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Das Geheimnis von East Lynne. Ellen Wood
Читать онлайн.Название Das Geheimnis von East Lynne
Год выпуска 0
isbn 9783754113479
Автор произведения Ellen Wood
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Mein Vater“, lächelte Mr. Carlyle. „Ich war damals noch ein Kind.“
„Natürlich, ich hätte sagen sollen, Ihr Vater. Wenn ich East Lynne verkaufe, bekomme ich ein paar tausend in die Hand, nachdem die Ansprüche daran befriedigt sind; ich habe kein anderes Mittel, um Wind in meine Segel zu bekommen, und deshalb habe ich mich entschlossen, mich davon zu trennen. Aber eines müssen Sie verstehen: Wenn allgemein bekannt wird, dass East Lynne nicht mehr mir gehört, habe ich die Hornissen um die Ohren; das Ganze muss also vollkommen diskret ablaufen. Verstehen Sie das?“
„Vollkommen“, erwiderte Mr. Carlyle.
„Ich nehme an, Sie würden es ebenso schnell kaufen wie irgendein anderer, falls wir uns, wie Sie sagen, auf die Konditionen einigen können.“
„Was erwarten Eure Lordschaft dafür – als grobe Schätzung?“
„Was die Einzelheiten angeht, muss ich Sie an meine geschäftlichen Vertreter Warburton & Ware verweisen. Nicht weniger als siebzigtausend Pfund.“
„Zu viel, Mylord“, rief Mr. Carlyle entschieden.
„Das ist noch nicht einmal sein Wert“, gab der Earl zurück.
„Bei solchen Notverkäufen wird nie der wahre Wert erzielt“, antwortete der Anwalt unverblümt. „Bevor mir Beauchamp den Hinweis gab, hatte ich gedacht, East Lynne sei für die Tochter Eurer Lordschaft vorgesehen.“
„Für sie ist nichts vorgesehen“ antwortete der Earl, wobei sich das Runzeln seiner Stirn deutlicher zeigte. „Das kommt von euren gedankenlosen Weglauf-Ehen. Ich habe mich in die Tochter von General Conway verliebt, und sie ist mit mir weggelaufen wie ein Trottel; das heißt, was die Unannehmlichkeiten angeht, waren wir beide Trottel. Der General hatte etwas gegen mich und sagte, ich müsse mir die Hörner abstoßen, bevor er mir Mary geben könne; also habe ich sie mit nach Gretna Green genommen, und sie wurde ohne Ehevertrag zur Gräfin von Mount Severn. Wenn man alles zusammennimmt, war es eine unglückselige Affäre. Als der General erfuhr, dass sie durchgebrannt war, hat es ihn umgebracht.“
„Umgebracht!“, warf Mr. Carlyle ein.
„Ja, wirklich. Er war herzkrank, und die Aufregung hat zur Krise geführt. Von diesem Augenblick an war meine arme Ehefrau nie mehr glücklich; sie machte sich selbst für den Tod ihres Vaters verantwortlich, und ich glaube, das führte dazu, dass auch sie starb. Sie war jahrelang krank; die Ärzte nannten es Schwindsucht; aber es war eher ein gefühlloses Dahinschwinden, und die Schwindsucht war in ihrer Familie nie vorgekommen. Weglauf-Ehen sind nie vom Glück gesegnet; das ist mir seither in vielen, vielen Fällen aufgefallen; so etwas wendet sich immer zum Schlechten.“
„Man hätte auch nach der Eheschließung noch einen Vertrag schließen können“, warf Mr. Carlyle ein, denn der Earl schwieg und schien seinen Gedanken nachzuhängen.
„Ich weiß; aber es geschah nicht. Meine Frau und ich besaßen kein Vermögen; ich war in meiner Laufbahn der Ausschweifungen schon weit vorangekommen, und keiner von uns dachte daran, für zukünftige Kinder vorzusorgen; oder wenn wir daran dachten, taten wir es nicht. Ein altes Sprichwort, Mr. Carlyle, sagt: Was man jederzeit tun kann, wird nie getan.“
Mr. Carlyle verbeugte sich.
„Mein Kind ist also mittellos“, fuhr der Earl mit einem unterdrückten Seufzen fort. „Wenn ich in ernster Stimmung bin, geht mir immer wieder der Gedanke durch den Kopf, wie peinlich es für sie sein könnte, wenn ich sterbe, bevor sie im Leben ihren Platz gefunden hat. Sie wird gut heiraten, daran gibt es wenig Zweifel, denn sie besitzt Schönheit in seltenem Maße und ist ohne Leichtsinn oder Ziererei aufgewachsen, wie es sich für ein englisches Mädchen gehört. In den ersten zwölf Jahren ihres Lebens wurde sie von ihrer Mutter erzogen, und die war abgesehen von der törichten Handlung, zu der ich sie überredet habe, die Güte und Vornehmheit selbst; danach gab es eine bewundernswerte Gouvernante. Keine Angst, sie wird nicht nach Gretna Green flüchten.“
„Sie war ein sehr liebenswertes Kind“, stimmte der Anwalt zu. „Daran erinnere ich mich.“
„Jaja; Sie haben sie in East Lynne zu Lebzeiten ihrer Mutter gesehen. Aber kommen wir zurück aufs Geschäftliche. Wenn Sie der Käufer des Anwesens East Lynne werden, Mr. Carlyle, muss es unter dem Siegel der Verschwiegenheit geschehen. Das Geld, das es mir bringt, nachdem ich die Hypothek abgelöst habe, muss ich, wie ich Ihnen gesagt habe, für meine privaten Zwecke nutzen; und Sie wissen, dass ich keinen Farthing davon sehen werde, wenn die breite Öffentlichkeit das Geringste von der Transaktion erfährt. In den Augen der Welt muss Lord Mount Severn der Eigentümer von East Lynne sein – zumindest noch für kurze Zeit danach. Vielleicht haben Sie dagegen keine Einwände.“
Mr. Carlyle dachte nach, bevor er antwortete; dann wurde das Gespräch wieder aufgenommen und man einigte sich darauf, dass er am nächsten Morgen als Erstes bei Warburton und Ware vorsprechen und sich mit ihnen beraten würde. Als er sich erhob und gehen wollte, war es schon spät.
„Bleiben Sie und essen Sie mit mir zu Abend“, sagte der Earl.
Mr. Carlyle zögerte und blickte an seiner Kleidung herunter – einem einfachen, eines Gentlemans würdigen Morgenanzug, der aber sicher nicht das richtige Gewand für ein Abendessen am Tisch eines Adligen war.
„Ach, das macht nichts“, sagte der Earl. „Wir werden ganz allein sein, abgesehen von meiner Tochter. Mrs. Vane vom Castle Marling wohnt bei uns. Sie ist gekommen und hat mein Kind mit in den Salon gebracht, aber soweit ich gehört habe, wird sie heute auswärts essen. Wir werden also ganz unter uns sein. Gestatten sie mir zu läuten, Mr. Carlyle.“
Der Diener trat ein.
„Fragen Sie, ob Mrs. Vane zu Hause speist“, sagte der Earl.
„Mrs. Vane speist außer Haus, Mylord“, lautete die sofortige Antwort des Mannes. „Der Wagen steht schon vor der Tür.“
„Sehr gut. Mr. Carlyle bleibt hier.“
Um sieben Uhr wurde das Abendessen angekündigt, und der Earl rollte ins Nachbarzimmer. Als er mit Mr. Carlyle durch die eine Tür hereinkam, trat jemand anderes auf der gegenüberliegenden Seite ein. Wer – was – war es? Mr. Carlye sah hin und war sich nicht ganz sicher, ob er ein menschliches Wesen vor sich hatte – fast dachte er, es sei ein Engel.
Eine leichte, grazile, mädchenhafte Gestalt; ein Gesicht von überragender Schönheit, einer Schönheit, wie man sie nur selten sieht, außer in der Fantasie eines Malers; dunkle, glänzende Locken, glatt wie die eines Kindes, fielen über Hals und Schultern. Helle, zarte, mit Perlen geschmückte Arme und ein fließendes Gewand mit kostbaren weißen Bändern. Der ganze Anblick wirkte auf den Anwalt, als käme er aus einer besseren Welt.
„Meine Tochter, Mr. Carlyle, die Lady Isabel.“
Sie nahmen ihre Plätze am Tisch ein. Lord Mount Severn saß trotz seiner Gicht und seines Fußschemels am Kopf, die junge Dame und Mr. Carlyle einander gegenüber. Mr. Carlyle hatte sich selbst nie für einen besonderen Bewunderer weiblicher Schönheit gehalten, aber die außergewöhnliche Anmut der jungen Frau vor ihm raubte ihm fast die Sinne und die Selbstbeherrschung. Und doch faszinierte ihn weniger der vollkommene Umriss der außergewöhnlichen Züge oder das Damastweiß der zarten Wangen oder die üppig fallenden Haare; nein, es war der liebenswürdige Ausdruck der weichen, dunklen Augen. Nie in seinem Leben hatte er so angenehme Augen gesehen. Er konnte den Blick nicht von ihr wenden, und als er sich mit ihrem Gesicht vertraut gemacht hatte, wurde ihm klar, dass in ihrem Charakter ein trauriger, bekümmerter Zug lag; man bemerkte ihn nur hin und wieder, wenn die Gesichtszüge entspannt waren, und dann vorwiegend in den Augen, die er so bewunderte. Ein solcher unbewusst bekümmerter Ausdruck zeigt sich nur dann, wenn er ein sicheres Kennzeichen für Kummer und Leid ist; aber das verstand Mr. Carlyle nicht. Und wer würde Kummer schon mit der voraussichtlich glänzenden Zukunft von Isabel Vane in Verbindung