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zweifelte er im Grunde) als Gewissheit mit und sagte ihm: »Sie sind gerettet!« Der zum Tode Verurteilte war freudig ergriffen, als man ihm das Leben schenkte. Nach einiger Zeit hatte sich sein Befinden noch mehr gebessert, und eine scharfe Unruhe begann unter seiner Freude durchzubrechen, die durch diese kurze Gewohnheit schon abgeschwächt war.

      Er war geschützt gewesen vor den Unbilden des Lebens, er hatte in einer gütigen Atmosphäre von Liebe und Wärme gelebt, von willensstarker Ruhe und frei schweifenden Gedanken, und da war im tiefsten, dunkelsten Seelengrunde die Sehnsucht nach dem Tode emporgekeimt. Noch ahnte er dies nicht, er fühlte nur eine unbestimmte Angst bei dem Gedanken, er müsse wieder zu leben beginnen, er müsse von neuem die Schläge des Schicksals, die er nicht mehr gewöhnt war, auf sich nehmen und müsse auf die Zärtlichkeiten, mit denen man ihn umgeben hatte, verzichten. Auch begriff er unklar, wie schlecht es war, sich in Freude oder in Taten zu verlieren, nun, da er sich kennengelernt hatte, sich, den brüderlichen Fremden. Während er die Boote das Meer durchfurchen sah, hatte er viele unbeschreibliche Stunden mit diesem Ich verplaudert, so weit entfernt, aber immer im Zauberkreise dieses »Ich« befangen. Es war ihm, als fühle er jetzt die Nostalgie, die Heimatsehnsucht nach dem Tode, und doch war der Tod ihm damals als ewige Stätte der Verbannung erschienen, als er sich damals dorthin gerufen fühlte.

      Er äußerte bei irgendeiner Gelegenheit einen Gedanken, und Jean Galéas, der ihn als geheilt ansah, widersprach ihm heftig, lachte ihn aus. Seine Schwägerin, die ihn zwei Monate lang morgens und abends besucht hatte, kam zwei Tage lang nicht. Das war zu viel! Er war schon zu sehr des normalen Lebenslaufes entwöhnt, er wollte ihn nicht wiederaufnehmen! Denn dies Leben hatte ihn nicht mit seiner reizvollsten Seite zurückerobert.

      Aber seine Kräfte kehrten wieder und mit ihnen alle seine Lebenslust: er ging aus, begann wieder zu leben, und seiner Existenz stand ein zweites Sterben bevor. Nach einem Monat erschienen die Symptome der allgemeinen Lähmung wieder. Nach und nach, wie schon das erste Mal, wurde ihm das Gehen erst schwerer und dann unmöglich, und alles schritt so deutlich fort, dass er sich an seine Rückkehr zum Tode gewöhnen und nur Zeit gewinnen konnte, den Kopf zu wenden. Der Rückfall hatte nicht die Wirkung des ersten Anfalles; denn am Ende des ersten Anfalles hatte er begonnen, sich vom Leben zu lösen, nicht, um es in seiner Wirklichkeit zu umfassen, sondern um es anzusehen wie ein Bild. Jetzt war alles ins Gegenteil gewandelt; er zeigte sich immer eitler, aufbrausender, denn unerträglich brannte in ihm das Verzichtenmüssen auf Freuden, die er nicht mehr genießen konnte.

      Nur seine Schwägerin, an der er zärtlich hing, brachte seinem Ende etwas Freude. Sie kam mehrmals am Tage und Alexis mit ihr.

      Als sie eines Nachmittags zum Freiherrn fuhr, gingen kurz vor dem Ziele ihre Pferde durch: sie wurde heftig zu Boden geschleudert, von einem vorbeigaloppierenden Mann überritten und bewusstlos, mit einer riesigen Schädelwunde, zu Baldassar getragen.

      Der Kutscher, der nicht verwundet war, brachte sofort die Nachricht des Unfalles dem Freiherrn, der sie erblassend empfing. Er hatte die Zähne zusammengebissen, seine Augen brannten und traten aus den Höhlen, und in einem fürchterlichen Wutausbruch beschimpfte er den Kutscher lange; doch es schien, als wollten diese brutalen Ausbrüche nur ein schmerzvolles Rufen verbergen, das sich, sobald die Ausbrüche schwiegen, leise vernehmen ließ. Es war, wie wenn ein Müder, ein Kranker neben dem wutentbrannten Vicomte sein Leid klagte. Bald deckte diese Klage, die so schwach begonnen hatte, ihren Mantel über das Schreien seiner Wut, und er brach schluchzend auf einem Stuhl zusammen.

      Er wollte sich das Gesicht waschen lassen, um seine Schwägerin nicht durch die Spuren seines Schmerzes zu beunruhigen. Der Diener schüttelte traurig den Kopf; die Kranke hatte das Bewusstsein nicht wiedererlangt. Der Freiherr verbrachte zwei verzweifelte Tage und Nächte bei seiner Schwägerin. Sie konnte jeden Augenblick sterben. In der zweiten Nacht unternahm man einen äußerst kühnen Eingriff. Am Morgen des dritten Tages war das Fieber gesunken, und die Kranke lächelte Baldassar an, der seine Tränen nicht mehr halten konnte und vor Freude sich ausweinte. Als der Tod nach und nach zu ihm gekommen war, hatte er ihn nicht sehen mögen. Nun war er Angesicht zu Angesicht vor ihm gestanden. Der Tod hatte ihn mit Grauen erfüllt, als er das bedrohte, was Baldassar am teuersten war; doch dieser hatte ihn angefleht und hatte ihn gerührt.

      Er fühlte sich stark und frei, stolz in dem Bewusstsein, sein eigenes Leben sei ihm nichts gegen das seiner Schwägerin, und er wusste in sich ebenso viel Verachtung für den Tod wie Mitleid mit der geliebten Frau.

      Jetzt war es der Tod, dem er ohne Schleier ins Auge sah, und nicht die Szenen, die sein Ableben umgaben. So wollte er bis zum Ende bleiben, wollte nicht von der Lüge wiederergriffen werden, die ihm für den Preis einer schönen und feierlichen Sterbeszene alles entweiht und in den Staub gezogen hatte, die Geheimnisse seines Todes beschmutzend, wie sie ihn um die Geheimnisse seines Lebens betrogen hatte.

      Kapitel 4

      Morgen, und morgen, und dann wieder morgen,

      Kriecht so mit kleinem Schritt von Tag zu Tag

      Zur letzten Silb' auf unserm Lebensblatt;

      Und alle unsre Gestern führten Narrn

      Den Pfad des stäub'gen Tods. – Aus! kleines Licht! –

      Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild,

      Ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht

      Sein Stündchen auf der Bühn' und dann nicht mehr

      Vernommen wird; ein Märchen ist's, erzählt

      Von einem Dummkopf, voller Klang und Wut,

      Das nichts bedeutet. –

      Shakespeare, Macbeth

      Die Aufregung und die Ermüdung Baldassars während der Krankheit seiner Schwägerin hatten den Lauf seines Leidens beschleunigt. Er hatte soeben von seinem Beichtvater erfahren, dass er nur noch einen Monat zu leben habe; es war zehn Uhr morgens, und es regnete in Strömen. Ein Wagen hielt vor dem Schloss. Es war die Herzogin Oliviane. Einst hatte er sich kunstvoll die Szene seines Todes ausgeschmückt:

      »... Es wird ein heller Abend sein. Die Sonne ist gerade untergegangen, und das Meer, welches man durch die Zweige der Apfelbäume erblickt, wird malvenfarben sein. Kleine rosenrote und blaue Wölkchen werden am Horizont schweben, so zart ...«

      Es war zehn Uhr morgens, der Himmel niedrig und schmutzig, der Regen goss in Strömen, als die Herzogin Oliviane kam. Er war ermüdet durch seine Krankheit, bereits einer höheren Welt ganz hingegeben; da fühlte er die Anmut der Dinge nicht, die ihm früher als der höchste Preis, als der Zauber und der feinste Triumph des Lebens erschienen waren. So ließ er der Herzogin sagen, er sei zu schwach. Sie wollte darauf bestehen, aber er mochte sie nicht empfangen. Es geschah nicht einmal aus dem Gefühl der Pflicht; sie bedeutete ihm nichts mehr. Schnell war es dem Tode gelungen, diese Sklavenbande zu lösen, die er vor einigen Wochen noch gefürchtet hatte. Er versuchte an sie zu denken, aber sah nichts vor sich erscheinen; denn die Augen seiner Phantasie und seiner Eitelkeit waren geschlossen.

      Trotzdem konnte kurz vor seinem Tode eine Bemerkung über einen Ball bei der Herzogin von Bohême seine wütende Eifersucht erwecken. Denn auf diesem Ball sollte Pia mit Castruccio, der am folgenden Tag nach Dänemark fuhr, den Kotillon führen. Er bat, man möge Pia kommen lassen; seine Schwägerin war nicht ganz dafür. Er glaubte, man wolle ihn verhindern, sie zu sehen, man verfolge ihn, er geriet in Wut, und um ihn nicht zu quälen, ließ man sie sofort holen.

      Als sie ankam, war er vollkommen ruhig, aber tief traurig. Er zog sie an sein Bett und sprach sofort von dem Ball der Herzogin von Bohême. Er sagte ihr:

      »Wir beide waren nicht verwandt, Sie werden nicht um mich Trauer tragen, aber ich habe doch eine Bitte an Sie: Gehen Sie nicht zu diesem Ball, versprechen Sie mir das.« Sie sahen sich in die Augen, zeigten einander ihre Seelen, die aus den Kreisen ihrer Augensterne strahlten, ihr leidenschaftliches Gefühl, das auch der Tod nicht hatte vereinen können.

      Er verstand ihr Zögern, zog die Lippen schmerzlich zusammen und sagte sanft: »Bitte, versprechen Sie nichts! Sie müssen ein Versprechen halten, wenn Sie

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