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Kapitel 7

      Beschämt betrat ich mein Zimmer, warf mich aufs Bett und vergrub mein Gesicht im Kopfkissen. Ich war so blöd. Am liebsten hätte ich mich geohrfeigt und wäre dem Jungen nie wieder unter die Augen getreten.

      Wie konnte mir so etwas Tollpatschiges bloß passieren? Was machte so ein halber Porno überhaupt in einem anständigen Internat? Und warum musste ich aus tausenden - wirklich tausenden - von Büchern, ausgerechnet nach dem greifen?

      Als ich mich einigermaßen beruhigt hatte, richtete ich mich wieder auf. Sofort fiel mein Blick auf meinen noch nicht ausgepackten Koffer. Wenn ich bloß daran dachte, dass ich meine Sachen noch einräumen musste, drehte sich mir der Magen um. Doch irgendwann musste es sowieso gemacht werden, also gab ich mir einen Ruck und ließ mich gelangweilt neben den Koffer und meinem Rucksack auf den Boden plumpsen. Als ich ihn öffnete, fiel mir ein Bild von mir und meiner Mutter in die Hände. Behutsam strich ich mit meinem Zeigefinger über den blau schimmernden Rahmen. An dem Tag, an dem es geschossen worden war, waren wir an der Nordsee gewesen. Wir hatten dort für eine Woche Urlaub gemacht, und ich erinnerte mich daran, als wäre es erst gestern gewesen.

      Ganz vorsichtig stellte ich das Bild auf den Nachttisch. Meine Mutter sah wunderschön aus. Ihre haselnussbraunen Haare und ihr strahlendes natürliches Lächeln, hatte sie an mich vererbt, das meinte mein Vater immer. Und er hatte recht, abgesehen von den Augen, ihre waren schokobraun, meine himmelblau, sah ich ihr sehr ähnlich.

      Nachdem ich auch all meine anderen Sachen an den richtigen Platz geräumt hatte, schüttelte ich erst den Koffer und dann den Rucksack kopfüber aus, um sicher zu gehen, dass ich auch alles ausgepackt hatte.

      Dabei flog etwas klimpernd auf den Boden. Mein Armband.

      Schniefend hob ich es auf. Das Armband hatten meine Mutter und ich uns in einem Souvenirladen gekauft, kurz bevor wir von der Nordsee wieder nach Hause gefahren waren. Da meine Mutter und ich meistens den gleichen Geschmack gehabt hatten, hatten wir uns beide eins in Silber ausgesucht. Wie das Foto trug dieses Armband so unendlich viele Erinnerungen an sie, und aus Angst es zu verlieren, legte ich es auch hier - wie zu Hause - in die Nachttischschublade, anstatt es zu tragen.

      Meine Mutter hatte ihr Armband an ihrem Todestag getragen. Ich hatte keine Ahnung, wo es geblieben war. Meine Vermutung war ja immer noch, dass es sich bei dem Angriff in den Klauen des Monsters verfangen und das Ungeheuer es mitgerissen hatte.

      Seufzend legte ich mich aufs Bett. Ich hatte noch eine Stunde, bevor das Abendessen anfing, und bis dahin wollte ich mich noch ein bisschen ausruhen.

      »Was haben wir noch gleich in der ersten Stunde?«, fragte ich Laura am nächsten Morgen beim Frühstück.

      Dummerweise hatte ich gestern vergessen mir den Wecker zu stellen und das Abendessen verpasst, aber Laura hatte mir das Gott sei Dank nicht übelgenommen.

      »Ich glaub Geschichte«, versuchte sie mir mit vollgestopftem Mund mitzuteilen. Schon beim Mittagessen am Vortag war mir aufgefallen, dass sie nicht gerade die besten Essmanieren hatte, aber das störte mich nicht.

      »Ich hole mir noch einen Orangensaft. Magst du auch?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      Ich schnappte mir mein leeres Glas, stand auf und ging zum Getränkespender, um es aufzufüllen. Während der Saft im Zeitlupentempo tröpfelte, schaute ich mich um und entdeckte Cody, der wieder mutterseelenallein in einer Ecke der Cafeteria hockte. Ich war so in seinen Anblick vertieft, dass ich gar nicht mehr an den Orangensaft dachte, bis ein Junge, der hinter mir stand, mich durch ein leichtes Tippen auf meiner Schulter darauf aufmerksam machte.

      Ich bedankte mich bei ihm mit geröteten Wangen, nahm das übervolle Glas und balancierte es vorsichtig zu meinem Platz zurück.

      Wie oft hatte ich jetzt eigentlich noch vor, mich zu blamieren?

      »Da kommen Josh und Isabelle, von denen ich dir erzählt habe«, rief Laura, kaum dass ich wieder am Tisch saß.

      Das Mädchen, das in Begleitung eines dunkelhäutigen Jungen auf unseren Tisch zusteuerte, hatte ihre blonden Haare zu einem Seitenzopf zusammengebunden. Ihr Modestil war im Gegensatz zu Lauras sehr speziellen Style eher schlicht. Der Junge neben ihr, hatte ein bisschen was vom jungen Will Smith.

      Beide wirkten auf den ersten Blick total sympathisch. Trotzdem hatte ich Panik vor dem Kennenlernen. Ich war einfach nicht sonderlich geübt in so etwas. Aus Verlegenheit schaute ich zu Laura, die den beiden grinsend winkte.

      »Hallo«, sagte sie, als das Mädchen und der Junge sich mit ihren Tabletts zu uns setzten. »Darf ich vorstellen, das ist Clarissa, meine neue Freundin. Sie möchte aber, dass wir Lissa zu ihr sagen.«

      Bei dem Wort Freundin ging mir das Herz auf und mein Magen fühlte sich angenehm warm an. Wann hatte mich zuletzt jemand so genannt?

      »Hi, wir sind Josh und Isabelle«, stellte das Mädchen sich und ihren Begleiter gleich mit vor. Dabei schenkte sie mir ein Lächeln, dass auch ihre hübschen blauen Augen erreichte.

      »Hey«, begrüßte mich auch der Junge freundlich.

      »Hallo.« Ich lächelte schüchtern zurück und sah dann schnell wieder auf meinen Teller.

      »Wieso haben wir dich nicht schon gestern beim Abendbrot kennengelernt?«, fragte mich Isabelle, ohne dass es als Vorwurf klang, während sie in ihr Marmeladenbrötchen biss.

      »Ich war gestern nach dem Koffer auspacken so müde, dass ich einfach eingeschlafen bin«, gestand ich zögernd. Würden sie mich gleich auslachen?

      Doch ich wurde angenehm überrascht.

      »So ein erster Tag ist immer echt anstrengend«, stimmte mir Isabelle lächelnd zu, »war bei mir auch so.« Doch plötzlich verschwand ihr Lächeln und sie runzelte die Stirn. »Was schlingst du denn so, Josh?«

      »Hast du mal auf die Uhr geguckt?«, gab der zurück und spülte den Rest seines Brötchens hastig mit Orangensaft hinunter.

      »Oh, schon kurz vor acht.« Jetzt wurde auch Isabelle hektisch. »Wir müssen uns echt beeilen.«

      »Unbedingt. Ich hab nämlich keine Lust auf Strafarbeit«, murmelte Josh angewidert.

      »Was für Strafarbeiten?«, platzte es aus mir heraus.

      Laura wollte mir antworten, doch Isabelle kam ihr zuvor. »Sobald man auch nur eine Sekunde zu spät kommt oder seine Hausaufgaben nicht hat, muss man seine Freizeit mit Gartenarbeit verbringen. Hier herrschen sehr strenge Regeln, weißt du?«

      Jetzt, wo ich mich so umsah, fiel mir auf, wie sehr sich der Saal in den letzten fünf Minuten geleert hatte.

      Also sprangen auch wir auf, brachten unser schmutziges Geschirr weg und machten uns auf den Weg zu den Klassenräumen. Hastig verabschiedeten sich Isabelle und Josh von uns und wir sprinteten weiter.

      Kurz bevor Frau Lamin die Tür schloss, erreichten auch Laura und ich unseren Raum und huschten zu unseren Plätzen.

      »Glück gehabt«, sagte die Direktorin mit kühler Stimme und Laura und ich konnten uns bei ihrem missmutigen Gesichtsausdruck das Grinsen nicht verkneifen.

      Frau Lamin trat vor die Tafel und wurde von uns artig begrüßt.

      »Heute habe ich eine Überraschung für euch«, erklärte sie.

      »Das kann nichts Gutes heißen«, flüsterte mir Laura ins Ohr.

      Keine Ahnung wieso, aber ich musste kichern.

      »Diese Klasse wird in etwa drei Wochen für drei Tage campen gehen.«

      Wie auf Knopfdruck jubelten alle außer mir und es herrschte ein Durcheinander, wie in einem Magen beim All-You-Can-Eat-Buffet. Alle fingen an miteinander zu diskutieren, offenbar um jetzt schon die Zeltpartner abzumachen.

      Wieder mal schaute ich zu Cody, um seine Reaktion zu beobachten. Doch auch diesmal reagierte er gar nicht. So langsam fing ich an zu glauben, dass er irgendein psychisches Problem hatte.

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