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besser sofort.“

      Er nahm ihre Hand und führte sie zum Wagen. Die Bediensteten hatten sich in der Diele versammelt und warteten auf sie. Einige waren in den Diensten ihres Vaters grau geworden. Sie streckte die Hand aus, bemühte sich, ein Wort des Dankes und des Abschieds zu sagen, und glaubte zu ersticken, als sie das Schluchzen herunterschlucken wollte. Schließlich war es vorüber; ein freundlicher Blick in die Runde, ein sehnsuchtsvolles Winken, und sie ging mit Mr. Carlyle weiter.

      Pound war auf seinen Platz neben Marvel geklettert, und die Stallburschen warteten auf das Abfahrtssignal, aber Mr. Carlyle öffnete noch einmal die Tür der Kutsche, beugte sich hinein und hielt ihre Hand fest.

      „Ich habe kein Wort des Dankes für Ihre ganze Freundlichkeit gesagt, Mr. Carlyle“, rief sie, und ihr Atem ging schwer. „Sie haben sicher gesehen, dass ich es nicht konnte.“

      „Ich wünsche mir, ich hätte mehr tun können; ich wünsche mir, ich hätte Sie vor den Belästigungen abschirmen können, die Sie zu ertragen gezwungen waren!“, erwiderte er. „Falls wir uns nie wiedersehen …“

      „Oh, wir werden uns wiedersehen“, unterbrach sie ihn. „Sie haben Lord Mount Severn ein Versprechen gegeben.“

      „Das stimmt; also werden wir uns beiläufig wiedersehen – irgendwann einmal; aber unsere gewöhnlichen Lebenswege liegen weit auseinander. Gott segne Sie für immer, liebe Lady Isabel!“

      Die Stalljungen trieben ihre Pferde an, und die Kutsche nahm Fahrt auf. Isabel zog die Vorhänge zu und lehnte sich in tränenreichem Schmerz zurück – Tränen für das Haus, das sie verließ, Tränen für den Vater, den sie verloren hatte. Ihre letzten Gedanken waren Gedanken der Dankbarkeit für Mr. Carlyle gewesen; aber sie hatte mehr Grund, ihm dankbar zu sein, als sie bisher wusste. Die Gefühle hatten sich bald verbraucht, und als ihre Augen wieder klar wurden, sah sie ein Stück zerknülltes Papier auf ihrem Schoß liegen – offensichtlich war es ihr aus der Hand gefallen. Mechanisch griff sie danach und faltete es auseinander: Es war eine Banknote über hundert Pfund.

      Mancher Leser wird nun meinen, dies sei literarische Romantik, und eine an den Haaren herbeigezogene noch dazu, aber es ist tatsächlich vollkommen wahr. Mr. Carlyle hatte den Geldschein gezielt zu diesem Zweck am Morgen mit nach East Lynne gebracht.

      Lady Isabel traute ihren Augen kaum; sie bestaunte die Banknote – starrte sie immer und immer wieder an. Woher kam sie? Wie war sie dorthin gelangt? Plötzlich schoss ihr die unbezweifelbare Wahrheit durch den Kopf: Mr. Carlyle hatte sie ihr in die Hand gedrückt.

      Ihre Wangen brannten, ihre Finger zitterten, ihr Geist erhob sich in wütender Abwehr. Im ersten Augenblick der Entdeckung war sie bereit, das Geld als Beleidigung zurückzuweisen; aber als sie sich an die nüchternen Tatsachen der letzten Tage erinnerte, schwand ihre Wut und wurde zur Bewunderung für seine großartige Freundlichkeit. Wusste er, dass sie kein Zuhause hatte, welches sie das ihre nennen konnte, und kein Geld – absolut kein Geld außer dem, das er ihr aus Barmherzigkeit gegeben hatte?

      Als Lord Mount Severn nach London und zu dem Hotel kam, in dem die Vanes abzusteigen pflegten, war das Erste, worauf sein Blick fiel, seine eigene Ehefrau, von der er geglaubt hatte, sie befinde sich in Sicherheit im Castle Marling. Er erkundigte sich nach dem Grund.

      Lady Mount Severn machte sich mit Erklärungen wenig Mühe. Sie sei seit einem oder zwei Tagen hier, könne ihre Trauerangelegenheiten persönlich besser ordnen, und William schien es nicht gut zu gehen, deshalb habe sie ihn wegen des Luftwechsels mitgebracht.

      „Ich bedaure sehr, dass du nach London gekommen bist, Emma“, bemerkte der Earl, nachdem er alles gehört hatte. „Isabel ist heute nach Castle Marling gereist.“

      Lady Mount Severn hob ruckartig den Kopf. „Was will sie dort?“

      „Es ist eine ganz und gar erbärmliche Angelegenheit“, gab der Earl zurück, ohne unmittelbar auf die Frage zu antworten. „Mount Severn ist ärmer als ein Bettler gestorben, und für Isabel ist kein einziger Schilling mehr da.“

      „Es war nie damit zu rechnen, dass viel übrig bleiben würde.“

      „Aber da ist nichts – kein einziger Penny; nichts für ihre eigenen persönlichen Auslagen. Ich habe ihr heute ein oder zwei Pfund gegeben, denn sie war vollkommen mittellos!“

      Die Gräfin riss die Augen auf. „Wo soll sie wohnen? Was soll aus ihr werden?“

      „Sie muss bei uns wohnen. Sie …“

      „Bei uns!“, unterbrach ihn Lady Mount Severn, wobei ihre Stimme fast an ein Schreien grenzte. „Niemals!“

      „Sie muss, Emma. Es gibt keinen anderen Ort, an dem sie leben könnte. Ich hatte die Pflicht, so zu entscheiden; und wie ich schon sagte, ist sie heute nach Castle Marling gereist.“

      Lady Mount Severn wurde blass vor Wut. Sie erhob sich von ihrem Platz und blickte ihrem Mann, den Tisch zwischen ihnen, ins Gesicht. „Hörʼ zu, Raymond. Ich will Isabel Vane nicht unter meinem Dach haben. Ich hasse sie. Wie konntest du dich beschwatzen lassen, in so etwas einzuwilligen?“

      „Ich wurde nicht beschwatzt und nicht um eine Einwilligung gebeten“, gab er sanft zurück. „Ich habe es vorgeschlagen. Wo sollte sie sonst hingehen?“

      „Es kümmert mich nicht, wo sie hingeht“, lautete die halsstarrige Erwiderung. „Jedenfalls nicht zu uns.“

      „Sie ist jetzt schon in Castle Marling – ist dorthin als zu ihrem Zuhause gereist“, sagte der Earl. „Und wenn du zurückkommst, wirst selbst du es kaum wagen, sie auf die Straße oder ins Arbeitshaus zu schicken. Sie wird dir nicht lange zur Last fallen“, fuhr der Earl unbekümmert fort. „Ein so liebreizendes Mädchen wie Isabel wird sicher früh heiraten; und sie scheint mir das sanftmütigste, liebenswürdigste Mädchen zu sein, das ich jemals gesehen habe. Ob das deine Abneigung gegen sie lindern kann, wage ich nicht zu vermuten. So mancher Mann wäre bereit, ihren Mangel an Vermögen um ihres Gesichts willen zu vergessen.“

      „Sie soll den Ersten heiraten, der sie fragt“, fauchte die wütende Lady zurück. „Dafür werde ich sorgen.“

      Isabel wohnte ungefähr seit zehn Tagen in ihrem neuen Zuhause, da trafen Lord und Lady Mount Severn in Castle Marling ein. Das Haus war kein Schloss, wie man meinen könnte, sondern der Name bezeichnete eine Kleinstadt, die fast unmittelbar an ihren Wohnsitz, ein kleines Anwesen, angrenzte. Lord Mount Severn hieß Isabel willkommen; Lady Mount Severn tat es höflichkeitshalber ebenfalls, aber ihr Betragen war dabei so abstoßend, so unverschämt herablassend, dass es ein empörtes Rot in die Wangen von Lady Isabel trieb. Und wenn das schon bei ihrem ersten Zusammentreffen geschah, was würde man wohl meinen, wie es weiterging? Sie wurde mit anzüglichen Beleidigungen, kleinlichen Kränkungen und abschreckenden Schikanen überhäuft, die ihr Durchhaltevermögen bis zum Äußersten strapazierten; wenn sie allein war, rang sie die Hände und wünschte sich leidenschaftlich, sie könne eine andere Zuflucht finden.

      Der Earl und die Gräfin hatten zwei Söhne, und der jüngere der beiden, der immer ein zartes Kind gewesen war, starb im Februar. Das bedeutete für ihre Pläne eine gewisse Veränderung. Statt zu Ostern nach London zu reisen, wie man es vorgehabt hatte, würden sie nun erst im Mai fahren. Der Earl hatte einen Teil des Winters auf Mount Severn verbracht, um dort die Reparaturen und Renovierungsarbeiten zu beaufsichtigen. Im März fuhr er nach Paris und war dabei voller Kummer wegen des Verlusts seines Sohnes – sein Kummer war viel größer als jener, den Lady Mount Severn empfand.

      Der April rückte heran, und mit ihm kam Ostern. Zum unverhohlenen Missfallen von Lady Mount Severn schrieb ihr ihre Großmutter, Mrs. Levison, sie brauche eine Luftveränderung und werde Ostern bei ihr in Castle Marling verbringen. Lady Mount Severn hätte ihre Diamanten dafür gegeben, um den Besuch herumzukommen, aber es gab kein Entrinnen – und die Diamanten hatten einst Isabel gehört, oder zumindest hatte Isabel sie getragen. Am Montag der Karwoche traf die alte Dame ein, und mit ihr kam Francis Levison. Andere Gäste hatten sie nicht. Bis Karfreitag verlief alles ziemlich reibungslos.

      Am

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