Скачать книгу

ich ungelegen?“, fragte Juan, während seine rechte Hand immer noch auf dem Türgriff lag.

      Joel schüttelte den Kopf.

      „Nein“, sagte er bestimmt. „Frau Steinmeyer wollte sowieso gerade gehen.“

      Nur kurz sah Juan zu der jungen Frau hin, die zwischen den beiden Brüdern hin- und herschaute. Schließlich gab sie sich geschlagen und, ohne ein weiteres Wort zu sagen, verließ sie das Büro.

      Nachdenklich sah Juan Ariadne einige Sekunden lang hinterher, dann schloss er die Tür und ging auf seinen Bruder zu. Dieser hatte inzwischen wieder auf seinen Stuhl Platz genommen und wartete darauf, dass Juan zu sprechen begann. Als dieser sich ihm gegenüber hingesetzt hatte, sah er seinen Bruder forschend an.

      „Was war denn los?“, fragte er Joel auf Italienisch. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du jemals jemanden so zur Schnecke gemacht hast. Ariadne war gar nicht mehr wiederzuerkennen.“

      Joel zuckte nur mit den Schultern. Er hatte keine Lust, das ganze Thema noch einmal mit seinem Bruder zu besprechen. Doch so leicht ließ Juan seinen Bruder nicht davonkommen. Immerhin hielten sowohl er wie auch ihr Vater große Stücke auf die junge Frau. Und keiner der beiden wollte riskieren, dass Ariadne die Fabrik verließ. Dafür war sie für das Unternehmen zu wichtig. Mit verschränkten Armen saß Juan deshalb schweigend auf seinen Stuhl, sah seinen Bruder eindringlich an und wartete auf eine Antwort. Schließlich gab sich Joel geschlagen.

      „Wir hatten nur eine kleine Meinungsverschiedenheit“, spielte er die Geschichte herunter. „Nichts Wichtiges.“

      „Wirklich?“ Juan blieb skeptisch. „Das sah für mich aber ganz anders aus. Außerdem wirkst du gerade ziemlich gereizt und angespannt. So kenne ich dich gar nicht.“

      „Es ist nur …“, begann Joel und brach gleich wieder ab. Mist, dachte er frustriert. Was soll ich ihm erzählen?

      Am Ende entschied er sich für die Wahrheit, denn sein Bruder würde eine Lüge sofort erkennen.

      „Unsere Buchhalterin hält mich für einen Schmarotzer, der sich von seinen Eltern aushalten lässt und planlos durch die Welt fliegt.“

      Verwirrt sah Juan seinen Bruder an.

      „Und? Genau dieses Bild spielst du allen doch seit Jahren vor. Bis auf wenige Ausnahmen weiß niemand, was du beruflich machst. Das ist also kaum ein Grund, so auszurasten.“

      „Ich bin nicht ausgerastet“, erwiderte Joel sofort. Gut, vielleicht bin ich ein bisschen laut geworden. „Ich habe Frau Steinmeyer nur zu verstehen gegeben, dass ich es nicht dulden werde, wenn sie diese Geschichte in der Firma herumerzählt.“

      „Joel, praktisch jeder hier in der Firma kennt die Geschichte“, erwiderte Juan gelassen. „Da wird es gar nicht notwendig sein, es jemandem zu erzählen.“

      Gereizt fuhr sich Joel mit der Hand durch sein schulterlanges Haar, welches er heute offen trug.

      „Vielleicht will ich aber nicht, dass sie so über mich denkt.“

      Juan sah seinen Bruder an. Plötzlich wurde ihm klar, worum es in Wirklichkeit ging.

      „Du bist an unserer Buchhalterin interessiert?“

      „Quatsch“, sagte Joel schnell, doch er wusste, dass sein Bruder ihm nicht glaubte.

      Schließlich gab er sich geschlagen.

      „Gut, du hast recht, ich finde sie nicht uninteressant. Jedoch beruht das nicht auf Gegenseitigkeit. Im Gegenteil, jeden Versuch, sie besser kennenzulernen, hat sie abgeblockt.“

      Als Joel sah, wie sich ein leichter Schatten über das Gesicht seines Bruders legte, bereute er seine Worte sofort. Wieso habe ich nicht einfach meinen Mund gehalten?, dachte er frustriert und sah seinen Bruder an, der ihm so ähnlich war. Als Kind hatte er oft das Gefühl gehabt, in einen Spiegel zu schauen. Und das nicht nur wegen der braunen Augen oder der schwarzen Haare, die bei allen männlichen Mitgliedern der Familie de Luca so typisch waren, oder etwa das gleiche Gesicht. Immerhin waren sie eineiige Zwillinge. Nein, die wohl wichtigste Gemeinsamkeit der beiden Brüder war ihr Charakter. Beide hielten immer an ihren Wünschen und Träumen fest. Niemand konnte dem anderen etwas vormachen. Und egal, was geschah, sie hielten immer zusammen. Jedenfalls war es so gewesen, bevor sich das Leben seines Bruders so radikal verändert hatte. Denn vor fünf Jahren hatte er seine geliebte Frau Maya und sein ungeborenes Baby verloren. Seit diesem Tag gab es für ihn nur noch die Arbeit und nicht ein einziges Mal hatte Joel seinen Bruder lachen sehen. Es war fast so, als wäre ein Teil von ihm mit seiner Frau gestorben. Und ich quatsche hier von meinem Interesse an einer Frau, die ich sowieso nicht haben kann, ging es ihm durch den Kopf. Ich bin so ein Idiot.

      „Tut mir leid“, sagte Joel schnell, doch Juan winkte ab.

      „Vergiss es, Bruder. Immerhin habe ich dich gefragt. Außerdem kann ich es dir nicht verübeln, dass du dich für unsere Buchhalterin interessierst. Ariadne ist wirklich eine große Bereicherung für die Firma.“

      Kaum hatte Juan das Unternehmen erwähnt, wurde er wieder ernst.

      „Wahrscheinlich ist es besser so. Du bist nur vorübergehend hier. Sobald es Papà besser geht, wirst du in deine Künstlerwelt zurückkehren. Ariadne ist unsere beste Mitarbeiterin. Es wäre nicht gut, wenn du mit ihr etwas anfangen würdest und dann einfach wieder gehst. Das Unternehmen kann es sich nicht leisten, auf sie zu verzichten.“

      Leicht gereizt sah Joel seinen Bruder an. Natürlich, die Firma. Wieso kann Juan nicht einmal an etwas anderes denken, dachte er frustriert. Trotzdem musste er zugeben, dass sein Bruder nicht ganz unrecht hatte. Er würde nur für kurze Zeit in Dornbirn bleiben. Nur so lange, bis sein Vater von seiner Kur zurückkehrte.

      „Juan, glaub mir, ich habe nicht vor, etwas mit ihr anzufangen. Ich meine, sie ist ja nicht einmal an mir interessiert. Somit musst du dir darüber keine Gedanken machen.“

      Immer noch skeptisch sah Juan seinen Bruder an und Joel beschloss, schnell das Thema zu wechseln. Für heute hatte er genug.

      „Warum bist du eigentlich gekommen? Bestimmt nicht, um dich mit mir über unsere Angestellten zu unterhalten.“

      Einen kurzen Moment sahen sich die Brüder einfach nur an, dann ging Juan schulterzuckend zum eigentlichen Grund seines Besuches über.

      „Stimmt“, gab er zu, „aus diesem Grund bin ich nicht hier. Es geht um etwas viel Wichtigeres. Wie du weißt, war ich in letzter Zeit durch mein Studium sehr eingespannt, doch jetzt sind Semesterferien. Ich habe die letzten Tage genutzt, um mir einen Überblick über unsere Zahlen zu verschaffen. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Fabrikverkäufe in der letzten Zeit deutlich zurückgegangen sind.“

      Ernst sah Juan seinen Bruder an, während er ihm ein Blatt Papier reichte. Fast eine Minute starrte Joel auf die grafische Darstellung, dann legte er den Zettel zur Seite und sah hoch.

      „Glaubst du, es hat etwas mit dem Ausfall von Papà zu tun?“

      Juan zuckte mit den Schultern.

      „Keine Ahnung, doch es muss einen Grund geben. Noch tun uns die fehlenden Einnahmen nicht weh, doch wenn es so weitergeht, sieht es für die Fabrik nicht gut aus.“

      Joel nickte. Die aktuellen Ergebnisse waren ziemlich schlecht, das hatte sogar er erkannt. Sie mussten dringend etwas tun.

      „Was ist mit den Verkaufsfilialen?“, fragte er seinen Bruder. „Sind sie auch davon betroffen?“

      Kurz sah Juan ihn an, dann nickte er. Einen Moment lang sahen sich die beiden Brüder nur schweigend an. Beide wussten genau, was der andere dachte. Verdammt!

      „Ich weiß noch nicht, wie schlimm es in den einzelnen Filialen aussieht“, gab Juan nach einer Weile gereizt zu. „Auf jeden Fall haben wir in der letzten Zeit deutlich weniger Kleidungsstücke an die Verkaufsfilialen ausgeliefert. Ich habe bereits mit Alexander und Raphael gesprochen und sie gebeten, mir eine aktuelle Verkaufsstatistik

Скачать книгу