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(Endlich Ruhe.) Er spürte die Schwerkraft, die ihn Richtung Erdmittelpunkt zog; spürte den Wind um seinen Körper fegen; spürte, wie seine Kleidung sich nach oben gegen ihn drückte, (Endlich Ruhe.)während sein Körper nach unten gezogen wurde und sein Kopf leer war von allen Gedanken. Keine Versagensängste, keine bösen Erinnerungen, keine Schuldgefühle, keine zermürbenden Verpflichtungen. Nur süße Stille und Dunkelheit. (Endlich Ruhe.)

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       Plötzlich, nur einen Sekundenbruchteil später fuhr ein Ruck durch seinen ganzen, kleinen Körper

       (Was zum ...?)und er fühlte sich, als ob er in der Luft schweben würde, als würde ein unsichtbarer Haken ihn auf derselben Höhe halten. Er sah nach oben und erkannte voller Überraschung das Gesicht eines seiner Lehrer, der ihn - am Kragen gepackt - in der Luft hielt und ihn, unter ziemlicher Anstrengung, vorsichtig wieder raufzog. Sein Lehrer, Mr. Miller, hatte hinter dem Stiegenaufgang gestanden, eine Zigarette geraucht und nachgedacht. Kurt hatte ihn nicht gesehen und Miller hatte von Anfang an gewusst, was unser kleiner Kurt vorhatte. Doch auf einmal fiel Kurt - spät aber doch - noch etwas anderes an seinem Retter auf: er hatte dasselbe merkwürdige, Macht ausstrahlende Leuchten, das er auch beim Mörder seines Vaters gespürt hatte. Das gleiche, taube Gefühl, als wäre sein ganzer Körper gelähmt, überkam ihn. Miller lächelte ihn verständnisvoll an und begutachtete ihn von oben bis unten, musterte ihn jedoch nur schnell mit halb vorhandener Anteilnahme. Noch immer lächelnd, fragte Miller: „Erinnerst du dich an mich, mein Junge?“ Kurt sah ihn nur verständnislos an, da er zuerst nur seinen Lehrer vor sich sah und nicht denjenigen, der wirklich vor ihm stand. „Anscheinend nicht, hm? Naja, macht nichts.“ meinte Miller abwinkend. Nun bekam er einen wirklich lehrerhaften, moralistischen Ausdruck im Gesicht und hielt Kurt eine Standpauke. Mr. Miller war immer ein strenger Lehrer gewesen, der sehr auf Disziplin bedacht war. Merkwürdigerweise hielt er diesen Vortrag nicht ohne einer Spur zynischem Humor in der Stimme, fast so, als würde er sich selbst parodieren, nicht er selbst sein. Außerdem dämmerte Kurt langsam, dass es nicht sein Mathe-Lehrer war, der hier vor ihm sprach. Miller: „Das solltest du besser nicht tun, Kurt! Du hast noch vieles vor dir, das du sehen musst. Bald wirst du neue Gefühle in dir erkennen und ich werde dich vor eine neue Prüfung stellen. Was hältst du von Mädchen, Kurt? Was würdest du für etwas Liebe (Miller musste bei diesem Wort aus irgendeinem Grund kichern) alles tun? Wie weit würdest du gehen, hm? Naja, wir werden sehen. Bis zum nächsten Mal, Kurt.“ Daraufhin drehte sich sein Lehrer um und ging auf den Ausgang ins Hauptgebäude zu, während das Leuchten um ihn langsam wieder verblasste. Als er vor der Tür angelangt war, war das Glühen vollständig verschwunden und der Lehrer sah sich verwirrt um, als wüsste er nicht, wie er vor die Tür gekommen war. Dann schüttelte er resigniert den Kopf, öffnete die Tür und verschwand dahinter. Kurt war unverletzt und stand wie versteinert, mit offenem Mund, auf dem Dach der Schule bis die Glocke den Unterricht wieder einläutete.

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       ER hatte bereits auf ihn gewartet, als der Junge endlich kam. ER nahm einen Zug von der Zigarette, drehte sich um und wartete. Der Junge trat an den Rand des Daches, war aber zuerst noch zu ängstlich. Nach kurzem Überlegen trat Kurt doch wieder näher an den Rand. ER wartete geduldig, der Junge musste es tun, musste es einfach wagen. Kurt musste auch die zweite Prüfung überstehen. Der Junge musste es selbst tun, freiwillig. Als ER schon die Hoffnung aufgeben wollte, atmete der Junge noch einmal tief ein und sprang. ER schnellte übermenschlich rasch nach vorn und fasste den Jungen am Kragen seiner Jacke. Er hatte es getan, der Junge hatte es wirklich getan! ER war außer sich vor Freude. ER fühlte so etwas Ähnliches wie Stolz, schüttelte dieses Gefühl aber sofort wieder ab. Solche Gefühle konnte ER sich nicht leisten. Jetzt noch nicht. Der Junge sah ihn geschockt an, während ER diesen voll und ganz durchleuchtete, doch der Junge war unverletzt. ER war froh darüber. ER nahm einen weiteren Zug von seiner Zigarette, ließ sie auf den Boden fallen und trat sie aus. ER hoffte, dass der Junge mitmachen würde, dass er seinen Plan durchsetzen konnte. Der Junge mussteIHM einfach helfen, oder er war verloren. Kurt musste beginnen, IHM zu vertrauen. Oder die Menschheit war verloren. Das wäre wirklich schade. Zwar kein Weltuntergang, aber schade. Nun war es Zeit, Kurt seine nächste große Aufgabe zu stellen. ER hoffte, der Junge würde sich lange genug erinnern, bis die Zeit dafür gekommen war. ER war gespannt, was Kurt das nächste Mal tun würde. Danach drehte ER sich um und ließ Kurt allein.

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       Als Kurt an diesem Tag auf dem Heimweg von der Schule war, begegnete er einem auffallend verlorenen, ortsunkundigen Auslandsjournalisten, der – mit Notizblock, Hornbrille und Trenchcoat bewaffnet – durch die Straßen wuselte und sich schließlich wohl Kurt aussuchte, um dessen geographische Auskunft ein zu holen.

       Kurt fand, dass der Mann irgendwie lustig aussah, wie Charlie Chaplin mit Block und Stift. Er hatte mit seiner Familie zwei, drei alte Chaplin-Filme gesehen und sich halb tot gelacht. Nur war Charlie Chaplin sicher nicht auf so viel Kokain gewesen. Kurts Sinneserfassung des Mannes war bereits verflogen, als er geistesabwesend an demselben vorbei schlenderte, da er andere Dinge im Kopf hatte, über die er nachdenken musste.

       Erst jetzt bemerkte der hektische Pressefritze, dass Kurt in die Luft starrend an ihm vorbei trottete und ihn offenbar nicht hörte. Der Journalist berührte mit gespieltem Mitleid sanft die Schulter des anscheinend leicht weg getretenen Jungen.

       Kurt schreckte aus seiner schleichenden Apathie auf und sah seinen Wecker unruhig und aufgerieben an. Der Reporter fragte Kurt, ob er ihn auf eine Tasse heiße Schokolade einladen dürfe.

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       Derselbe Mann stellte sich stolz vor als 'Emanuel Clavier, renommierter französischer Auslandsjournalist', während er einem verwirrten und vertrauenslosen Kurt Powell an einem Tisch eines Cafés gegenüber saß. Kurt trank die ihm versprochene heiße Schokolade, Emanuel einen starken Kaffee, der ihm penetrant in die Nase stieg.

       Emanuel hatte ihm gerade geschildert, wie er Kurt begegnet war und wie sein Mitleid ihn dabei überkommen hatte. Emanuel meinte, er hätte Kurt einfach helfen müssen, und außerdem bräuchte er auch einige Informationen über gewisse Plätze hier in der Stadt der Engel, wie Los Angeles ja so schön hieße. Er fragte Kurt alle möglichen Dinge über Sehenswürdigkeiten, die in jedem drittklassigen Stadtführer hinreichend beschrieben wurden und sowieso jeder kannte, der einen Fernseher hatte.

       Sobald Kurt verträumt über Sachen referierte, auf die er selbst gar nicht so sehr achtete, tauchte der Franzose immer wieder seinen dünn gezwirbelten Schnurrbart in seinen müffelnden Kaffee.

       Kurt verlor irgendwann das Zeitgefühl dafür, wie lange das Gespräch dauerte, doch er verspürte auch keinen Drang, vom Tisch auf zu stehen. Er beobachtete nur die Tropfen brauner Flüssigkeit, die vom Bart seines Spenders in die Tasse zurück tropften und musste plötzlich an die Schule denken - an einen Kollegen, der schon länger krank gemeldet war: Bobby Delarow mit seinem Aneurysma im Hirn.

       Emanuel leitete plötzlich auf seine eigene Vergangenheit über, was Kurt ein wenig wunderte, jedoch nicht weiter störte. Clavier meinte, er hätte früher bei seiner Zeitung die Todesanzeigen gemacht und dass dies eigentlich ein wirklich grausamer, deprimierender Job sei. Immer die Lieben von trauernden Menschen über den Verstorbenen zu befragen, um einen kurzen, unzureichenden Nachruf zu schreiben, den sowieso niemand außer den Verwandten wirklich lesen würde. Aber es wäre natürlich undenkbar gewesen, diesen Job ab zu schaffen, einer müsse ihn ja eben machen.

       Der aalglatte Franzose begann, über die Gefühle zu philosophieren, die in einem ausgelöst wurden, wenn jemand Namen von verstorbenen Personen Tag für Tag auf Papier drucken und an deren Angehörige denken musste.

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       Emanuel hatte sich mittlerweile, im Laufe seines Monologs, neben Kurt gesetzt und rückte langsam, fast unmerklich immer näher, während seine Hand gleichzeitig in Richtung Kurts rechten Oberschenkels steuerte. Sein Lächeln wurde jede Sekunde breiter; er dachte, er hätte leichtes Spiel mit diesem – anscheinend mit irgendwelchen

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