Скачать книгу

dieser Bruder deutlich besser gefiel. Natürlich nur auf einer rein freundschaftlichen Ebene. Schließlich wusste Ariadne nur zu gut, dass er sich nicht für Frauen interessierte. Im Gegenteil, seit dem Tod seiner Frau vor einigen Jahren, hatte es in seinem Leben keine andere mehr gegeben.

      „Was ist denn passiert?“, fragte Ariadne und sah Juan erwartungsvoll an.

      So angespannt, wie Juan war, musste es etwas sehr Wichtiges sein. Plötzlich hatte Ariadne einen Verdacht und musste schlucken. Hat sich Joel etwa über mich beschwert?

      „Ich habe gerade mit meinem Bruder gesprochen“, begann Juan zu erzählen.

      Also doch, dachte Ariadne schuldbewusst, er hat sich wirklich über mich beschwert. Wahrscheinlich soll sein Bruder mir jetzt ins Gewissen reden, weil ich mich in seinem Büro so im Ton vergriffen habe.

      „Juan, ich weiß, dass ich nicht so mit deinem Bruder hätte sprechen dürfen“, sagte sie schnell. „Es tut mir wirklich leid. Ich werde mich natürlich bei ihm entschuldigen. Und …“

      Der plötzliche verwirrte Ausdruck in Juans Gesicht ließ Ariadne verstummen. Habe ich etwas Falsches gesagt?

      „Juan, alles in Ordnung?“

      Noch immer sah Juan Ariadne verwirrt an. So als wüsste er nicht, was sie mit ihren Worten gemeint hatte. Doch dann schien er sich an etwas zu erinnern und sein Gesicht wurde wieder ernst.

      „Du meinst die Sache in seinem Büro. Joel hat mir davon erzählt. Aber aus diesem Grund bin ich nicht hier. Das müsst ihr schon unter euch klären. Mein Problem hat mit der Fabrik zu tun. Mir ist aufgefallen, dass wir in letzter Zeit deutlich weniger Gewinn machen.“

      Nun war es Ariadne, die Juan verwirrt ansah.

      „Ich verstehe nicht“, erwiderte sie. „Genau darum ging es doch in meinem Streit mit deinem Bruder. Seine Ausgaben sind in letzter Zeit immer höher geworden, sodass ich deutlich weniger Geld aus dem Vertrieb erhalte. Nach der ersten Abrechnung habe ich sogar mit Jan Neiger gesprochen, weil ich dachte, etwas würde mit seinen Zahlen nicht stimmen. Ich habe jedoch nichts gesagt, da die Abweichung nur geringfügig war und dein Bruder meinte, er brauche für die aktuelle Kollektion bessere Stoffe, die etwas preisintensiver seien. Doch in den letzten Wochen wurden die Ausgaben immer höher. Ich habe versucht, ihn zur Vernunft zu bringen, aber ohne Erfolg.“

      Juan sah sie an und dachte nach. Sie ist wirklich überzeugt, Joel wäre schuld an den aktuellen Problemen. Was er ihr auch nicht verübeln konnte. Trotzdem musste er gegen ein immer stärker werdendes Gefühl der Wut ankämpfen. Schon vor Wochen war Ariadne aufgefallen, dass etwas nicht stimmte. Leider ohne nachprüfen zu können, wo genau die Schwierigkeiten lagen. Aber wieso hat dieser Jan Neiger seiner Vorgesetzten nichts von den sinkenden Einnahmen erzählt? Er muss doch gesehen haben, dass die Verkäufe zurückgehen.

      „Ariadne, Joel trifft keine Schuld“, nahm Juan seinen Bruder in Schutz. „Es stimmt, die Materialausgaben sind gestiegen, nachdem mein Bruder auf einen anderen Lieferanten umgestiegen ist, doch diese wurden mit mir und auch mit unseren Eltern abgesprochen. Wir müssen mit der Zeit gehen, um weiter hochwertige Kleidungsstücke anbieten zu können. Aus diesem Grund wurden neue Lieferanten ausgewählt, die eine deutlich bessere Qualität bieten. Ich weiß nicht, warum Joel es dir nicht einfach gesagt hat.“

      Fassungslos sah Ariadne Juan an. Natürlich hatte er so etwas erwähnt, aber sie war nicht weiter darauf eingegangen. Jedoch hatte sie nicht gewusst, dass ihr Chef damit einverstanden war. Sie verstand auch nicht, warum. Durch die steigenden Ausgaben würde das Unternehmen bald in finanzielle Schwierigkeiten kommen. Wieso hat Valenzo nicht mit mir gesprochen?

      „Ich kann das einfach nicht glauben“, sagte Ariadne verwirrt. „Du hast doch die Zahlen gesehen. Die Fabrik wirft immer weniger Gewinn ab.“

      Juan lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah Ariadne mit ernster Miene an.

      „Ja, ich habe die Zahlen gesehen“, sagte er angespannt. „Jedenfalls die, bis zum Ende des letzten Monats. Sie sind wirklich erschütternd. Doch der Grund liegt nicht in den Materialausgaben, denn diese haben sich, seit Joel die Leitung übernommen hat, nur geringfügig verändert. Schuld an den sinkenden Zahlen sind die geringeren Verkäufe in der Fabrik. Auch die Zahlen im Vertrieb sind deutlich zurückgegangen. Ich kann noch nicht genau sagen, wie schwerwiegend unsere Probleme sind, dazu fehlen mir noch die Daten aus den Vertriebs- und Verkaufsfilialen meiner Cousins. Doch wenn sich meine Befürchtungen bestätigen, haben wir gerade ein ernsthaftes Problem.“

      Wie erstarrt sah Ariadne Juan an.

      „Ich … Ich hatte keine Ahnung“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Ich dachte …“

      „Du konntest es nicht wissen“, sagte Juan ruhig. „Dich trifft keine Schuld. Du hattest keinen Zugang zu den Vertriebs- und Verkaufsdaten. Das war ein großer Fehler.“

      Ariadne sah Juan an, dessen Gesicht wieder seinen typischen traurigen Ausdruck angenommen hatte. Tief atmete sie durch. Sie fühlte sich trotzdem schuldig. Sie hätte bei Jan weiter nachhaken müssen, als die Zahlen zurückgegangen waren. Stattdessen hatte sie Joel die Schuld gegeben und ihn immer wieder wegen seiner Ausgaben ermahnt. Kein Wunder, dass er mich nie wirklich ernst genommen hat, dachte sie angespannt. Und kein Wunder, dass er mich heute aus seinem Büro geworfen hat, nachdem ich so mit ihm gesprochen habe. Für ihn musste es ja so ausgesehen haben, als hätte ich ihn ohne Grund angegriffen. Ich muss mich wirklich bei ihm entschuldigen.

      „Was machen wir jetzt?“, wandte sich Ariadne an Juan.

      „Wir müssen alle Daten prüfen, um so ein genaues Bild über die aktuelle Situation zu bekommen. Ich möchte dich bitten, dir alle Zahlen genau anzuschauen. Ab sofort erhältst du wieder vollen Zugang zu all unseren Geschäftskonten und Büchern. Außerdem habe ich meine Cousins Alexander und Raphael gebeten, mir auch ihre Zahlen zu schicken. Bitte sieh dir diese ebenfalls an. Bis Freitag brauche ich eine genaue Auflistung der letzten Monate. Wir müssen wissen, wann die Probleme angefangen haben. Alle anderen Aufgaben, die gerade nicht warten können, gib bitte an deine Kollegen weiter.“

      Ariadne nickte.

      „Ich werde mich sofort an die Arbeit machen und mir von Jan die Bücher geben lassen. Im Moment gibt es nichts, was nicht eine Woche warten kann. Die nächste Gehaltsabrechnung ist fertig, ich muss die Daten nur noch zur Buchungsstelle schicken.“

      Juan nickte und nach einem knappen „Danke“ verließ er das Büro.

      Als es das nächste Mal an der Tür klopfte, war es bereits kurz nach fünf. Genervt über die Störung sah Ariadne von ihren Büchern hoch. Ich habe doch gesagt, ich will nicht gestört werden, dachte sie gereizt. Ihre aktuelle Aufgabe forderte ihre ganze Konzentration, denn leider waren Jans Bücher alles andere als ordentlich. Im Gegenteil, teilweise hatte Ariadne große Mühe, überhaupt seine Schrift zu lesen. Noch nie hatte sie verstanden, warum ihr Kollege die Buchführung unbedingt mit der Hand machen musste. Sie selbst besaß eine sehr gute Software, welche sie auch Jan angeboten hatte. Doch er gehörte, wie er selbst sagte, zur alten Schule. Er vertraute den Programmen nicht, sondern verließ sich lieber auf sein altes, für ihn bewährtes System. Leider hatte das jetzt zur Folge, dass Ariadne erst einmal alle Daten in ihren Computer eingeben musste, um sich einen besseren Überblick verschaffen zu können. Das kostete wertvolle Zeit, die sie eigentlich nicht hatte. Immerhin waren es bis Freitag nur noch vier Tage und sie musste sich auch noch die Daten der Verkaufs- und Vertriebsfilialen anschauen, die Alexander und Raphael ihr vor einer Stunde geschickt hatten.

      Als es ein zweites Mal klopfte, stand Ariadne auf und ging zur Tür. Vorsorglich hatte sie diese abgeschlossen und sogar ein Schild aufgehängt, dass sie nicht gestört werden wollte. Wütend öffnete sie, um den Störenfried zur Rede zu stellen. Doch als sie sah, wer vor ihrem Büro stand, verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln.

      „Nathan? Was machst du denn hier?“

      Lächelnd ging Ariadne auf ihren Freund zu, der sie sofort in den Arm nahm und küsste. Erst vor drei Wochen hatten sie sich auf der Geburtstagsfeier

Скачать книгу