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Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten. Ernst Tegethoff
Читать онлайн.Название Französische Volksmärchen in deutscher Sprache - 583 Seiten
Год выпуска 0
isbn 9783742762917
Автор произведения Ernst Tegethoff
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
und auch Moraut, der Bertha das Leben gerettet
hatte, erhielt reichen Lohn.
4. Parthonopeus und Meliur
König Chlodwig jagte einst mit seinem Neffen Parthonopeus
im Ardennerwalde. Ein Eber floh vor dem
Jüngling und lockte ihn immer tiefer in den Wald hinein.
In der Irre tappend gelangte er schließlich zum
Ufer des Meeres. Hier fand er eine herrlich geschmückte
Barke liegen. Der Jüngling hoffte, auf diesem
Schiffe an den Hof seines Oheims zurückkehren
zu können oder doch zum wenigsten zu erfahren, wo
er sei. Aber wie groß war sein Erstaunen, als er keine
lebendige Seele auf dem Schiff antraf. Er zog sein
Roß hinter sich her, streckte sich ermüdet auf dem
Deck aus und schlummerte ein. Als er die Augen wieder
öffnete, war kein Land noch Wald mehr zu erblikken,
nur Himmel und Wasser, und ein heftiger Wind
schwellte die Segel. Lieber wäre Parthonopeus noch
im Walde gewesen, denn die Gefahren des Landes
sind geringer als die des Meeres. Als aber die Sonne
aufging und er das Wunderwerk betrachtete, das ihn
trug, wurde er ruhiger. Die ganze Ausrüstung der
Barke war von Seide und ein strahlender Glanz durchfloß
ihr Inneres. Schneller als der Hirsch vor dem
Jagdhund flieht, glitt das Fahrzeug durch die Wellen
und landete abends von selbst am Fuße eines Bergschlosses.
Parthonopeus stieg aus und führte sein
Reittier, das ebenso abgemagert war wie er selber, am
Zaume nach.
Die hohen Mauern der Feste waren aus rotem und
weißem Marmor erbaut, der schachbrettartig wechselte.
Der Hafen war groß und tief, wohl hundert Schiffe
hätte er gefaßt, rechts und links davon dehnte sich ein
unbebauter Sandplatz aus. Durch einen hohen und
breiten Turm, der so weiß war wie Elfenbein, betrat
der Jüngling die Stadt. Eine Straße, zu deren Seiten
marmorne Paläste mit goldenen Dächern in der Sonne
glänzten, führte zum Schloß hinauf. Parthonopeus
glaubte zu träumen, bald dünkte ihn das alles ein
Trug der Hölle, bald vermeinte er im Paradiese zu
wandeln, nur sein knurrender Magen mahnte ihn an
die Wirklichkeit. Unter dem Schirmdach des Schloßtores
war ein Mosaik aus Gold, das Sonne, Mond und
Sterne und die Heldentaten der Alten darstellte. Weit
öffneten sich die Tore des Palastes und Parthonopeus
durchschritt eine Anzahl prächtiger Säle, bis er in
einen gelangte, in welchem ein reiches Mahl gedeckt
worden war. Große Kerzen brannten im Saale, Messer,
Löffel, Becher und Gold- und Silberschalen standen
auf der Tafel, aber in der ganzen Stadt war kein
lebendes Wesen zu erblicken, kein Ritter und keine
Dame saß am Tisch, keine Harfe und keine Geige ließ
ihre Saiten erklingen. Der Hunger nötigte den Jüngling,
daß er beschloß, von den bereitstehenden Spei-
sen zu kosten. Sogleich bot ihm eine unsichtbare
Hand ein Becken mit Wasser und eine andere ein
Handtuch dar, und als er sich die Hände gewaschen
hatte, setzte er sich auf den Ehrensitz der Tafel, denn
inmitten des höllischen Spuks und Blendwerks blieb
er sich bewußt, daß er aus königlichem Stamme geboren
sei. Von selbst stellten sich die Schüsseln vor ihn,
und wenn er von einem Gerichte genommen hatte,
wurden die Platten wieder von ebenso unsichtbaren
Händen abgetragen. Feenhafte Schenken gossen roten
Wein in goldene Schalen, mit welchen sie den Becher
des Jünglings füllten, der aus einem einzigen Safir bestand,
den ein funkelnder Rubin bedeckte. Nach dem
Mahle wurden ihm wieder Wasserbecken und Tücher
gereicht und dann ein Würzwein aufgetischt. Parthonopeus
fühlte den Schlaf nahen und trat zum Ausgang
des Saales. Sogleich erschienen zwei brennende Kerzen,
die ihn zu einem reichgeschmückten Lager führten.
Die Decke war aus dem Pelze eines Salamanders
gefertigt, der nur im Feuer leben kann, und der Teppich
vor dem Bette bestand aus Federn des Vogels
Phönix, das ganze Gemach aber war mit Porphyr eingelegt.
Parthonopeus setzte sich in einen Lehnstuhl,
um sich die goldenen Sporen abzunehmen, aber schon
war ihm eine dienende Hand zuvorgekommen, die ihn
entkleidete.
Kaum hatte er sich in die Decke gehüllt, als alle
Kerzen erloschen und das Gemach so dunkel wurde,
wie es zuvor in Helle gestrahlt hatte. Den Jüngling
lähmte ein unbeschreibliches Grauen, aber er konnte
nicht schlafen. Mit einem Male kam ein Mensch ans
Bett, Schritt vor Schritt, leise, leise. Parthonopeus
fürchtete, es möge der Böse selber sein, aber es war
eine Jungfrau, welche die Bettdecke lüpfte und sich
neben ihn legte. Er hielt sich ganz ruhig und drückte
sich zur Seite, aber auf einmal berührte ihn das Fräulein
mit dem Fuße und rief: »Wie? Wer bist du? Bin
ich betrogen? Mein ist dies Reich, wie wagtest du,
ohne meine Erlaubnis deinen Fuß in meinen Palast zu
setzen und dich obendrein in mein Bett zu legen?«
Der Jüngling erzählte, durch welche seltsame Reihe
von Abenteuern er hierher gekommen sei und entschuldigte
sich damit, daß er niemanden gesehen
habe, den er um Erlaubnis hätte fragen können.
»Frau,« bat er, »habt Erbarmen mit mir! Ich weiß
nicht, wohin ich mich wenden soll, wenn Ihr mich
verstoßt. Ich bin Euer Gefangener, Frau, beschließt
über mein Leben oder meinen Tod!« Sie aber bestand
darauf, daß er gehen solle und drohte, ihre Ritter zu
rufen. »Frau,« flehte er wieder, »ich kann nicht mehr
gehen, ich bin zu müde. Macht mit mir, was