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früh, und Mrs. Vane musste sie bis zum Abendessen vertrösten. Es war halb sieben, als sie von hier abgefahren ist.“

      „Ich hoffe, du kommst heute Abend nicht zu spät, Isabel.“

      „Das hängt von Mrs. Vane ab.“

      „Dann wird es sicher spät. Wenn die jungen Damen in dieser unserer modischen Welt die Nacht zum Tage machen, ist das schlecht für ihre frische Röte. Was sagen Sie dazu, Mr. Carlyle?“

      Mr. Carlyle sah die frische Röte auf den Wangen gegenüber am Tisch; sie sah so leuchtend aus, dass sie nicht schnell verblassen konnte.

      Als das Abendessen zu Ende war, trat ein Dienstmädchen ein. Sie hatte einen weißen Kaschmirmantel in der Hand, legte ihn über die Schultern der jungen Dame und sagte, der Wagen stehe bereit.

      Lady Isabel ging zum Earl. „Auf Wiedersehen, Papa.“

      „Gute Nacht, mein Liebes“, antwortete er, zog sie an sich und küsste ihr liebliches Gesicht. „Sage Mrs. Vane, ich möchte nicht, dass du bis zum frühen Morgen ausgehst. Du bist noch ein Kind. Mr. Carlyle, würden Sie läuten? Mir ist es verwehrt, meine Tochter zum Wagen zu begleiten.“

      „Wenn Eure Lordschaft mir gestatten würden – wenn Lady Isabel es mir verzeiht, dass jemand sie begleitet, der es kaum gewohnt ist, jungen Damen aufzuwarten, wäre es mir ein Vergnügen, sie zum Wagen zu bringen“, war seine ein wenig verwirrte Antwort auf Mr. Carlye, während er die Glocke betätigte.

      Der Earl dankte ihm und die junge Dame lächelte. Mr. Carlye führte sie durch das breite, erleuchtete Treppenhaus hinunter, stand barhäuptig an der Tür der luxuriösen Kutsche und half ihr beim Einsteigen. Sie streckte in ihrer geradlinigen, angenehmen Art die Hand aus und wünschte ihm eine gute Nacht. Die Kutsche rollte davon, und Mr. Carlyle kehrte zum Earl zurück.

      „Nun, ist sie nicht ein hübsches Mädchen?“, wollte er wissen.

      „Hübsch ist nicht das richtige Wort für eine solche Schönheit“, antwortete Mr. Carlyle mit leiser, warmer Stimme. „Ich habe nie ein Gesicht gesehen, das auch nur halb so schön gewesen wäre.“

      „Sie hat letzte Woche im Salon ziemliches Aufsehen erregt – jedenfalls habe ich das gehört. Diese ewige Gicht hält mich die ganze Zeit hier drinnen fest. Übrigens ist sie so gut, wie sie schön ist.“

      Der Earl übertrieb nicht. Lady Isabel war von der Natur auf wundersame Weise beschenkt worden, und das nicht nur in Geist und Charakter, sondern auch im Herzen. Eine modische junge Dame war sie so wenig, wie es überhaupt möglich war, zum Teil weil man sie bisher von der weiten Welt abgeschirmt hatte, zum Teil aber auch wegen ihrer gewissenhaften Erziehung. Zu Lebzeiten ihrer Mutter war sie gelegentlich in East Lynne gewesen, meist aber auf Mount Severn, dem größeren Landsitz des Earl in Wales. Nachdem ihre Mutter gestorben war, hatte sie sich ausschließlich auf Mount Severn aufgehalten, und zwar unter der Obhut einer umsichtigen Gouvernante in einem sehr kleinen Haushalt, der für sie unterhalten wurde, wobei der Earl ihnen nur gelegentlich spontane, flüchtige Besuche abstattete. Sie war großzügig und wohlwollend, bis zu einem gewissen Grade furchtsam und sensibel und zu allen freundlich und rücksichtsvoll. Man sollte nicht darüber nörgeln, dass sie so gepriesen wird – bewundern und lieben wir sie lieber, denn jetzt, in ihrer arglosen Mädchenhaftigkeit, hat sie es verdient; die Zeit wird kommen, da solches Lob fehl am Platze wäre. Hätte der Earl vorhersehen können, welches Schicksal dieses Kind ereilen würde, er hätte es vorgezogen, sie in seiner Liebe so, wie sie vor ihm stand, totzuschlagen, statt zu dulden, dass sie es auf sich nahm.

      Lady Isabels Kutsche setzte ihren Weg fort und brachte sie zum Wohnsitz von Mrs. Levison. Die Dame war fast achtzig Jahre alt und in Sprache und Betragen sehr ernst oder, wie Mrs. Vane es ausdrückte, „griesgrämig“. Als Isabel eintrat, sah Mrs. Levison aus wie der Inbegriff der Ungeduld: Ihre Haube war schief aufgesetzt, und sie nestelte an ihrem schwarzen Satinkleid. Mrs. Vane hatte sie beim Abendessen warten lassen, und Isabel hielt sie vom Tee ab; so etwas verträgt sich nicht mit den Alten, mit ihrer Gesundheit oder ihrer Laune.

      „Ich fürchte, ich komme spät“ rief Lady Isabel aus, während sie auf Mrs. Levison zuging, „aber heute hat ein Gentleman mit Papa zu Abend gegessen und uns etwas länger am Tisch festgehalten.“

      „Du bist fünfundzwanzig Minuten über die Zeit“, rief die alte Dame streng, „und ich will meinen Tee. Emma, bestelle ihn.“

      Mrs. Vane läutete und tat, wie man sie geheißen hatte. Sie war eine kleine Frau von sechsundzwanzig Jahren mit sehr schlichtem Gesicht, aber elegant in ihrer Erscheinung, sehr verfeinert und eitel bis in die Fingerspitzen. Ihre verstorbene Mutter war Mrs. Levisons Tochter gewesen, und ihr Ehemann Raimond Vane war der mutmaßliche Erbe des Adelsgeschlechts von Mount Severn.

      „Möchtest du nicht diese Pelerine ablegen, Kind?“, fragte Mrs. Levison; von den neumodischen Namen für solche Kleidungsstücke – Mäntel, Burnusse und dergleichen – verstand sie nichts; Isabel warf den Mantel ab und setzte sich neben sie.

      „Der Tee ist noch nicht zubereitet, Großmutter!“, rief Mrs. Vane in erstauntem Tonfall, als die Dienerin mit dem Tablett und der Silberkanne erschien. „Du willst ihn doch sicher nicht im Zimmer zubereiten lassen.“

      „Wo soll ich ihn denn sonst zubereiten lassen?“, erkundigte sich Mrs. Levison.

      „Es ist doch viel bequemer, ihn fertig hereinbringen zu lassen“, sagte Mrs. Vane. „Es ist so embarrassée, ihn zuzubereiten.“

      „Ach, wirklich!“, war die Antwort der alten Dame; „und dann schwappt er in den Untertassen über und ist kalt wie Milch! Du warst immer faul, Emma – und du neigst dazu, diese französischen Wörter zu verwenden. Ich für mein Teil würde mir ein gedrucktes Etikett ‚Ich spreche Französisch‘ auf die Stirn kleben und es so die ganze Welt wissen lassen.“

      „Wer macht dir im Allgemeinen den Tee?“, fragte Mrs. Vane und warf Isabel hinter dem Rücken ihrer Großmutter einen verächtlichen Blick zu.

      Aber Lady Isabel senkte furchtsam die Augen, und auf ihren Wangen erschien ein leuchtendes Rosa. Sie mochte es nicht, wenn es aussah, als würde sie sich von Mrs. Vane, ihrer Aufsichtsperson und dem Gast ihres Vaters, unterscheiden, aber ihr Inneres lehnte sich gegen den Gedanken auf, gegenüber einem betagten Familienmitglied Undankbarkeit oder Spott zu zeigen.

      „Harriet kommt und bereitet ihn für mich zu“, erwiderte Mrs. Levison. „Ja, und sie setzt sich auch zu mir und trinkt ihn mit mir, wenn ich allein bin, was recht oft vorkommt. Was sagen Sie dazu, Madame Emma – Sie, mit Ihren feinen Vorstellungen?“

      „Wie es dir beliebt, natürlich, Großmutter.“

      „Und da steht der Teewagen neben deinem Ellenbogen, und die Kanne dampft, und wenn wir heute Abend noch Tee trinken wollen, sollte man ihn besser zubereiten.“

      „Ich weiß nicht, wie viel ich hineingeben soll“, murrte Mrs. Vane. Sie hatte die größte Abscheu davor, ihre Hände oder die Handschuhe zu beschmutzen; kurz gesagt, hegte sie eine ganz besondere Abneigung dagegen, irgendetwas Nützliches zu tun.

      „Soll ich ihn zubereiten, liebe Mrs. Levison?“, fragte Isabel und erhob sich voller Eifer. „Früher habe ich den Tee ebenso oft gemacht wie meine Gouvernante in Mount Severn, und ich mache ihn auch für Papa.“

      „Tuʼ das, Kind“, erwiderte die alte Dame. „Du bist so viel wert wie zehn von der da.“

      Isabel lachte vergnügt, legte die Handschuhe ab und setzte sich an den Tisch; in diesem Augenblick schlenderte ein junger, eleganter Mann ins Zimmer. Mit seinen scharf geschnittenen Gesichtszügen, den dunklen Augen, den rabenschwarzen Haaren und den weißen Zähnen musste man ihn als gut aussehend bezeichnen; für den aufmerksamen Beobachter hatten diese Eigenschaften allerdings keinen anziehenden Ausdruck, und die dunklen Augen hatten die starke Eigenart, wegzusehen, wenn er mit jemandem sprach. Es war Francis, Captain Levison.

      Er war ein Enkel der alten Dame und Cousin ersten Grades von Mrs. Vane. Die wenigsten

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