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      7.33

      Der Gläubiger begehrt im Antragsverhältnis (Rn. 5.8) vom Staat die Verwirklichung der Rechtsschutzgewährleistung (Rn. 7.1), der Schuldner und Dritte sehen sich im Eingriffsverhältnis (Rn. 5.12) oder Drittverhältnis (Rn. 5.25) den Vollstreckungseingriffen hoheitlich handelnder staatlicher Organe ausgesetzt. Wenn die staatlichen Organe die Vollstreckung verweigern oder in die Rechte des Schuldners oder Dritter fehlerhaft eingreifen, so gelten die Gewährleistung eines effektiven rechtsstaatlichen Verfahrens und die Rechtsschutzgarantie gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt (Art. 19 Abs. 4 GG). Die vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe, die das „Ob“ und „Wie“ der Vollstreckung gerichtlicher Kontrolle unterwerfen (§§ 766, 771, 767 etc.), sind deshalb in ihrem Kernbestand verfassungsfest, natürlich nicht in ihrer konkreten Ausgestaltung[46]. Die Verfassung verlangt aber erschöpfenden und effektiven Rechtsschutz für und gegen Vollstreckungsakte (s.a. Rn. 2.2, 2.14).

      Dabei ist der Anwendungsbereich der Rechtsschutzgewährleistung in Zivilsachen (Art. 2 Abs. 1, 14 GG i.V.m. Rechtsstaatsprinzip) gegen den Anwendungsbereich des besonderen „öffentlichen“ Rechtsschutzgrundrechts (Art. 19 Abs. 4 GG) schwer oder kaum abgrenzbar, vor allem soweit zivilrechtlicher Rechtsschutz durch Hoheitsakte ohne Erkenntnischarakter gewährt wird. Da Art. 19 Abs. 4 GG letztlich nur ein Sonderfall der allgemeinen Gewährleistung rechtsstaatlichen Rechtsschutzes ist, bedarf diese Abgrenzung keiner Vertiefung. Die Ergebnisse sind unabhängig vom Ausgangspunkt identisch.

      7.34

      Nach dem Prioritätsgrundsatz werden die früher vollstreckenden, „raschen“ Gläubiger voll befriedigt bis zur Aufzehrung schuldnerischen Vollstreckungsguts, spätere Gläubiger gehen leer aus (Rn. 6.37 ff.). Das Gleichrangprinzip beteiligt hingegen alle vollstreckenden Gläubiger anteilig am Vollstreckungsgut des Schuldners und verwirklicht dadurch den Gedanken der Rechtsgleichheit in der Vollstreckung. Vor allem beim Arrestpfandrecht (Rn. 51.4, 52.15) kann das Prioritätsprinzip auf den ersten Blick fragwürdige Effekte hervorrufen[47]. Ist das Prioritätsprinzip verfassungsrechtlich haltbar?

      7.35

      Man muss sich zunächst klar machen, dass das Prioritätsprinzip des materiellen Rechts (Rn. 6.40) in der Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG) wurzelt: wenn mehrere Individuen abstrakt eine bestimmte Gestaltungsmöglichkeit haben, die konkrete Gestaltung aber nur einmal möglich ist, so bleibt nur die Priorität als Auswahlkriterium rechtlicher Wirksamkeit, soll bei knappen Gütern die Privatautonomie nicht ausgeschaltet sein. Genau gleich ist es mit der verfahrensförmigen Rechtswahrnehmung, wie sie Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip garantieren (Rn. 7.1): nur, wenn bei knappen Vollstreckungsgütern die Priorität gilt, kann die Rechtsschutzgewährleistung überhaupt voll eingelöst werden. Der Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG erzwingt demgegenüber die Beschränkung der Privatautonomie und der Rechtswahrnehmung, wenn er bei knappen Gütern die Kürzung der Erwerbschance und der Vollstreckungsmöglichkeit verlangt. So prallen bei der Rechtsverwirklichung Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG als grundrechtliche Antipoden in bekannter Weise aufeinander: Entfaltungsfreiheit und Gleichheit können nur in praktische Konkordanz gebracht werden, wenn die freie Entfaltung Ungleichheiten erzeugen darf, umgekehrt aber durch die Gleichheit beschränkt wird.

      7.36

      

      Diesen Anforderungen an die praktische Konkordanz zweier Grundrechte wird das einfache deutsche Vollstreckungsrecht gerecht, wenn man Einzelvollstreckung und Insolvenzrecht als Gesamtsystem betrachtet. Ausgangspunkt ist das Prioritätsprinzip der Einzelvollstreckung, das dem sein Recht verfolgenden Gläubiger volle Rechtswahrnehmung belässt und spätere Gläubiger auf den Rest verweist. Es liegt in der Hand der konkurrierenden Gläubiger oder des Schuldners, mit dem Insolvenzantrag der Verteilungsgerechtigkeit des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) Geltung zu verschaffen, wobei dann das Anfechtungsrecht des Insolvenzrechts diese Gleichheit auch rückwirkend herstellt. Ein Vollstreckungssystem, das nur an Priorität orientiert wäre und dem Gleichheitssatz keinerlei Raum beließe, müsste man sicher als nicht verfassungsgemäß betrachten; denn die Möglichkeit insolvenzrechtlicher Aufteilung des Schuldnervermögens ist Bestandteil der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgewährleistung[48]. Dazu gehört auch die praktische Zugänglichkeit des Insolvenzverfahrens für alle Gläubiger, die durch die neue Insolvenzordnung verbessert werden soll[49]. Der Prioritätsgrundsatz der Einzelvollstreckung schafft effektiven Rechtsschutz durch ein einfaches Verfahren (keine Nachverpfändung für neu hinzutretende Gläubiger, keine prophylaktische Überpfändung etc.) und bewahrt die Chancengleichheit der Natural- und Geldvollstreckungsgläubiger (Rn. 6.37 ff.). Insgesamt ergibt sich sonach ein ausgewogenes Gesamtsystem, das Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG gleichermaßen berücksichtigt.

      7.37

      

      Dies bedeutet nicht, dass die Einführung des Gleichrangprinzips im deutschen Einzelvollstreckungsrecht verfassungswidrig wäre. Man muss aber sehen, dass sich der Grundsatz der Naturalvollstreckung (Rn. 6.44 ff.) mit dem Gleichrangprinzip, das notwendigerweise auf Geldvollstreckung begrenzt ist, nur eingeschränkt verträgt: Naturalgläubiger und Geldgläubiger hätten unterschiedliche Befriedigungschancen. Die Gleichbehandlung von Natural- und Geldgläubigern und die Einfachheit des Verfahrens sprechen eher für das Prioritätsprinzip (Rn. 6.41 ff., 6.43).

      7.38

      Die Ehegatten des Vollstreckungsschuldners sind im Einzelvollstreckungsrecht – wie in der Insolvenz[50] – einer Sonderbehandlung ausgesetzt (§§ 1362 BGB, 739 ZPO, 3 Abs. 2 AnfG i.V.m. § 138 Abs. 1 Nr. 1 InsO), die den Gläubigern den Vollstreckungszugriff erleichtert und dem Ehegatten die Verteidigung eigenen Erwerbs erschwert (Rn. 19.1 ff., 26.30 ff.). Das BVerfG geht bis heute davon aus, dass diese Schlechterstellung verheirateter Dritter mit Art. 6 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG vereinbar sei, weil sie ehespezifischen Gefahren der Vermögensverschiebung begegne und das „Übermaßverbot“ nicht verletze[51]. Die Bedenken richten sich allerdings weniger gegen die vollstreckungsrechtliche Schlechterstellung als solche als gegen die isolierte Schlechterstellung der Eheleute: es gibt außer der Ehe in der heutigen Gesellschaft zahlreiche andere Verbindungen, die ähnliche Verschiebungsgefahr ohne entsprechende Konsequenzen heraufbeschwören (nichteheliche Lebensgefährten, Wohngemeinschaften, Organwalter oder herrschende Teilhaber der schuldnerischen juristischen Person etc.).

      7.39

      

      Es ist bedauerlich, dass das BVerfG diese Bedenken der vollstreckungsrechtlichen Literatur (Rn. 19.9; 11. Auflage

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