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Nervös leckte er sich über die trocken gewordenen Lippen. Er versuchte, das leichte Zittern seiner Hand zu verbergen, als er eine Farsawurzel aus dem Köcher zog. Er rieb sie auf eine bestimmte Weise und spürte, wie sie sich versteifte. In diesem Zustand konnte eine Farsa sogar den Brustpanzer eines Ritters durchstoßen. Er streckte seine Waffe vor und machte einen zögernden Schritt in Richtung auf das Dornengewächs.

      Eolanee bemerkte die Berengar nicht. Die Fünfjährige hatte sich ihrer Furcht ergeben und der Dornenbusch spürte ihre Angst. Seine Dornen wurden länger und schärfer, um das, was er umgab, zu schützen.

      Lutrus war ein kampferprobter Veteran so mancher Schlacht und war noch nie vor einer Übermacht zurückgewichen. Aber nun fühlte er sich weit mehr, als nur unbehaglich. Von dem Busch ging eine unheimliche Drohung aus. Eine furchtbare Gewissheit, dort nichts als den Tod zu finden. Schweiß perlte auf der Stirn des Unterführers, als er einen erneuten Schritt machte und nur noch auf Armeslänge von dem Gewächs entfernt war. Sein Herz schlug rasend schnell, er schmeckte süßen Schweiß auf seiner Zunge, als er die Lippen befeuchten wollte.

      „Ich sage dir, wir sollten hier verschwinden“, ächzte einer der anderen.

      „Halt dein Maul“, keuchte Lutrus. Es forderte seine ganze Kraft, den Arm auszustrecken und mit der erstarrten Farsa an einen der Dornenäste zu stoßen.

      Der Ast zog sich zusammen, schnellte wieder vor und Lutrus stieß einen wilden Fluch aus, als mehrere scharfe Dornen über seinen Handrücken glitten und ihn zerschnitten. Instinktiv sprang der Berengar zurück.

      Ein Brüllen ertönte am südlichen Ende des Tals.

      Es schien zwischen den Bäumen des Waldes seinen Widerhall zu finden. Ein dunkler vibrierender Ton, der den Berengar den letzten Rest an Selbstbeherrschung raubte.

      „Weg hier“, schrie einer der Männer auf. „Die Bestie kommt! Sie wird uns zerfleischen!“

      „Weg hier“, befahl auch Lutrus kreidebleich und wandte sich ab.

      Fort von dem Gebüsch, in dem etwas Entsetzliches auf ihn und seine Männer lauerte und fort von dem Brüllen einer Bestie, das immer näher kam und den Tod verkündete.

      Die Gruppe rannte an den Kegelbäumen vorbei und sah, dass die anderen bereits am nördlichen Talausgang warteten. Die Hauptgruppe trieb die gefangenen Frauen und Kinder mit sich und sah nun ins Tal zurück, von wo Lutrus Gruppe auf sie zu hastete, gefolgt von dem drohenden Ton.

      „Der Wald steckt voller Bestien, Han-Keltor“, meldete Lutrus schwer atmend, als sich die Gruppen vereinigten.

      Der Anführer mit den sonnengelben Haaren sah mit verengten Augen zum Wald. „Was für Bestien, Lutrus? Was geht da vor sich?“

      „Du willst es nicht wissen“, keuchte der Unterführer. „Glaube mir, das willst du nicht.“

      Han-Keltor legte die Hand unentschlossen um den Schwertgriff. „Nun gut, wir haben gute Beute gemacht und keinen Mann verloren. Es wäre unsinnig, das jetzt aufs Spiel zu setzen und sich einem unbekannten Feind zu stellen.“

      Sie lauschten dem erneuten Gebrüll, welches nun inmitten des Waldes zu verharren schien. Unzweifelhaft waren es mehrere Kreaturen, welche diese drohenden Laute ausstießen.

      „Na schön“, sagte Han-Keltor zögernd. „Verschwinden wir. Hier gibt es nichts mehr zu gewinnen.“

      Lutrus und die Männer seiner Gruppe nickten erleichtert.

      Während die Krieger sich mit dem raschen Laufschritt der Berengar auf den Heimweg machten, warf der erfahrene Lutrus immer wieder einen raschen Blick zurück. Er empfand unsägliche Erleichterung, denn die Bestien, die ihr Leben bedroht hatten, folgten ihnen nicht. Vielleicht, so tröstete er sich, hatten sich die Ungeheuer mit dem Geschmack des kleinen Mädchens zufrieden gegeben.

      Weit hinter den Berengar, auf dem breiten Grasstreifen, der den normalen Wald von der Gruppe der Kegelbäume trennte, verharrte eine Gruppe Reiter. Es waren unzweifelhaft Menschen vom Volk der Enoderi, doch diese Männer waren ebenso ungewöhnlich, wie ihre Reittiere.

      Sie waren die Träger der Aura, die Träger der Macht. Ihre Aufgabe war es, das Volk zu schützen.

      Die Enoderi waren friedliebende Menschen, welche das Leben achteten und keine Waffen nutzten. Aber es gab andere Völker, die nach Besitz und Macht strebten und nicht vor Gewalt zurückschreckten, um beides zu erlangen. Die Enoderi waren jedoch nicht schutzlos. Es gab eine Fähigkeit in ihrem Volk, die mächtiger war als jede geschmiedete Waffe.

      Man nannte es die Aura und niemand konnte sagen, warum einige diese Fähigkeit besaßen und sie anderen verweigert wurde. Es gab nicht viele Träger der Aura und diese waren ausschließlich männlich. Diese Männer trugen die besondere Kraft von Geburt an in sich. So, wie einige Frauen die besondere Kraft einer Baumhüterin aufwiesen. Ein Träger der Aura war in der Lage, einem Angreifer zu begegnen, in dem er ein Gefühl unsäglicher Furcht in die Gedanken des Feindes projizierte. Das Volk der Enoderi erhob keine Schwerter gegen ein anderes Wesen und nahm niemals ein Leben, aber Angst konnte eine mächtige und überaus furchtbare Waffe sein.

      Wenn man die Fähigkeit zur Aura in einem jungen Enoderi erkannte, dann schulte man ihn sorgfältig und über viele Jahre. Wurde er schließlich feierlich in den Kreis der Auraträger aufgenommen, dann konnte er das nackte Entsetzen in die Seelen der Feinde senken. Ohne eine Klinge zu ziehen, konnten die Auraträger der Enoderi Armeen verjagen, alleine durch die Kraft ihres Geistes, der kaum ein Lebewesen widerstehen konnte.

      Diese fünf Reiter repräsentierten die Macht der friedliebenden Enoderi und zugleich, in dieser furchtbaren Stunde, ihre ganze Ohnmacht.

      Sie hatten versagt.

      Versagen müssen, da es keine Vorzeichen für diese Bluttat gegeben hatte. Keine Prophezeiung der Weisen Frau hatte sie gewarnt. Sie waren nicht in der Lage gewesen, ihre Aura zum Schutz Ayans einzusetzen.

      Diese fünf Männer waren nicht die einzigen Auraträger der Enoderi, aber sie waren durch eine Fügung des Schicksals sehr nahe gewesen. Nahe und doch viel zu weit entfernt, um ihre Aufgabe erfüllen und Leben retten zu können. Vor allem Bergos litt darunter, denn er war der Älteste der Auraträger und ihr Führer.

      Bergos Ma´ara´than war unzweifelhaft die beeindruckendste Gestalt unter den Reitern. Ein großer und sehr muskulöser Mann, dessen zerfurchtem Gesicht man ein langes Leben im Freien ansah. Seine Haut war dort, wo sie nicht von Bekleidung bedeckt war, tief gebräunt. Das schulterlange offene Haar wurde von weißen Strähnen durchzogen. Es war einst ebenso Tiefrot gewesen, wie die buschigen Augenbrauen und der brustlange Vollbart. Ein goldener Stirnreif mit einem großen blauen Edelstein hinderte die Haare daran, Bergos ins Gesicht zu fallen. Er trug die Tunika und die knielangen Hosen der Enoderimänner, beides in zartem Beige und mit blauen Nähten verziert. In demselben Farbton wie der Stein des Stirnreifs, waren auch der schmale Gürtel und der hüftlange Umhang gehalten. Seine Begleiter waren ebenso gekleidet, aber die Ziernähte waren schmaler und die Steine ihrer Stirnreifen kleiner.

      Bergos saß auf einem jener Tiere, die das drohende Brüllen ausgestoßen hatten. Ein mächtiger Hornlöwe mit dem Grau und Braun gestreiften Fell eines alten Bullen. Die drei nach vorne gerichteten Hörner waren zernarbt und stumpf von vielen Kämpfen um eine paarungswillige Löwenkuh. Der massige Leib ruhte auf vier säulenartigen Beinen und im Nacken des breiten Schädels ragte das knöcherne Nackenschild auf. Als das Tier nun erneut sein Maul öffnete und das Furcht erregende Gebrüll ausstieß, wurden mächtige Zähne sichtbar. Mit ihnen wühlte das Tier den Boden auf, um nach Wurzeln, Pilzen und kleinen Kerbtieren zu suchen. So bedrohlich ein Hornlöwe auch aussehen mochte, es gab kaum ein harmloseres Tier, als diese Pflanzenfresser.

      Einer der Begleiter sah Bergos ernst an, Kummer zeichnete das Gesicht. „Er trauert.“

      Bergos Ma´ara´than beugte sich vor und strich sanft über das mittlere Horn seines Reittiers. „Wie wir alle“, sagte er mit bitterer Stimme. „Wir sind zu spät gekommen. Viel zu spät.“

      „Wenn wir das Blut nicht bemerkt hätten, wären wir erst in Tagen auf

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