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Er hatte schlicht keine Lust mehr, darüber nachzudenken.

      „Ihr nicht richtig zuhören“, liess sich nun Walda vom Bett aus vernehmen.

      Matu drehte sich zu ihm um. „Ach ja? Wir verstehen Nala also nicht? Und du, der nicht einmal unsere Sprache richtig sprechen kann, willst wissen, was sie meint?“, höhnte er.

      Entweder verstand Walda den bissigen Spott nicht, oder er liess sich nichts anmerken. „Sie nicht sagen, ihr nicht gehen“, antwortete er ruhig. „Sie nur nicht wollen … ah … wissen.“

      Matu wollte schon zu einer weiteren Bemerkung ansetzen, doch Karo unterbrach ihn, indem er ihm die Hand auf den Arm legte. „Ich denke, Walda hat Recht“, sagte er. „Erinnerst du dich? Du hast doch gesagt, am liebsten würdest du selber in den Süden gehen, und genau in dem Moment steht sie auf, lächelt, sagt, sie wolle kein Wort davon hören, und geht hinaus. Vielleicht will sie ja wirklich, dass wir gehen.“

      Man sah förmlich, wie es in Matus Kopf arbeitete. Schliesslich verzog er zweifelnd das Gesicht. „Und warum kann sie nicht geradeheraus sagen, was sie denkt?“, fragte er.

      „Weil sie eine Erwachsene ist, du Höhlenbewohner. Sie kann doch unmöglich dem Ältesten in den Rücken fallen. Aber sie hätte nichts dagegen, wenn wir gingen, da bin ich mir fast sicher.“

      „Und was heisst das jetzt für uns?“

      Das, dachte Karo, ist die entscheidende Frage. Ich gäbe viel für eine Antwort darauf.

      9

      In den folgenden Tagen blieb das Wetter nasskalt und es gab für Alle wenig zu tun. So blieb Karo viel freie Zeit, die er zum grössten Teil bei Walda verbrachte. Noch immer traf er den Fremden oft in Trauer versunken an, doch sobald Karo in der Hütte auftauchte, setzte er eine gezwungen heitere Miene auf und liess sich bereitwillig in ein Gespräch verwickeln. Täglich wurden seine Sprachkenntnisse besser, lediglich seinen schweren Akzent konnte er nicht ganz ablegen. Auch Matu besuchte sie, wann immer er im Unterdorf abkömmlich war.

      Ihr Eindruck, dass Nala es begrüssen würde, wenn sie sich zur Reise in den Süden entschlössen, verdichtete sich immer mehr zur Gewissheit. Immer wenn ihr Gespräch eine Wendung in diese Richtung nahm, stand sie auf, verschwand im Nebenraum und klapperte auffällig laut mit irgendwelchen Töpfen. Sie äusserte sich zwar nie zum Thema, aber wie sie das machte, war schon sehr auffällig.

      Endgültige Sicherheit erhielt Karo, als ihn die Heilerin eines Abends am Südtor abfing und ihm einen grossen Lederbeutel in die Hand drückte. „Hier“, sagte sie.

      Neugierig öffnete er den Beutel. Darin befanden sich etwa ein halbes Dutzend verschlossene Tontöpfchen und ebenso viele kleine Stoffsäckchen, die leicht knisterten, als er in den Beutel griff. „Medizin“, beantwortete Nala seinen fragenden Blick. „Grosse Jungs wie du entfernen sich ja gern einmal von ihrem Dorf, und dann bist du unter Umständen froh darüber.“ Anschliessend setzten sie sich an die Aussenmauer der Dorfumfriedung unter einen Vorsprung, der sie vor dem Nieselregen schützte, und Nala erklärte ihm in aller Ruhe die Anwendung der verschiedenen Arzneien. Auch wenn sie dabei kein Wort über den Süden verlor, so war Karo doch, als hätten sie in diesem Moment einen Pakt geschlossen.

      Am nächsten Tag waren Karo und Matu zum Ziegenhüten eingeteilt. Sie trieben die Tiere auf der Nachtkoppel zusammen und führten die kleine Herde dann gemächlich auf einen nahen, noch nicht abgeweideten Hügel. Noch immer war es kalt, doch immerhin regnete es nicht mehr.

      Während sie am Waldrand sassen und den Tieren beim Grasen zusahen, plapperte Matu wie üblich munter drauflos. Er erzählte davon, dass das Unterdorf sich entschieden habe, nach der Aussaat ins Hauptdorf umzuziehen, dass seine grosse Schwester dann mit Lomo, dem Enkel von Boro zusammenziehen wolle und dass ihm selber Vira, die Schwester von Karo, sehr gefalle. „Ich glaube, ich gefalle ihr auch. Auf jeden Fall lächelt sie immer und wird rot, wenn wir uns begegnen.“

      „Mmh“, antwortete Karo nur.

      „Hör mal“, entrüstete sich Matu. „Ich gestehe dir gerade, dass ich mich in deine Schwester verliebt habe, und alles, was du dazu sagst, ist ‚Mmh’?“

      Karo ging nicht darauf ein, sondern sagte stattdessen: „Wir müssen endlich ernsthaft über die Reise reden.“

      „Welche Reise?“, fragte Matu dümmlich zurück.

      „Du weisst, was ich meine.“

      „Ach so, DIE Reise.“ Dann, nach einem Moment des Schweigens, fuhr er fort: „Du willst also wirklich gehen?“

      Von Wollen konnte keine Rede sein. Doch je intensiver er in den vergangenen Tagen darüber nachgedacht hatte, desto wichtiger schien es ihm, das Abenteuer zu wagen. Die Begegnung mit Nala am Vorabend hatte schliesslich den Ausschlag gegeben: Er würde gehen, notfalls auch allein.

      All das erzählte er Matu und wartete anschliessend gespannt auf dessen Antwort. Lange sagte sein Freund kein Wort. Er starrte nur Löcher in die Wolken und kaute geistesabwesend auf dem Grashalm herum, den er sich zwischen die Lippen gesteckt hatte. Endlich wandte er sich zu Karo um, schaute ihm offen in die Augen und sagte: „In Ordnung, ich bin dabei.“

      Karo war unendlich erleichtert. Die Vorstellung, alleine auf Wanderschaft gehen zu müssen, hatte ihm mehr Angst gemacht als er zugegeben hätte. „Übrigens“, sagte er, „Vira findet dich auch ganz toll, weiss der Geier warum. Aber das muss wohl warten, bis wir aus dem Süden zurück sind.“

      Sie beschlossen, direkt nach der Aussaat aufzubrechen. Einerseits, weil sie ihr Volk während der anstrengendsten Zeit des Jahres nicht im Stich lassen wollten, andererseits, weil ihnen so noch einige Zeit blieb, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Ausserdem hofften sie, dass ihr Verschwinden für eine Weile unbemerkt bleiben würde, wenn sie aufbrachen, während alle damit beschäftigt waren, den Unterdörflern beim Umzug ins Hauptdorf zu helfen. In dieser Zeit würde niemand so genau wissen, wer gerade wo war, und das sollte ihnen einen Tag Vorsprung geben. Jedenfalls rechneten sie sich das so aus.

      "Noch etwas", sagte Karo, während er aufstand, um einer Ziege zu Hilfe zu eilen, die sich im dichten Brombeerbuschwerk am Waldrand verheddert hatte. "Das muss unter uns bleiben. Walda und Nala ahnen zwar etwas, aber dabei sollten wir es belassen." Mit diesen Worten liess er Matu allein und befreite das Tier aus seiner misslichen Lage.

      Am nächsten Tag drückte die Sonne durch und vertrieb die Wolken. Zwei Tage später waren die Böden soweit abgetrocknet, dass die Feldarbeit beginnen konnte. Boro rief beide Dörfer für den nächsten Morgen bei Sonnenaufgang auf dem grossen Innenhof zusammen, um die Arbeiten einzuteilen.

      Karo staunte nicht schlecht, als er Walda aus Nalas Hütte treten sah. Die Heilerin wollte ihn zwar zurück bugsieren, doch er liess sich nicht abschieben. "Ich auch helfen wollen" raunte er ihr so laut zu, dass es alle auf dem Platz verstanden.

      Er hätte wohl besser auf Nala gehört, denn schon nach kurzer Zeit auf dem Weizenfeld, wo sie Steine auflasen, die der Winterfrost nach oben gearbeitet hatte, stand ihm der Schweiss auf der Stirn. Mit fast jedem Schritt schien es, als falle es ihm schwerer, das verletzte Bein zu beugen. Doch selbst jetzt noch wies er störrisch sämtliche Angebote, er solle sich ein wenig ausruhen, zurück. Erst als es darum ging, den mittlerweile vollen Korb mit den Steinen am Feldrand auszuleeren, liess er sich von Karo helfen.

      Doch mit jedem Tag wurde Walda kräftiger, und bis alle Felder bestellt waren, stand er den anderen Dorfbewohnern in nichts mehr nach. Nur manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlte, verzog er das Gesicht in stillem Schmerz. Abends, wenn sie sich müde von den Äckern heimschleppten, sah man auch, wie er immer noch leicht hinkte.

      Karo nutzte die Zeit auf dem Feld, um möglichst viele Informationen zu sammeln. Einmal liess er sich in Arus Gruppe einteilen, weil der alte Jäger gern damit angab, schon weit herumgekommen zu sein. Während sie die grossen Erdklumpen, die nach dem Pflügen übrig geblieben waren, mit Spitzhacken zerkleinerten, fragte er ihn so behutsam wie möglich aus, damit dieser keinen Verdacht

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