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so gut wie voll.

      Ich weiß, was Klausi und seine Chefin vorhaben. Die Schere hat lange, scharfe Klingen, sehr scharfe Klingen, und große Öffnungen für die feinen Arzthände. Trotzdem muss man wie ein Bayer auf den Wies’n beim Armdrücken kräftig sein, um gegen den Brustkorb zu gewinnen. Die untere Klinge gleitet in den Bauch wie in Butter – oder wegen mir wie durch Margarine … für Cholesteringeschädigte. Dann Schnipp-Schnapp durch die nervösen Nervenbündel des Sternums nach oben und durch das kräftige Geflecht aus Muskeln und Sehnen darüber. Dann ins Zwerchfell. Wenn die Klingen diesmal zusammenkommen, tun sie es mit einem lauten Knirschen, während die Knochen sich teilen und der Brustkorb auseinanderplatzt wie bei einer Weihnachtsgans, deren gut gemeinte Füllung aus aufquellenden Esskastanien besteht.

      Ich lausche, hoffe auf ein paar wenige, aber rettende Worte wie zum Beispiel „So, jetzt überzeugen wir uns erst mal selbst von seinem Tod, bevor wir ihn öffnen.“ Aber das Geschirr-Geklapper geht weiter. Ich versuche trotz aller Panik zu rekonstruieren, was mit mir geschehen sein mochte. War ich in den Tagen vor der Impfung mit irgendetwas Ungewöhnlichem in Berührung gekommen? Hatte ich etwas Falsches gegessen? Ich kann mich an nichts Außergewöhnliches erinnern. Woran ich mich jetzt – aufdringlicherweise – noch einmal erinnere, ist jener Morgen, als mir mein Hausarzt einen Überzeugungsbesuch abstattete. Einen Zeugen-Jehova-Besuch.

      „Du wirst nur Nachteile ernten, wenn du dich nicht impfen lässt“, hatte Dr. Rainer Neumann gemeint. „Welches Impferlebnis du vor vierzig Jahren hattest, wird niemanden mehr interessieren.“

      „Ich habe alle anderen Impfungen davor und danach schadlos überstanden. Ich habe lediglich Vorbehalte gegenüber kurzfristig zugelassenen und nicht hinreichend geprüften Erstimpfstoffen in Sachen Influenza. Politisch verordnete Nachteile sind mir weniger wichtig als meine Gesundheit.“

      „Damals, 1970, wurden alle Grippeimpfungen auf Basis von Hühnereiweiß entwickelt und verimpft“, erläuterte Rainer. „Bis etwa 2008 waren es weitgehend hochgereinigte Impfstoffe, aber sie basierten dennoch auf Eiweißbasis. Das hat zu den untypischen Reaktionen bei bis zu zehn Prozent der Geimpften geführt und den schlechten Ruf der Grippeimpfungen begründet.“

      „Das war für mich lebensbedrohlich und nicht nur irgendein schlechter Ruf“, hatte ich ein wenig konsterniert eingewendet.

      „Heute ist aber alles ganz anders“, fuhr er fort. „Heute werden alle Impfstoffe gentechnisch und damit ohne Fremdeiweiß als Totimpfstoff hergestellt. Ein Unterschied wie Fahrrad und Auto. Beides Verkehrsmittel, aber nicht vergleichbar.“

      „Beides sind jedenfalls Impfstoffe, die damals wie heute als superfortschrittlich, modern, medizinisch und medizintechnisch auf dem Höchststand gelobt wurden. Aber sie wurden ohne die notwendigen Langzeitstudien zugelassen.“

      „Klar ist jedenfalls, dass auch dich das Virus erreichen wird“, sagte Rainer. „Du fällst in die Altersgruppe der Gefährdeten – das kann für dich zum Hochrisiko werden. Doch ein anderer Aspekt ist von noch größerer Bedeutung: Wie viele andere steckst du an und bringst sie damit in Lebensgefahr? Oder welche Menschen erleiden wegen deiner Infektion unter Umständen lebenslange Dauerschäden?“

      Das hatte ich als eine schwere und völlig fehlgeleitete moralische Keule empfunden. Schließlich konnten die Ungeimpften nirgendwo hin, während sich die Geimpften ungeschützt treffen und feiern konnten. Obwohl sie ebenfalls Virenträger sein konnten. Waren denn nicht sie die wahren Virenschleudern? Sie durften Restaurants besuchen und dicht an dicht in Stadions stehen. Es war Unsinn, was Neumann redete, doch ich schwieg. Mir war klar, dass die hier eingeforderte, angebliche Solidarität nicht nur einseitig, sondern auch bloß ein Vorwand und ein bösartiger gesellschaftlicher Spaltpilz war.

      Meine Gedankenpause hatte mein wenig sensibler Hausarzt genutzt, um sein nächstes Geschütz aufzufahren: „Und du solltest bedenken, dass du große Intensivkapazitäten blockierst, wenn du möglicherweise im Krankenhaus behandelt werden musst. Dadurch können andere dringende Notfälle nicht behandelt werden.“

      Was sollte ich einem solchen Schwachsinn entgegensetzen? Am liebsten hätte ich ihm geantwortet: „Ja, lieber Rainer, ich bin in allen Punkten schuldig. Ich persönlich habe unser Gesundheitssystem ruiniert – nicht der Gesundheitsminister Jens Spahn und seine Ganoven aus Lobby und Partei. Zwar hatte er erst vor zwei Jahren für die weitere Reduzierung der Krankenhausversorgung (»Wir haben zu viele Krankenhäuser«) und für eine weitere »effiziente« Privatisierung die Propagandatrommel gerührt, aber das war wohl nur einer seiner beliebten Scherze. Nein, mein lieber Freund und Doktor, ich gestehe: Ich, der Ungeimpfte, bekenne mich in allen Punkten schuldig!“

      Aber ich hatte eisern geschwiegen.

      Rainer hatte dies als stillschweigendes Einverständnis gewertet, denn er war ungerührt fortgefahren: „Auch über die erheblichen Zusatzkosten, die durch die Ungeimpften für die Allgemeinheit entstehen, wird wenig gesprochen.“

      Das war für mich der unerträgliche Höhepunkt seiner Schwurbellogik. Erst einen Tag zuvor hatte ich eine Studie der People‘s Vaccine Alliance, PVA, gelesen. Die PVA, zu der rund 80 Organisationen wie die international anerkannten Institutionen Oxfam und UNAIDS gehören, nahm sich regelmäßig die Quartals- und Neunmonatsberichte der US-Konzerne Pfizer und Moderna und des deutschen Unternehmens Biontech vor. Nach der Analyse der Zahlen kam man auf einen diesjährigen Gesamtjahresgewinn der Firmen vor Steuern in Höhe von 34 Milliarden Dollar – allein mit den Corona-Impfstoffen.

      „Weißt du, dass die Pharmakonzerne Biontech, Pfizer und Moderna mit ihren Corona-Vakzinen 93,5 Millionen Dollar pro Tag oder 1000 Dollar Gewinn jede Sekunde machen? Was glaubst du, wer die Kosten verursacht? Die Ungeimpften oder die Geimpften? Was glaubst du, wer die Kosten trägt? Zahlen die Geimpften ihre Impfung selbst? Oder zahlt die Allgemeinheit, der Staat? Woher kommt wohl das unverschämt viele Geld? Wer wirft es den Pharmakonzernen so willig in den weit geöffneten Rachen?“

      Rainer hatte mich erstaunt angeschaut. Und diesmal hatte ich nachgelegt: „In Wahrheit zahlen die Ungeimpften für die Geimpften mit! So herum wird ein Schuh draus!“

      Da hatte er endlich seinen Mund gehalten. Ich hatte noch erläutert, dass die erwähnten Pharma-Unternehmen in der Pandemie fünf neue Milliardäre, nämlich die Chefs der Vakzin-Konzerne, hervorgebracht hatten, die zusammen derzeit über ein Nettovermögen von 35,1 Milliarden Dollar verfügen.

      Offensichtlich bin ich noch klar bei Verstand, wenn ich mich an diese unerfreuliche Begegnung mit Dr. Neumann erinnern kann. Schließlich hatte ich bis dahin tatsächlich gedacht, er sei der Arzt meines Vertrauens.

      Auch dass ich mich an die Zahlen so gut erinnere, gibt mir Mut und Zuversicht – nein, ich kann noch nicht hinüber sein. Aber vielleicht bin ich es bald – und diese Aussicht ist irgendwie zermürbend.

      Doch meine Gedanken lassen jetzt keine weitschweifige Vergangenheitsbewältigung zu. Ich male mir schon wieder aus, wie die Schere weiterschneidet, durch die Knochen … Schnipp-KNIRSCH, Schnipp-KNIRSCH, Schnipp-KNIRSCH, etwas splittert in meiner Brust, Muskeln zerreißen wie aufgespannte Gummibänder beim Gummitwist. Dann schauen diese nachlässigen verbeamteten Medizinmänner beziehungsweise diese Medizinfrau auf meine freigelegten Lungen und vielleicht ruft Frau Doktor entzückt aus: „Noch ein Nichtraucher. Wie sauber!“

      Ein hohes, durchdringendes Surren – wirklich ein Geräusch wie von einem Zahnarztbohrer.

      Klausi-Mausi: „Kann ich …“

      Er sieht zwar Kinski ähnlich, er hat aber nicht dessen aufbrausend-cholerisches Durchsetzungsvermögen, denke ich. Gottseidank!

      Frau Dr. Cisco-Kid, deren Stimme tatsächlich etwas mütterlich klingt: „Nein! … Damit!“ Schnipp-schnapp. Als Demonstration für ihn.

      Das können sie nicht machen, denke ich. Sie können mich nicht aufschneiden ich kann FÜHLEN!

      „Warum?“,

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