugewiesen sind (§ 753 Abs. 1); dies bedeutet (im Wesentlichen): für die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in bewegliche Sachen und für die Vollstreckung von Ansprüchen auf Herausgabe von beweglichen Sachen und Grundstücken.

      8.2

      Die Rechtsstellung des Gerichtsvollziehers ist – leider – nicht leicht durchschaubar geregelt.

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