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Die Übersetzungen von Ernst Weiß. Manfred Müller
Читать онлайн.Название Die Übersetzungen von Ernst Weiß
Год выпуска 0
isbn 9783742705754
Автор произведения Manfred Müller
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Nein«, sagte Violante.
»Wozu die Angst«, sagte die alte Witwe, »ich bin überzeugt, dass Sie ihr gefallen werden. Sie liebt junge Frauen ganz außerordentlich.«
Als Violante schied, hatte sie zwei tödliche Feindinnen mehr, die Fürstin und die alte Witwe, die sie überall als ein Ungeheuer voll Überheblichkeit und Verderbtheit hinstellten. Violante begriff den Zusammenhang, weinte über sich und über die Bosheit der Frauen. Was die Männer betrifft, war sie über sie schon lange im Klaren. Von nun an konnte man sie jeden Abend zu ihrem Mann sagen hören: »Wir wollen übermorgen nach meinem alten Steyer abreisen und es nicht mehr verlassen.«
Dann erlebte sie ein Fest, das sie mehr freute als die früheren; sie bekam eine Toilette, in der sie schöner aussah als je zuvor. Es gibt aber ein tiefes Bedürfnis, in der freien Phantasie zu leben, in seiner eigenen Schöpfung sich auszugeben, allein und kraft des Gedankens sein Leben sich zu zimmern. Dies Bedürfnis wurde nicht befriedigt, sie konnte sich ihm nicht widmen, nicht ergeben, und doch war und blieb dies für sie das Hindernis, in der großen Welt auch nur den Schatten einer wahren Freude zu finden. Aber dieses Bedürfnis war noch keine lebenswichtige Notwendigkeit, deshalb war es nicht stark genug, ihr Leben von Grund aus zu wandeln, noch auch brachte es sie zum radikalen, endgültigen Verzicht auf das weltliche Leben, es führte sie nicht ihrer eigentlichen Bestimmung und ihrem Sinne entgegen. So zeigte sie auch weiterhin das luxuriöse und doch verzweifelte Dasein einer Natur, die, für das Unendliche bestimmt, sich nach und nach im Geringeren, ja im Nichtigen verzehrt. Nichts zeugte nun mehr von ihrer edlen Bestimmung, die ihr täglich ferner entglitt, als nur der Schatten einer tiefen Melancholie.
Ein großes Seelenerlebnis der reinen Nächstenliebe hätte ihr Herz wie eine Flut geläutert, hätte die allzu menschlichen Härten gemildert, die ein weltlich gesinntes Herz versteinern, aber diese Flut wurde durch die tausend Dämme des Egoismus, der Koketterie, des Ehrgeizes ferngehalten. Die Güte gefiel ihr nur als Mode, als Eleganz. Sie wehrte sich nicht gegen gute Taten in Form von Geld, sie ließ sich ihre Nächstenliebe sogar Zeit und Mühe kosten, aber ein Teil ihres Selbst war abgeschlossen, denn er gehörte ihr nicht mehr an. Noch las oder träumte sie morgens in ihrem Bette, aber schon war ihr geistiges Leben verfälscht, denn es haftete nur an der Außenseite der Dinge, und wenn sie sich selbst ansah, geschah es nicht, um tiefer zu werden, sondern um sich sinnlich zu bewundern, mit sich wie vor einem Spiegel zu kokettieren. Und hatte man ihr einen Besuch angekündigt, so fand sie nicht die Willensstärke, um ihrer Träumerei oder ihrem Buche zuliebe ihn abzuweisen. Sie war so weit gekommen, dass sie die Natur nur noch mit verderbten Sinnen genießen konnte, der Zauber der Jahreszeiten war nur noch dazu da, um ihre Eleganz abzustimmen, um sie raffinierter zu durchduften. Der Zauber des Winters lag in der Lust wollüstigen Fröstelns, die Fröhlichkeit der Jagd verdeckte ihren Augen alle Schwermut des Herbstes. Manchmal ging sie allein in den Wald, um die echte Quelle wahrer Freuden wiederzufinden. Aber es waren nur elegante Toiletten, die sie unter dem schattigen Blätterdach spazieren führte. Die Freude an der Eleganz vergiftete die Freude an der Einsamkeit und an dem Träumen.
»Wollen wir morgen abreisen?« fragte der Herzog.
»Übermorgen«, sagte Violante.
Dann hörte der Herzog auf zu fragen. Augustin beklagte sich, Violante schrieb ihm: »Lass‘ mich erst ein wenig älter werden, dann komme ich zurück.«
»Ah«, antwortete Augustin, »was Sie den Menschen hier geben, ist Ihre Jugend. Sie werden nie in Ihr Steyer zurückkommen.«
Sie kam nie zurück. Solange sie jung war, blieb sie in der großen Welt, um die Herrschaft der Eleganz zu üben, deren Königin sie in so jungen Jahren geworden war. Als sie alterte, blieb sie, um sie zu verteidigen. Vergebens. Sie verlor sie. Und noch auf dem Sterbebette hatte sie es nicht aufgegeben, sie wiederzugewinnen. Augustin hatte mit ihrem Ekel gerechnet, aber nicht mit einer Macht, die, wird sie anfangs von der Eitelkeit genährt, allem obsiegt, dem Ekel, der Verachtung, selbst der Langeweile: es ist die Gewohnheit.
[August 1892]
Fragmente einer italienischen Komödie
»So wie der Krebs, der Widder, der Skorpion, die Waage ihren niedern Sinn verlieren als Zeichen des Tierkreises, so kann man die eigenen Fehler ohne Zorn in den Schattenbildern ferner Personen erkennen.«
Die Geliebten des Fabrice
Die Geliebte Fabrices war klug und schön, das war ihm fürchterlich. »Sie sollte sich nicht so gut auskennen in ihrem Innenleben!« rief er unter Stöhnen. »Ihre Schönheit ist mir durch ihre Intelligenz verleidet. Könnte mich denn die Gioconda, wenn ich das Bild sehe, so tief ergreifen, wenn ich gleichzeitig die Dissertation eines Kritikers über sie hören müsste, und wäre sie noch so ausgezeichnet?«
Er verließ sie, nahm eine andere Geliebte, die schön war und dumm wie die Nacht. Aber sie hinderte ihn beständig, ihren Reiz zu genießen, denn sie war taktlos bis zur Schonungslosigkeit. Überdies erhob sie intellektuelle Ansprüche, las viel, ward pedantisch und wurde ebenso gehirnlich wie die erste, nur weniger anmutsvoll, und ihre Plumpheit streifte das Lächerliche. Er bat sie, sie möge den Mund halten. Aber auch wenn sie schwieg, spiegelten die schönen Züge ihre ganze Dummheit wider.
Endlich lernte er eine Frau kennen, deren Klugheit sich nur durch eine besonders subtile Grazie verriet, eine Frau, die nichts anderes wollte als nur leben und die sich hütete, in allzu wissenschaftlichen Unterhaltungen das bezaubernde Geheimnis ihrer Natur zu vergeuden.
Sanft war sie wie die anmutsvollen Tiere, die leichtfüßigen mit den tiefen Augen; und sah man sie, konnte sie verwirren wie beim Erwachen morgens das ergreifende, unfassbare Erinnerungsbild unserer Träume. Aber sie hatte nicht das für ihn, was die andern zwei gehabt hatten: Liebe.
Die Freundinnen der Comtesse Myrto
Myrto, geistreich, hübsch, gütig, aber versessen auf Schick, zieht allen Freundinnen Parthenis vor, die Herzogin ist und brillanter als alle. Indessen findet Myrto Freude auch an Lalage, die ihr an Eleganz genau gleichkommt, und ist nicht unempfindlich für die Freundlichkeiten von Cleanthis, die im Verborgenen blüht und keinen besonderen Ehrgeiz hat. Aber wen Myrto durchaus nicht leiden kann, das ist Doris; die gesellschaftliche Stellung von Doris ist etwas niedriger als die von Myrto, Doris legt auf Myrto Wert, wie es Myrto mit Parthenis tut, ihrer größeren Eleganz wegen.
Wenn wir nun bei Myrto diese Vorliebe und diese Antipathien wahrnehmen, so liegt der Grund erstens darin, dass die Herzogin Parthenis unserer Myrto Vorteile bietet, ferner darin, dass Parthenis, wenn sie Myrto liebt, es doch nur Myrtos selbst wegen tun kann, wohingegen Lalage ihrerseits sie nur egoistisch lieben kann, denn in jedem Falle sind beide auf derselben Stufe der Leiter, brauchen daher einander. Endlich ist es so, dass, wenn Myrto Lalage Freundlichkeiten erweisen soll, die sich unter Umständen uneigennützig verhalten kann, indem sie sich auf ihren eigenen Geschmack verlässt im Verstehen und Sympathisieren. Das gibt ihr einen gewissen Stolz, denn sie ist elegant genug, um im Notfall auf Eleganz zu verzichten. Andererseits appelliert Doris nur an Myrtos Luxusbedürfnis, kann es aber persönlich nicht befriedigen; sie kommt zu Myrto wie ein Wald- und Wiesenköter zu einem Fleischerhund, der die Knochen gezählt