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Er war sehr freundlich zu mir.“

      Der kleine Lord hatte seinen gedankenvollen Blick auf Mr. Carlyle gerichtet und studierte offensichtlich dessen Gesichtsausdruck. „Ich mag Sie, Sir, wenn Sie nett zu Isabel sind. Sind Sie nett zu ihr?

      „Sehr, sehr nett“, murmelte Isabel, kehrte William den Rücken zu und wandte sich zu Mr. Carlyle, ohne ihn aber anzusehen. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll; ich sollte Ihnen danken. Ich hatte nicht die Absicht, dass … es zu verwenden; aber ich … ich …“

      „Pssst!“, unterbrach er sie und lachte über ihre Verwirrung. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich habe Ihnen ein großes Unglück mitzuteilen, Lady Isabel.“

      Sie hob den Blick und ihre glühenden Wangen, die durch ihre eigenen Gedanken ein wenig erregt waren.

      „Zwei Ihrer Fische sind tot. Die goldenen.“

      „Wirklich?“

      „Ich glaube, sie sind durch den Frost gestorben; ich weiß nicht, woran es sonst gelegen haben könnte. Sie erinnern sich doch sicher noch an die eisigen Tage im Januar; damals sind sie gestorben.“

      „Es war sehr freundlich von ihnen, dass Sie sich die ganze Zeit darum gekümmert haben. Wie sieht es in East Lynne aus? Das liebe East Lynne! Ist es bewohnt?“

      „Noch nicht. Ich habe ein wenig Geld hineingesteckt, aber der Aufwand macht sich bezahlt.“

      Die Erregung über seine Ankunft hatte sich gelegt, und Isabel sah wieder aus wie sie selbst: blass und traurig. Mr. Carlyle konnte nicht anders als festzustellen, dass sie sich verändert hatte.

      „Ich kann nicht damit rechnen, dass ich in Castle Marling so gut aussehe wie in East Lynne“, antwortete sie.

      „Ich darf doch davon ausgehen, dass dies für Sie ein glückliches Zuhause ist?“, fragte Mr. Carlyle aus einem Impuls heraus.

      Sie sah ihn mit einem Blick an, den er nie vergessen würde; er sprach eindeutig von Verzweiflung. „Nein“, sagte sie und schüttelte den Kopf, „es ist ein schreckliches Zuhause, und ich kann hier nicht bleiben. Ich war die ganze Nacht wach und habe darüber nachgedacht, wohin ich gehen kann, aber ich weiß es nicht; ich habe auf der ganzen weiten Welt keinen Freund.“

      Man sollte niemals vor Kindern über Geheimnisse sprechen, denn man kann sicher sein, dass sie erheblich mehr verstehen, als angemessen wäre; das Sprichwort „kleine Leute haben große Ohren“ ist auf wunderbare Weise wahr. Der kleine Lord Vane streckte Mr. Carlyle die Hand entgegen.

      „Isabel hat mir heute Morgen gesagt, sie wird von uns weggehen. Soll ich Ihnen sagen, warum? Mama hat sie gestern geschlagen, als sie wütend war.“

      „Still, William!“, unterbrach ihn Lady Isabel mit feuerrotem Gesicht.

      „Zwei große Klapse auf die Wangen“, fuhr der junge Adlige fort; „und Isabel hat so geschrien, und ich habe gekreischt, und dann hat Mama mich auch gehauen. Aber Jungen sind so gemacht, dass man sie verhauen kann; das sagt das Kindermädchen. Marvel ist ins Kinderzimmer gekommen, als wir Tee getrunken haben, und hat dem Kindermädchen davon erzählt. Sie sagt, Isabel sieht zu gut aus, und deshalb kann Mama …“

      Isabel unterbrach den Redefluss des Kindes, läutete heftig, zog ihn zur Türe und ließ ihn von der Dienerin, die erschienen war, ins Kinderzimmer bringen.

      Mr. Carlyles Blicke waren voller empörten Mitgefühls. „Ist das wahr?“, fragte er mit leiser Stimme, als sie zu ihm zurückkehrte. „Sie brauchen tatsächlich einen Freund.“

      „Ich muss mein Los ertragen“, erwiderte sie und gab damit dem Impuls nach, der sie veranlasste, sich Mr. Carlyle anzuvertrauen. „Zumindest bis Lord Mount Severn zurückkommt.“

      „Und dann?“

      „Ich weiß es wirklich nicht“, sagte sie, wobei die widerspenstigen Tränen ihr schneller in die Augen stiegen, als sie sie herunterschlucken konnte. „Er kann mir kein anderes Zuhause bieten; aber bei Lady Mount Severn kann und werde ich nicht bleiben. Sie würde mir das Herz brechen, wie sie mir schon beinahe den Mut gebrochen hat. Das habe ich von ihr nicht verdient, Mr. Carlyle.“

      „Nein, das haben Sie ganz sicher nicht“, erwiderte er liebenswürdig. „Ich würde Ihnen so gern helfen! Was kann ich tun?“

      „Sie können nichts tun“, sagte sie. „Was kann überhaupt irgendjemand tun?“

      „Ich würde Ihnen sehr, sehr gern helfen!“, wiederholte er. „East Lynne war für Sie alles in allem kein angenehmes Zuhause, aber es scheint, als hätten Sie es noch schlechter getroffen, nachdem Sie es verlassen haben.“

      „Kein angenehmes Zuhause?“, fragte sie. Die Erinnerungen erschienen ihr in diesem Augenblick köstlich, aber man muss daran denken, dass alle Dinge im Vergleich beurteilt werden. „Doch, es war angenehm; ein so angenehmes Zuhause werde ich nie wieder haben. Mr. Carlyle, machen Sie mir East Lynne nicht verächtlich! Würde ich doch nur erwachen und feststellen, dass die letzten Monate nichts anderes als ein böser Traum waren! Dass ich meinen lieben Vater lebendig wiederfinden könnte! Dass wir immer noch friedlich in East Lynne leben. Das wäre für mich heute ein wahres Paradies.“

      Was sollte Mr. Carlyle darauf sagen? Welches Gefühl brachte seine Miene in Bewegung, hemmte seinen Atem und färbte sein Gesicht blutrot? Sein Schutzengel wachte sicher nicht über ihm, sonst wären diese Worte nie gesprochen worden.

      „Es gibt nur einen Weg“ begann er, wobei er ihre Hand nahm und nervös damit spielte, vermutlich ohne sich dessen bewusst zu sein. „Nur einen Weg, wie Sie nach East Lynne zurückkehren könnten. Und dieser Weg – vielleicht sollte ich mir nicht die Freiheit erlauben, darauf hinzuweisen.“

      Sie sah ihn an und wartete auf eine Erklärung.

      „Wenn meine Worte Sie beleidigen, Lady Isabel, gebieten Sie ihnen Einhalt, wie meine Dreistigkeit es verdient, und verzeihen Sie mir. Darf ich … darf ich es wagen … Ihnen anzubieten, dass sie nach East Lynne als Hausherrin zurückkehren?“

      Sie begriff nicht im Mindesten, was er meinte: Der Inhalt seiner Worte dämmerte ihr überhaupt nicht. „Nach East Lynne als Hausherrin zurückkehren?“, wiederholte sie in völliger Verblüffung.

      „Und als meine Ehefrau?“

      Jetzt gab es keine Möglichkeit des Missverstehens mehr. Schreck und Überraschung waren groß. Sie hatte hier an Mr. Carlyles Seite gestanden, hatte im Vertrauen mit ihm gesprochen, ihn hoch geschätzt und ein Gefühl gehabt, als sei er ihr aufrichtigster Freund auf Erden. Sie hatte im Herzen an ihm gehangen wie an einem mächtigen Ort der Zuflucht, hatte ihn fast so geliebt, wie sie einen Bruder lieben würde, hatte zugelassen, dass ihre Hand in der seinen blieb. Aber seine Ehefrau zu sein! Der Gedanke hatte sich ihr bis zu diesem Augenblick nie in irgendeiner Form dargestellt; das erste Gefühl in ihr war der völlige Widerspruch, und ihre erste Bewegung, um ihn auszudrücken, bestand in dem Versuch, sich selbst und ihre Hand von ihm zurückzuziehen.

      Aber es geschah nicht; Mr. Carlyle ließ es nicht zu. Er hielt nicht nur diese Hand fest, sondern nahm auch die andere und sprach jetzt, da das Eis gebrochen war, beredte Worte der Liebe. Keine inhaltslosen, wohlklingenden Phrasen von Herz und Schmerz und dass er für sie sterben würde, wie ein anderer sie vielleicht geäußert hätte, sondern ernste, aus dem Innersten kommende Worte der tiefen Zärtlichkeit, die darauf berechnet waren, nicht nur ihre Ohren und ihr Herz zu gewinnen, sondern die guten Seiten der Seele; und wäre ihre Fantasie nicht von jenem „anderen“ erfüllt gewesen, sie hätte möglicherweise hier und jetzt Ja gesagt.

      Plötzlich wurden sie unterbrochen. Lady Mount Severn trat ein und begriff die Szene auf den ersten Blick, verstand Mr. Carlyles gebeugte Haltung der Ehrerbietung, seine Umklammerung der Hände und Isabels verblüffte, errötete Miene. Sie warf den Kopf und ihre kleine, vorwitzige Nase in die Höhe und blieb auf dem Teppich wie angewurzelt stehen; ihr eisiger Blick verlangte so offensichtlich eine Erklärung, wie ein Blick es nur kann. Mr. Carlyle wandte sich zu ihr, und um Isabel zu verschonen, stellte er sich selbst vor. Isabel hatte gerade noch die Geistesgegenwart,

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