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„Jockey-Shorts. Fünf Euro in die Kaffeekasse.“

      „Am Zahltag“, sagt er und kommt herüber. Sein Gesicht gesellt sich zu ihrem. Die beiden blicken durch ihre Plexiglasbrillen auf mich herab wie zwei Außerirdische, die einen Entführten begutachten. Ich versuche sie dazu zu bringen, dass sie meine Augen sehen, dass sie sehen, dass ich sie anstarre, aber diese beiden Dummköpfe haben nur Augen für meine Unterhose. Und Stephen King schaut mir auch nicht in die Augen, denn sonst würde ich ihn sehen; wer weiß, wohin er guckt, um seine nächste Story makaber anzureichern.

      „Ooooh, und rot!“ sagt Klaus. „Ein Swinger!“

      „Ich würd’s eher ein verwaschenes Rosa nennen“, antwortet sie. „Da haben wir uns ja ein besonderes Sonderexemplar für Mr King ausgesucht.“

      Ich höre sie lachen, auch das Lachen von Mr King. „Heben Sie ihn für uns hoch, Klaus, er wiegt eine Tonne. Kein Wunder, dass er einen Herzanfall gehabt hat. Lassen Sie sich das eine Lehre sein.“

      Ich bin fit!, brülle ich sie an. Und ich wiege keine Tonne! Wahrscheinlich fitter als du, altes Miststück!

      Wieder einmal überhören sie mich.

      Meine Hüften werden plötzlich von kräftigen Händen hochgerissen. Mein Rückgrat knackt; dieses Geräusch lässt mein Herz erneut jagen.

      „Sorry, alter Junge“, sagt Klaus, und ich friere plötzlich noch mehr, als meine Shorts und die rote Unterhose heruntergezogen werden. Ich schäme mich; schäme mich nicht vor Dr. Möller und ihrem Azubi. Ich schäme mich vor Stephen King, der mich und meine ganze schmale Männlichkeit sezierend in Augenschein nimmt, um alle Einzelheiten weltweit in einer seiner Storys zu verwursten.

      „Hoch das Bein zum Ersten“, sagt sie und hebt einen Fuß, „und hoch das Bein zum Zweiten“, während sie den anderen Fuß hebt, „runter mit den Mokassins, runter mit den Stinkesocken …“

      Sie macht abrupt Halt, und ich schöpfe erneut Hoffnung.

      „Hey, Klaus.“

      „Yeah?“

      „Tragen Leute normalerweise Bermudashorts und Mokassins, wenn sie sich im Mai in ein Impfzentrum begeben?“

      „Warum nicht? Es hat draußen 26 Grad.“

      „Trotzdem komisch“, sagt sie.

      Hinter ihr (aber das ist nur eine Schallquelle, tatsächlich umgibt mich der Krach von allen Seiten) sind die Toten Hosen bei »Steh auf, wenn du am Boden bist« angelangt. Jetzt singen sie: »Nur keine Panik, so schlimm wird es nicht! Mehr als deinen Kopf reißt man dir nicht weg! Komm und sieh nach vorn!« Es ist Frontmann Campino alias Andreas Frege, der da grölt, und ich frage mich, wie irre er tanzen würde, wenn er ungefähr drei Stangen Hi-Core-Dynamit in seinen Hintern gerammt bekäme.

      „Wenn Sie mich fragen, hat dieser Kerl sich selbst in Schwierigkeiten gebracht“, fährt die Pathologin fort. „Ich denke, er hätte sich vor der Impfung von einem Kardiologen beraten lassen sollen. Oder wollte er uns mit seinem tollen Herzstillstand erschrecken? Wenn er wüsste, was wir alles zu sehen bekommen …“ Wieder lachen alle drei.

      Die Toten Hosen verstummen und ein Radiosender meldet sich mit der Stimme von Frankreichs Präsident Macron zu Wort. Er ist ein Schüler aus Klaus Schwabs Denkfabrik, und er hat es auf Ungeimpfte abgesehen. Mich betrifft es nicht, ich bin ja jetzt geimpft – auch wenn es mir derzeit wenig nützt.

      „Ich habe große Lust, die Ungeimpften zu nerven, also werden wir fortfahren, dies bis zum bitteren Ende zu tun“, tönt es aus Macrons Mund – natürlich in Französisch, aber simultan übersetzt von einer deutschen Radiostimme. Er sagt, er wolle die Franzosen grundsätzlich nicht nerven, aber die Gruppe derjenigen, die störrisch seien, verkleinere man so. Hoffentlich unterliege nicht auch ich diesem Reduzierungsprogramm, denke ich. Ich fühle mich in diesem Moment äußerst genervt.

      „Ich werde sie nicht ins Gefängnis bringen, ich werde sie nicht zwangsimpfen, aber ich werde sie unendlich nerven!“, fährt der Herr Präsident fort.

      Ist das eines demokratischen Präsidenten würdig? Einen Moment lang zerbreche ich mir darüber ernsthaft den Kopf.

      Alleine schon seine martialischen Gedanken, er wolle die Leute »natürlich nicht« in den Knast bringen oder zur Zwangsimpfung abführen lassen, sind verräterisch. Es stinkt nach Rache, nach einer schockierend undemokratischen Attitüde. Während sich zu meiner vorhandenen körperlichen Starre noch eine seelische Sonderschockstarre gesellt, führt Macron in aller präsidialen Würde weiter aus, dass in wenigen Tagen Ungeimpfte keinen Zugang mehr zu Restaurants, Kulturstätten und Fernzügen haben sollen.

      Im Moment ist mir – mir persönlich – diese Welt aus Konsum und Reisen sehr, sehr fern … Fernzüge hin oder her.

      Klaus streckt seine Hände, die in weißen Gummihandschuhen stecken, über meinem Gesicht aus, legt sie aneinander und biegt die Finger zurück. Während seine Knöchel knacken, rieselt Talkumpuder wie Puderzucker auf mich herab.

      „Wollen Sie jetzt die Temperaturmessung und Erstuntersuchung übernehmen?“, fragt die Ärztin.

      Nein!, brülle ich. NEIN, er ist noch Student, was machst du da?

      Klaus betrachtet sie, als sei er auch schon auf diese Idee gekommen. „Das wäre … hm … nicht ganz legal, stimmt’s? Ich meine … Aber für Mr King wäre es auch ein Erlebnis, wenn er über die Glanztaten eines Anfängers berichten könnte, oder?“

      Alle drei lachen verhalten.

      Ich komme mir plötzlich wie ein Lauscher an der Trennwand vor, der sich Intimitäten anhört.

      Während Klaus spricht, sieht sie sich nach Stephen um, begutachtet übertrieben den Raum, und ich beginne, Schmetterlings-Vibrationen in der ärztlichen Frauen-Aura zu spüren, die Schlimmes für mich bedeuten könnten. Ob streng oder nicht, ich glaube, dass Cisco – alias Dr. Brigitte Möller – scharf auf Mr King ist. Jesus, was, wenn sie den Azubi machen lässt und mit Stephen nach Boris-Becker-Manier in irgendeiner Besenkammer verschwindet?

      „He“, sagt sie mit heiserem Flüstern wie auf der Bühne, „ich sehe hier niemandem außer uns dreien.“

      „Das Tonband …“

      „Läuft noch nicht“, sagt sie. „Und sobald es läuft, wird Mr King keine Fragen stellen und schweigen, als wäre er nicht anwesend, right?“

      Stephen antwortet mit einem verständnisvollen „Yeah, sure!“

      „Und sobald das Tonband läuft“, fährt sie fort, „werde ich die ganze Zeit dicht neben Ihnen sein, Klaus … jedenfalls erfährt niemand etwas anderes. Und das werde ich auch die ganze Zeit sein. Ich will nur diese Dias und Diagramme hier einordnen. Und wenn Sie sich wirklich unbehaglich fühlen …“

      Ja!, schreie ich Klaus aus meinem unbeweglichen Gesicht an. Fühl dich unbehaglich! SEHR unbehaglich! ZU unbehaglich!

      Dass sie mich aufschnippeln werden, ist schon schwer genug für mich zu ertragen – das werden Sie doch sicherlich verstehen, verehrte Leserschaft! Aber dass man obendrein noch ein Tonbandprotokoll anfertigt, das reißt mich glatt vom Hocker beziehungsweise vom Seziertisch. Diese Stümper merken nicht, dass ich noch lebe. Ihm, Stephen King, kann ich es nicht übel nehmen. Er macht den Scheiß mit, um eine seiner Storys mit glaubwürdigen Tatsachen anzureichern. Doch auf die Ärztin und den doofen Studenten bin ich stinksauer. Wenn ich die Sache überlebe, dann …

      Klaus ist höchstens vierundzwanzig, und wahrscheinlich hofft er, dass diese aparte, strenge Frau Pathologin tatsächlich mit Stephen King in irgendeinem abgelegenen Sezierraum verschwindet, damit er freie Bahn hat, mich auseinanderzunehmen. Nach dem Motto: Ja, Mami, ich trau mich ganz alleine an den hier ran!

      Ich glaube, er will das ganz allein schaukeln. Ich kann seine Begierde durch die Plexiglasbrille erkennen.

      „Sie können gerne bei mir bleiben, wenn Sie

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