Скачать книгу

gelegt hatte. Dann zog er sich in sein Zimmer zurück und versuchte, sich in seine Bücher zu vertiefen. Nach einer Weile hob er den Kopf und überlegte. Was wäre, wenn das Tier einen sehr empfindlichen Magen hätte? Energisch schüttelte er Kopf. Und wenn schon, schließlich hatte es ja auch seinen Benjamini-Baum halb aufgefressen. Er las weiter. "Nein", seufzte er, so ein gemeiner Kerl war er nicht. Er schlug das Buch zu. Das mit dem extra-scharfen Löwensenf ging eindeutig zu weit. Dabei hatte ihn Paul nur zufällig im Kühlschrank, weil er sich im Regal vergriffen hatte. Er stand gerade von seinem Stuhl auf, als er ein seltsames Geräusch auf dem Flur hörte. Eilig ging er zur Tür und riss sie auf. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Sein Blick fiel auf den Boden. Es war zu spät, der Köder auf dem Flur war bereits verschwunden und mit ihm der Senf. "Oh verdammt!", stieß er aus und rannte auf die Stube zu. "FLATSCH! RUMMS!" Kurz vor der Tür war Paul auf einem Stück Käse ausgerutscht, das er ausgelegt hatte. "AU!" Hastig wirbelte er mit Händen und Füßen herum, damit er schnell wieder auf die Beine kam. Er spürte etwas und packte blindlings zu. Doch da war nichts, was er festhielt. Er starrte auf seine Hände, als es plötzlich geschah: Wie aus dem Nichts tauchte auf einmal etwas Grünes, Langes zwischen seinen Fingern auf. Und es sah aus wie eine Schlange. Wenn er jetzt los ließ, würde sie ihn sicher beißen. In Todesangst schaffte er es endlich wieder auf die Beine zu kommen. Paul schüttelte den Kopf. Das konnte unmöglich eine Schlange sein. Er starrte auf das Ding, das an statt länger nun größer und breiter wurde. Es bekam kleine, dicke Pranken sowie kleine, grüne Höcker auf seinem Rücken. Paul traute seinen Augen kaum. Doch es bestand kein Zweifel, die Kreatur, die jetzt ihren Kopf zu ihm wandte und ihn anfauchte, war ein kleiner, grüner Drache. Sofort ließ Paul vor Schreck seinen Schwanz los. Die Augen des Drachen funkelten, und aus seinen Nüstern stiegen kleine Rauchwölkchen auf, als er zu Paul hinaufsah. Dann öffnete er sein Maul, und zu Pauls Überraschung fing er an zu sprechen: "Zieh mir ja nicht nochmal am Schwanz, verstanden?" Er schnaubte, drehte sich um und tappte den Flur entlang Richtung Küche. Einen Moment lang starrte ihm Paul nach, wie er in der Küche verschwand. Dann folgte er ihm. "Du willst mir also allen Ernstes einreden, dass Du ein sprechender Drache bist?", sagte er und stellte sich in die Küchentür. Der Drache, der gerade seinen Kopf im Abfalleimer stecken hatte und nach Essbarem schnüffelte, brummte irgendetwas Unverständliches, bevor er wieder zum Vorschein kam. "Ich", schmatzte er und kaute auf einer Apfelschale herum, "will Dir überhaupt nichts einreden." Er spuckte die Apfelschale im hohen Bogen gegen die Küchentür. "Aber ja, ich bin ein sprechender Drache, wenn Du das meinst?", sagte er und schnüffelte weiter durch die Küche, bis er schließlich vor Paul stehen blieb. "Also machen wir es kurz, ich habe Hunger."

      "Dann solltest Du dahin gehen, wo Du etwas bekommst." Damit ließ er ihn stehen und ging in die Stube.

      "He, so behandelt man aber keinen Gast!", rief er und trabte hinter ihm her.

      "Ich habe mich wohl verhört", wirbelte Paul wütend herum, "Du bist kein Gast." Der Drache knurrte und stieß ihm eine schwarze Rauchwolke ins Gesicht. "Kein Gast, meinst Du?", fauchte er, während Paul husten musste. "Mal überlegen", schnaufte der Drache weiter: "Wer hat mich denn wohl in dieser engen Kiste hierher geschleppt?" Paul hustete immer noch und war dabei, das Fenster zu öffnen. "D... du, wa... warst, nie... niemals in dieser verdammten Kiste", prustete er und riss das Fenster auf. Der Drache sah auf die Überreste der Kiste, die immer noch in der Stube herumlagen. "Ich weiß nicht, wie Du hier herein gekommen bist", sagte Paul, der wieder zu Atem gekommen war. "Vielleicht bist Du ja einfach durch das Fenster hereingeflogen." In dem Moment stieß der Drache einen erbärmlichen Schrei aus, der Paul durch Mark und Bein fuhr. "Ich soll geflogen sein?", brüllte der Drache und seine Augen glühten vor Wut. "Nennst Du das etwa Flügel?", zischte er und breitete etwas auf seinem Rücken aus, das nur mit viel Fantasie an Flügel erinnerte.

      "Nein", sagte Paul verlegen. "Das nenn ich ganz sicher nicht Flügel. Und trotzdem - in der Kiste kannst Du unmöglich gewesen sein."

      "Heute würde ich nicht mehr hineinpassen", brummte der Drache leise, "aber gestern schon."

      "Was? Soll das etwa heißen, Du bist nur an einem Tag fast einen halben Meter gewachsen?"

      Paul erschrak selbst über seine Worte. "Das würde ja bedeuten, dass Du in einer Woche ..." Doch er sprach es nicht aus und starrte ihn entsetzt an. Der Drache pustete. "Jetzt reg Dich mal wieder ab. Ich werde nicht mehr wachsen, klar?" "Bist Du sicher?", fragte Paul sichtlich überrascht.

      "Ganz sicher. Das heißt: Normalerweise würde ich schon wachsen, aber Dir das zu erklären ..." Er gähnte und sprang auf das Sofa, das gefährlich unter ihm ächzte und knarrte. "... ist wirklich eine sehr langatmige Geschichte."

      "He, Du willst Dich doch wohl hier nicht breit machen, oder?" "Keine Beleidigung mehr, ja?"

      "Ja – ich meine nein. Ich wollte damit nur sagen, dass Du hier nicht bleiben kannst."

      "Keine Sorge, morgen Abend bist Du mich wieder los", sagte der Drache und schloss die Augen.

      "Moment mal, Du kannst Dich nicht einfach auf mein Sofa legen und einschlafen." Doch der Drache antwortete nicht mehr. Paul schüttelte den Kopf. "Oh Mann, das glaubt mir doch kein Mensch", seufzte er und ließ sich in seinen Sessel fallen. Ein sprechender Drache, das konnte doch nur ein Traum sein, wenn auch ein ziemlich realer. Vielleicht sollte er seinem Vermieter den Drachen zeigen? Unsinn, denn wie erklärte er ihm dann, wie er überhaupt in seine Wohnung gekommen war? Ein Grummeln drang vom Sofa herüber, und der Drache öffnete seine Augen. "Ich kann einfach mit leerem Magen nicht einschlafen", brummelte er.

      "Das tut mir aber leid", erwiderte Paul schlecht gelaunt. "Der Kühlschrank ist leer, und für alles andere hast Du ja gesorgt." Er deutete auf den Rest des Benjamini-Baums. Der Drachen rümpfte die Nase. "Diese Blätter waren wirklich nichts für meinen Geschmack. Sie waren ja noch schlimmer als verbrannte Grasnarben."

      "Ach, und warum hast Du sie dann gefressen?" Paul kochte vor Wut. "Guck ihn Dir doch an, er ist völlig zerfetzt."

      "In der Not frisst ein Drache auch schon mal Blätter, die er nicht mag." Paul sprang von seinem Sessel auf und wollte ihn anschreien, als es an der Tür klingelte. "Wer ist das?", erschrak der Drache und versteckte sich hinter dem Sofa. "Höchstwahrscheinlich mein Vermieter." Paul ging hinaus auf den Flur. Vorsichtig äugte er durch den Türspion und war überrascht. "Hallo Frau Albrecht", begrüßte er sie, nachdem er die Tür geöffnet hatte.

      "Ich dachte, ich schau mal kurz bei Ihnen vorbei.", sagte sie, "weil Sie doch gestern ..."

      "Oh ja, richtig, natürlich Ihre Einweihungsparty", unterbrach er sie. "Ich wäre wirklich gern gekommen, aber leider ist mir etwas dazwischen ..." Es rumpelte aus der Stube.

      "Ach, Sie haben Besuch?", fragte Frau Albrecht und versuchte neugierig an ihm vorbei zusehen.

      "Ja – ich meine, eigentlich nicht. Das heißt, irgendwie schon – aber nicht wirklich." Verärgert und nervös blickte er zur Stube.

      "Sie scheinen mir ein bisschen gestresst zu sein. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie bei irgendetwas gestört haben sollte."

      "Aber nein", drehte er sich mit einem verkrampften Lachen wieder zu ihr. "Ich habe nur – einen alten Freund zu Besuch. Er stand plötzlich vor meiner Tür."

      "Ein Überraschungsbesuch?" Sie sah ihn zweifelnd an.

      "Oh ja", räusperte er sich, "und was das für eine Überraschung war. Sie glauben mir wohl nicht?"

      "Herr Meier, warum sollte ich Ihnen denn nicht glauben?" "Keine Ahnung".

      "Sicher stand er gerade vor Ihrer Tür, als Sie zu mir herunterkommen wollten", sagte sie und sah ihm dabei direkt in die Augen. Paul zögerte kurz. "Ja, … äh, genauso war`s", bestätigte er schließlich.

      "Und Sie konnten ihn dann natürlich nicht einfach so wegschicken."

      "Schön, dass Sie dafür Verständnis haben", sagte Paul. "Allerdings wäre es schön gewesen", fügte sie an, "wenn Sie mir kurz Bescheid gegeben hätten."

      "Natürlich – Sie haben recht, tut mir leid", entgegnete er verlegen, und eine peinliche Stille trat ein, die von einem erneuten Geräusch unterbrochen wurde.

Скачать книгу