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Die Übersetzungen von Ernst Weiß. Manfred Müller
Читать онлайн.Название Die Übersetzungen von Ernst Weiß
Год выпуска 0
isbn 9783742705754
Автор произведения Manfred Müller
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Mein armer Augustin«, sagte sie abends, »mir ist ein großes Unglück widerfahren.« Der erste Wunsch nach Mitteilung entstand in ihr nach der ersten Enttäuschung ihrer Sinnlichkeit, genauso selbstverständlich, wie es gewöhnlich aus der ersten Befriedigung der Liebe entsteht. Noch kannte sie die Liebe nicht, aber kurze Zeit danach begann sie unter ihr zu leiden, und das ist die einzige Art, wie man sie im tiefsten Grunde kennenlernt.
Liebesschmerzen
Violante war verliebt, das will sagen, dass ein junger Engländer, der sich Laurence nannte, während einiger Monate der Gegenstand aller Gedanken war, keinen ausgenommen, und das Ziel ihrer wichtigsten Handlungen. Sie war einmal mit ihm auf die Jagd gegangen und konnte es nicht verstehen, warum die Sehnsucht, ihn wiederzusehen, ihre Gedanken beherrschte, sie auf die Straße trieb, wo sie hoffen konnte, ihm zu begegnen, den Schlaf von ihr fernhielt, ihre Ruhe und damit ihr Glück zerstörte. Violante war verliebt, sie wurde verschmäht. Laurence liebte die große Welt, und sie liebte ihn genug, um ihm dorthin zu folgen, aber Laurence hatte keinen Blick für diese Landschönheit von zwanzig Jahren. Sie wurde krank vor Kummer und Eifersucht und wollte Laurence in den Bädern von S. vergessen, aber sie blieb in ihrer Eigenliebe verletzt, weil man ihr so viele Frauen vorgezogen hatte, die nicht besser waren als sie, und war entschlossen, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.
»Ich verlasse dich, mein guter Augustin«, sagte sie, »und gehe an den Hof von Österreich.«
»Das wolle Gott nicht«, sagte Augustin, »die Armen unserer Gegend hätten niemanden mehr, der sie tröstet, wenn Sie unter so vielen bösen Menschen weilten. Wollen Sie nicht mehr mit unseren Kindern in den Wäldern spielen? Wer soll die Orgel in der Kirche bedienen? Wir sollen Sie also nicht mehr in den Feldern malen sehen? Sie werden keine Lieder mehr erfinden?«
»Sorge dich nicht, Augustin«, sagte Violante, »wache mir treu über mein schönes Schloss und meine braven Leute von Steyer. Die Welt soll mir nur ein Mittel sein, sie bietet mir zwar banale, aber unbesiegliche Waffen, und wenn ich eines Tages geliebt sein will, muss ich sie besitzen. Mich stachelt eine Neugier und mehr als das, mich treibt eine Lebensnotwendigkeit dazu, ein äußerlich reicheres und weniger abgeklärtes Leben zu führen als hier. Es soll zugleich Ruhe sein und eine Schule für mich. Sobald ich mir meine Stellung geschaffen habe und meine Ferien zu Ende sind, will ich die große Welt verlassen und in die Felder zurückkehren zu unseren guten, einfachen Leuten und, was mir das Liebste ist, zu meinen Liedern. An einem bestimmten Tage, der nicht sehr fern ist, will ich auf der schiefen Ebene haltmachen und in unser Steyer zurückkehren und neben dir leben, mein Lieber.«
»Werden Sie das können?« fragte Augustin.
»Man kann, was man will«, sagte Violante.
»Sie werden aber dann nicht mehr das gleiche wollen«, sagte Augustin.
»Warum?« fragte Violante.
»Weil Sie sich wandeln werden«, sprach Augustin.
Die Weltlust
Die Menschen in der großen Welt waren so mittelmäßig, dass Violante bloß da sein musste, um sie fast alle in ihr Nichts zurückzustoßen. Die exklusivsten Aristokraten, die ungebärdigsten Künstler folgten ihrer Schleppe und brachten ihr ihre Huldigung entgegen. Wenn jemand Geist hatte, war sie es, sie hatte den feinsten Geschmack, die herrlichste Haltung und alles, was die unerhörte Vollendung ihrer Erscheinung zum Ausdruck brachte. Sie brachte Komödien in Mode, nicht anders als Parfüms und Toiletten. Die Schneiderinnen, die Literaten, die Friseure lagen auf den Knien vor ihr und bettelten um ihre Protektion. Die berühmteste Modistin Österreichs erbat sich den Titel ihrer Lieferantin, der allerberühmteste Prinz Europas erbat sich den Titel eines Geliebten. Sie hielt es für ihre Pflicht, beiden ihre Bitte abschlägig zu bescheiden, die, erfüllt, ihre Eleganz auf immer als das Vollkommenste in seiner Art bestätigt hätte. Unter den vielen jungen Leuten, die sich um den Eintritt in Violantes Salon heiß bewarben, zeichnete sich Laurence durch besonders dringendes Bemühen aus. Einmal hatte er ihr viel Kummer bereitet, man kann es verstehen, dass er ihr jetzt infolgedessen widerlich war. Er zeigte sich als niedriges Subjekt, und dieser Umstand trennte sie stärker als früher seine Geringschätzung. »Ich habe ja kein Recht, entrüstet zu sein«, sagte sie, »was ich an ihm geliebt habe, war eine große Seele. Dabei habe ich doch seine Gemeinheit stets gefühlt, ohne dass ich es mir zu gestehen wagte. Es hinderte mich nicht, ihn zu lieben, aber das Ideal einer hohen Seele stand mir dennoch vor Augen. Ich bildete mir ein, man könnte gemein sein und dabei doch liebenswert. Hat man aber einmal aufgehört, der Herzensstimme zu folgen, dann zieht man natürlich vornehme Naturen vor. Wie sonderbar war diese Leidenschaft für einen minderwertigen Menschen, die ganz vom Gehirn kam und die durch keine Verwirrung der Sinne entschuldigt werden konnte! Platonische Liebe wiegt nicht schwer.« Wir werden sehen, dass Violante wenig später zu der Überzeugung kam, dass die sinnliche Liebe noch leichter wiege.
Augustin kam zu Besuch und wollte sie zurückführen.
»Sie haben ein wahres Königreich erobert. Ist das nicht genug? Warum werden Sie nicht noch einmal die Violante von einst?«
»Ich hätte es schon erobert, Augustin? Nein, ich bin gerade dabei. Lass‘ mir wenigstens noch ein paar Monate Zeit!«
Ein Ereignis, dass Augustin nicht hatte voraussehen können, entband Violante für einige Zeit der Verpflichtung, an die Heimreise zu denken. Sie hatte zwanzig allerhöchste Hoheiten, ebenso viele souveräne Prinzen und einen Mann von Genie zurückgewiesen, die alle um ihre Hand angehalten hatten, nun heiratete sie den Herzog von Böhmen, einen Mann der außerordentlichsten Anmut und Besitzer von fünf Millionen Dukaten. Am Abend der Hochzeit kam die Nachricht, Honoré sei zurückgekommen, und diese Nachricht hätte die Verbindung beinahe zum Scheitern gebracht. Aber ein Übel, das Honore befallen hatte, verunstaltete ihn, und seine Vertraulichkeiten ließen Violante nun schaudern. Sie weinte bittere Tränen über die Vergänglichkeit ihrer Wünsche und Begierden, die einst so feurig hingezogen worden waren zu der Jugendblüte eines Körpers, der jetzt in seiner Herrlichkeit und Kraft auf immer zerstört war. Die Herzogin von Böhmen fuhr fort zu bezaubern, wie es die Violante von Steyer getan. Das unermessliche Besitztum des Herzogs war gerade gut genug, einen würdigen Rahmen, um das einzigartige Kunstwerk zu bilden, das ihre Person darstellte. Aus einem Kunstwerk verwandelte sie sich in einen Luxusartikel, kraft jener nur zu natürlichen Neigung aller Dinge auf Erden, zum Geringeren herabzusinken, sobald der edle Aufschwung nicht ausreicht, ihren Schwerpunkt sozusagen über sich selbst zu erheben. Augustin konnte es nicht fassen, was er über sie hörte. Er schrieb ihr:
»Weshalb spricht die Herzogin ohne Unterlass von Dingen, die einer Violante von Herzensgrund verhasst waren?«
»Warum? Weil ich mit meinem eigenartigen Wesen nicht gefallen konnte, mochte es tausendmal über die andern erhaben sein, denn diese Eigenheiten waren denen, die in der großen Welt leben, unverständlich und antipathisch. Aber ich langweile mich, guter Augustin!«
Er kam, um sie zu besuchen, und erklärte ihr, warum sie sich langweile.
»Ihr Interesse für die Musik, für die Betrachtung, für das Wohltun, für die Einsamkeit, für das Leben auf dem Lande, all das ist bei Ihnen ausgeschaltet. Ihr einziges Lebensziel ist der Erfolg, Ihr einziger Halt das Vergnügen. Aber man findet das Glück nur darin, zu tun, was man liebt, und nur dort, wohin es den Menschen aus dem Herzensgrunde zieht.«
»Wie kannst du das wissen, der du doch nie gelebt hast?« fragte Violante.
»Ich habe nachgedacht, und darin besteht das Leben«, antwortete Augustin, »aber ich hoffe, dass auch Sie bald dieses inhaltsleere Leben satthaben werden.«
Violante langweilte sich mehr und