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war eine Schlafstelle zu sehen, dazu ein paar einfache Möbel. Der Raum wurde von zwei Dingen beherrscht. Dem Altar der Prophezeiung und von der Prophetin selbst.

      Die Prophetin hatte keinen Namen. Vielleicht hatte sie ihn einst besessen, aber die Jahre hatten ihn unwichtig werden lassen. Sie war eine schlanke Frau mit schlohweißem Haar und unbestimmbarem Alter. Sie war alt, sehr alt und doch zeigte ihr Antlitz jugendliche Züge. Nur die Augen verrieten die Last eines langen Lebens und zu vieler Sorgen um ihr Volk. Die Prophetin trug eine schlichte rote Robe, ohne jeden Schmuck oder ein Symbol, denn sie selbst war das Symbol der Prophezeiung.

      „Tretet ein, ihr Träger der Aura. Teilt eure Gedanken mit mir und hört, was die Prophezeiung euch zu sagen hat.“ Dies war nun unzweifelhaft die Stimme der Prophetin. Sie war angenehm und leise, und doch erfüllte sie den Raum.

      Die Männer verteilten sich entlang der Rundwand, schwiegen ehrfurchtsvoll und überließen es Bergos zu sprechen.

      „Wir suchen deinen weisen Rat, denn die Gemeinschaft von Ayan fiel einem blutigen Überfall zum Opfer. Wir wissen, dass es Krieger des Volkes der Berengar waren und müssen nun erfahren, ob uns weitere Gefahr droht.“ Bergos räusperte sich. „Und ob die Kraft der Auraträger ausreichen wird, ihr zu begegnen.“

      „Ich erfuhr davon.“ Die Prophetin wandte sich mit unbewegtem Gesicht dem Altar zu. „Und ihr werdet erfahren, was die Prophezeiung euch enthüllt.“

      Der Altar. Ein schlichter Kegel aus weißem Stein, auf seiner breiten Basis ruhend. Er war glatt poliert und zwei Hände breit über der Spitze des Kegels loderte die ewige Flamme der Göttin. Ein weißes Licht, das trotz seiner Helligkeit nicht in den Augen schmerzte.

      Die Weise Frau, Prophetin der Enoderi, wandte sich dem Altar zu, streckte ihre Arme aus und drehte die geöffneten Handflächen der Flamme entgegen. In dem weißen Flackern wurden rote Schlieren sichtbar, die sich ausdehnten und wieder zusammen zogen. „Flamme der Weissagung, deine Dienerin bittet um deine Kraft. Blut wurde vergossen und der Kreislauf des Lebens unterbrochen. Zeige uns den Weg, den dein Volk beschreiten soll.“

      Das Glühen veränderte sich, nahm ein sanftes Grün an und dehnte sich weiter aus. Nebel schien um die Handflächen der Prophetin zu wallen, formte sich zu einem Ring, der, von den Händen der Weisen Frau ausgehend, um die ewige Flamme kreiste.

      Einer der Auraträger hüstelte erregt und Bergos warf ihm rasch einen mahnenden Blick zu. Nichts durfte die Konzentration der Prophetin stören.

      „Gefahr droht den Menschenvölkern.“ Es war die Prophetin, die diese Worte aussprach, aber es war gewiss nicht ihre Stimme. „Ein fernes Volk wird das Land mit Blut überziehen. Nichts wird verschont und nichts bleibt bestehen. Finsternis liegt über den Kindern der Göttin. Der Kreislauf des Lebens droht zu zerbrechen. Aber in der Finsternis wird ein Licht erstrahlen. Eine Aura, so mächtig, wie sie nie zuvor entstanden ist. Diese Aura wird Leben nehmen, um Leben zu gewähren.“

      Der Ring aus Nebel löste sich auf und das Wallen begann dem steten Licht der ewigen Flamme zu weichen. Durch die Prophetin schien ein unmerklicher Ruck zu gehen und sie stöhnte leise auf. Dann drehte sie sich den Auraträgern zu und ließ ihre Arme sinken. „Dies sind die Worte der Prophezeiung. Die Worte der Weisheit und der Flamme des Lebens.“

      Bergos Ma´ara´than verneigte sich und die anderen folgten seinem Beispiel. „Wir danken dir, Prophetin und werden über deine Worte beraten.“

      Die Auraträger verließen den Tempel und Bergos war sich nicht sicher, ob er nun mehr wusste, als zuvor. Wie üblich waren die Worte der Prophetin schwer zu deuten. Der Führer der Auraträger versuchte, seine Gedanken zu sammeln, während sie zur Ratshalle zurückgingen. Ein wenig verwirrt stellte er fest, dass sich die Abenddämmerung über das Tal senkte. Sie mussten Stunden im Tempel verbracht haben, obwohl es ihm und den anderen nur wie wenige Minuten erschienen war.

      Noch immer wurden sie von Neugierigen begleitet, aber ihre Zahl war deutlich kleiner geworden. An den Kegelbäumen brannten die ersten Lampen und auf dem großen Platz inmitten der Baumkreise bereiteten sich die Bewohner von Ayanteal auf eine abendliche Versammlung vor. Man traf sich oft, um miteinander zu reden, Meinungsverschiedenheiten beizulegen oder um zu musizieren und zu tanzen. An diesem Abend würde man sich versammeln um zu erfahren was der Rat beschloss.

      Bergos setzte sich an seinen Platz und sie sprachen die rituelle Formel des Rates. Nachdem sie die Stirnreifen wieder aufgesetzt hatten, räusperte sich der alte Anführer. „Überdenken wir die Worte der Prophetin und wägen wir ab, was sie zu bedeuten haben. Ein fernes Volk wird das Land mit Blut überziehen. Nichts wird verschont und nichts bleibt bestehen. Finsternis liegt über den Kindern der Göttin. Der Kreislauf des Lebens droht zu zerbrechen. Aber in der Finsternis wird ein Licht erstrahlen. Eine Aura, so mächtig, wie sie nie zuvor entstanden ist. Diese Aura wird Leben nehmen, um Leben zu gewähren.“

      „Ein Teil der Worte ist mir begreiflich.“ Kender Ma´ara sah die anderen nachdenklich an. „Es können nur die Berengar gemeint sein. Sie werden Krieg führen und uns angreifen. Wir sind vom Tode bedroht. Der Kreislauf des Lebens…“

      „Ja, ja, das sind schlichte Worte, die wir alle verstehen“, knurrte ein anderer Mann. „Dass diese Bestien eine Bedrohung sind, ist uns allen klar. Ayan steht für den Blutrausch dieser Berengar. Viel schwerwiegender erscheint mir, was die Prophezeiung über die Aura aussagte. Eine mächtige Aura soll entstehen. Eine Aura, die Leben nimmt, um Leben zu gewähren.“

      „Ja, das ist völliger Unsinn“, stimmte Kender zu. „Kein Auraträger kann Leben nehmen. Die Macht der Aura liegt darin, Leben zu bewahren. Wir können Furcht einflößen, aber kein Blut vergießen. Allein der Versuch zu töten, würde uns die Kraft der Aura nehmen.“

      Bergos nickte. „Nur wer reinen Herzens ist und den Kreislauf des Lebens hütet, dem dient die Aura. Dennoch, meine Freunde, die Prophetin hat sich noch nie geirrt.“

      „Ihre Worte klingen klar, aber ihre Bedeutung kann im Dunkel verborgen sein“, gab ein Auraträger zu bedenken. „Denkt an die Prophezeiung, die das Volk vor über hundert Jahren erhielt. Von sieben fruchtbaren Jahren war die Rede. Und, was geschah? Sieben Jahre blieb der Regen aus, viele Felder verdorrten und zugleich hatten wir ungeheuer viele Geburten. Damals gerieten wir Enoderi an den Rand einer Hungersnot.“

      „Die Prophetin irrte nicht. Soweit es die Familien und den Segen unserer Nachkommen betraf, waren es fruchtbare Jahre.“

      „Genau das meine ich.“ Der hagere Auraträger strich sich nervös über das Gesicht. „Damals hörte man nur von den sieben fruchtbaren Jahren und wusste die Worte nicht zu deuten. Die Prophetin sprach von den Geburten, aber sie warnte uns nicht vor der Dürre.“

      „Was soll das heißen?“ Einer der Männer sprang erregt auf. „Zweifelst du an der Prophezeiung?“

      „Natürlich nicht.“ Der Hagere machte eine beschwichtigende Geste. „Ich sage nur, wir müssen die Worte gut abwägen. Ihre Bedeutung scheint auf der Hand zu liegen und kann uns doch verborgen sein.“

      „Wir sind uns sicher einig, dass vom Volk der Berengar Gefahr ausgeht.“ Bergos sah das zustimmende Nicken der anderen. „Die Prophetin sprach von einer mächtigen Aura. Ich denke, damit ist das Zusammenwirken unserer Kräfte gemeint. Wenn wir sie vereinen, so bilden wir eine sehr machtvolle Aura.“

      Erneut nickten die anderen, bis auf den Hageren. Er schüttelte nachdenklich den Kopf. „Die Prophetin kennt unsere Kraft. Sie sprach vom Entstehen einer mächtigen Aura und ich glaube nicht, dass sie damit die Bündelung unserer Kräfte meinte. Zudem, und das müssen wir alle bedenken, sprach sie von einer Aura, die Leben nehmen könne. Keiner von uns vermag etwas derart Ungeheuerliches zu tun.“

      „Das ist wahr.“

      Bergos seufzte. „Es wäre mir recht, wenn wir die Prophetin erneut befragen könnten, aber ihr kennt sie. Für jedes Ereignis gibt sich ihre Weisheit nur in einer einzigen Prophezeiung zu erkennen.“

      „Deren Deutung uns obliegt. Jedenfalls wird es Ärger mit den Berengar geben, das steht wohl fest.“ Kender zuckte die Schultern. „Wir

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