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Pyria. Elin Bedelis
Читать онлайн.Название Pyria
Год выпуска 0
isbn 9783754940136
Автор произведения Elin Bedelis
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Wie soll ich denn etwas aussperren, was ich weder kommen sehen noch physisch wahrnehmen kann?«, fragte sie etwas verzweifelt und wollte sich am liebsten irgendwo verkriechen. Warum war sie immer so unfähig? Nachdem sie nun schon zweimal der Dunkelheit erlegen war, schien die Verzweiflung greifbarer als zuvor. Es hatte sie ausgelaugt und müde gemacht und sie schämte sich für ihre Kindlichkeit.
»Was da ist, muss dich nicht überwältigen.« Er machte ein paar Schritte auf sie zu und hielt ihr die weiß behandschuhte Hand hin. »Es ist wie Angst.« War er sich bewusst, dass das nicht beruhigend war? Nur sehr zögerlich schob sie die Finger in das weiße Leder und ließ sich auf die Füße ziehen. Sie kannte Angst sehr gut. Seit er in ihrem Leben war, hatte sie eine Menge davon gehabt. Wenn die Angst einen überwältigte, konnte man entweder darin versinken und jeden Mut verlieren oder sie überwinden und sich ihr stellen. Das war zwar schön und gut, wirkte aber geradezu unmöglich.
»Was ist hinter diesen Ranken?«, fragte sie nochmal, musterte die Wand skeptisch und spannte sich unwillkürlich stärker an. Konnte es ein Monster sein? Eines wie das, was er aus den Tiefen des Meeres gelockt hatte, mit nichts als einem Messer?
»Finde es heraus«, antwortete er ruhig und sie schluckte. Leider hatte er recht. Sie konnte sich nicht weiterhin bei jedem kleinsten Kontakt mit dieser Dunkelheit aus ihrem Kopf verdrängen lassen – egal, ob sie nun in die Unterwelt ging oder nicht. Wenn es funktionierte wie Angst, dann war wohl der beste Weg, sich der Dunkelheit zu stellen. Ohne ein weiteres Wort hielt sie auf die Ranken zu. Sie spürte, wie die Augen des Schattens ihr folgten und er sie genau musterte, aber zur Abwechslung hatte sie vor ihm wesentlich weniger Angst als vor dem, was vor ihr lag. Leén atmete tief ein, streckte die zitternde Hand aus und schob sie in die Ranken. Jeden Moment erwartete sie, dass die Schwärze ihr entgegenschlagen würde und hielt für den Bruchteil einer Sekunde inne, bevor sie die Blätter beiseiteschob.
Hinter den weichen grünen Schlingen lagen die nackte Felswand und eine Höhle, kaum mehr als ein Spalt klaffte dahinter. Vermutlich war er gerade groß genug, dass sie sich hätte hineinquetschen können, ohne steckenzubleiben. Es war dunkel darin, aber es war eine andere Form von Dunkelheit als die, die es vermochte sie niederzudrücken. Das war wohl kaum der Eingang zur Unterwelt, oder? Nervös kaute das Mädchen auf der Unterlippe und fragte sich, warum nichts geschah. Die Tatsache, dass sie sich dem willentlich stellte, konnte doch nicht schon ausreichen, um den sonst so schwerwiegenden Effekt zu umgehen, oder? »Warum passiert nichts?«, fragte sie und drehte sich zu dem Schatten um.
Vielsagend erwiderte Machairi ihren Blick. Als ihr so gar kein Licht aufgehen wollte und er weiterhin nichts sagte, riss sie sich zusammen und steckte langsam einen Arm und ihren Kopf in den Spalt. Keine drückende Dunkelheit. Nur eine Felswand und ein sich immer weiter verjüngender Riss im Stein und etwas, was sich unangenehm nach einem Spinnennetz anfühlte. Dann schlug die Dunkelheit wieder ein. Sie drückte ihr in den Nacken und ließ sie fast im kleinen Spalt zusammensinken. Sie kam nicht aus diesem Riss. Sie kam von draußen.
Mit schwirrendem Kopf zog Leén sich wieder hinaus, versuchte nicht einzuknicken und so gut sie konnte gegen das Gefühl anzukämpfen. Ihr Blick verschleierte, aber sie versuchte, die Dunkelheit fortzudrücken, und ballte die Hände zu Fäusten. Heftig blinzelnd, in der Hoffnung, die Sicht wieder klären zu können, sah sie umher und versuchte zu bestimmen, wo die Dunkelheit herkam. Sie hörte das Rauschen des Wasserfalls und des kleinen Flüsschens, das sich mit dem Rauschen ihres Blutes vermischte. Sie fühlte warmes Sonnenlicht auf der Haut, das ihr half, die Finsternis zu bekämpfen, und sie sah die Lichtung vor sich. Saftiges Grün und blühendes Leben und einen Schatten, der wie von schwarzen Schwaden umgeben schien. Schwarze Augen stachen ihr entgegen und die Dunkelheit wurde so überwältigend, dass sie sich beinahe schon wieder übergeben hätte. Angst schnürte ihren Magen zu und sie stolperte zurück. Der Wasserfall sprühte ihr Tropfen in den Nacken, die sich auf ihren Kleidern und ihrem Haar niedersetzten und sie zitterte. »Du bist das!«, stieß sie hervor und endlich fügten sich die Puzzleteile zusammen.
In einem kurzen Augenblick flackerten all die Situationen vor ihrem inneren Auge wieder auf, in denen sie dieses grausige Gefühl gehabt hatte. Sie hatten eines gemeinsam: einen wütenden, bedrängten, unkontrollierten Machairi.
Ihre Gedanken überschlugen sich und sie konnte gar nicht genug Abstand zu dem Dämon vor ihr halten. Ekelhaft ruhig sah er sie an und die Dunkelheit kam zum Erliegen. »Besser«, befand er und sie verstand erst nach einem Augenblick, dass er ihre Leistung bewertet hatte, der Dunkelheit zu widerstehen. Wäre sie nicht sprachlos vor Fassungslosigkeit gewesen, hätte sie ihm entgegengeschrien, dass seine Meinung sie nicht interessierte. Was wollte er von ihr? Konnte es sein, dass er nur einen Vorwand brauchte, um sie hinab in die Unterwelt zu zerren, um dann die Vorteile ihrer Abstammung für sich oder Ebos zu nutzen? Sie hatte so etwas schon die ganze Zeit befürchtet, aber sie hatte es nicht glauben wollen. Schließlich waren auch Gwyn und die anderen überzeugt gewesen, dass er ein Mensch sei, aber eigentlich war sein Charakter sehr viel besser zu erklären, wenn man der Realität ins Auge blickte.
Sie sollte flüchten, aber wohin? Er war schnell, unmenschlich schnell, wie sie sich erinnerte, und selbst wenn nicht, konnte er blind ein Messer auf sie werfen, das sie aufhielt, ohne sie zu töten, und er hatte sie so weit vom Dorf weggeführt, dass sie keine Chance hatte, irgendjemanden dort zu alarmieren. Sie hätte heulen können. Auch weil sie gehofft hatte, dass er irgendwo doch einen guten Kern hatte, und weil sie vielleicht doch ganz leicht Schmetterlinge im Bauch gehabt hatte.
Das Einzige, was ihr einfiel, um vielleicht entkommen zu können, war, das Licht zu verwenden, das ihn vielleicht so abstieß wie seine Dunkelheit sie. Leider befürchtete sie, dass er wesentlich geübter als sie darin war, den Effekt zu umgehen, und erschwerend kam hinzu, dass sie sich nach wie vor nicht in der Lage sah, sich zu bewegen. Stocksteif stand Leén da, während es in ihrem Kopf ratterte und sie versuchte zu erfassen, was sie gerade herausgefunden hatte. Er unterbrach sie nicht dabei, hatte alle Zeit der Welt, um ihr dabei zuzusehen, wie sie mehr und mehr verzweifelte.
»Warum die Prinzessin?«, war dummerweise die erste Frage, die sie herausbrachte. Es war der Punkt, auf den sie sich am wenigsten einen Reim machen konnte. Sie konnte sich vorstellen, dass ein Dämon diese seltsame unmenschliche Perfektion haben konnte, auch wenn die manchmal bröckelte. Es war auch klar, dass er ein Schatten hatte werden können und dass er damit durchkam, sich jeder Form von Höflichkeiten zu entziehen, und sogar, weshalb er ein Seemonster kannte. Das Einzige, was sie nicht verstehen konnte, war, wozu er die Prinzessin brauchte. Der Herr der Unterwelt konnte es doch kaum nötig haben, Geiseln zu nehmen, oder? Außerdem hatte doch Koryphelia ihn um Hilfe gebeten und nicht umgekehrt.
Er sah ein wenig amüsiert aus. »Sie hat das Blut ihres Vaters«, antwortete er ruhig, als sei das ein ganz normaler Satz, der überhaupt nicht wahnsinnig klang. »Es ist gut möglich, dass wir es brauchen.« Das war eine sehr absonderliche, aber erstaunlich klare Antwort.
»Ist dir klar, wie wahnsinnig das klingt?«, fragte sie mit viel zu hoher Stimme und wich noch etwas weiter zurück, sodass sie Angst haben musste, in den Bach zu fallen. Was konnte sie nur tun? Was konnte sie nur tun?! Ihre Atmung hatte sich beschleunigt und sie versuchte, irgendwie einen kühlen Kopf zu bewahren, aber bis auf das kalte Wasser, das ihr in den Nacken sprühte, war nichts an dieser Situation abkühlend.
»Wir sprechen von einem Tropfen Blut, nicht vom Kehle durchschneiden«, stellte er klar und sah abermals belustigt aus, als sie fast ins Wasser fiel. Er machte auch keine Anstalten, sie anzugreifen. Nicht einmal ein Messer kreiste durch seine Finger, was schon fast unheimlich wirkte, weil es sonst so oft geschah.
Leén fand, dass sie eigentlich erstaunlich beherrscht war, dafür, dass sie gerade aus allen Wolken gefallen war. Vielleicht lag das auch daran, dass ihr Kopf noch nicht damit klarkam und dass sie das Gefühl hatte, ihr Todesurteil zu unterschreiben, wenn sie einen falschen Schritt tat. »Was machst du jetzt mit mir?«, fragte sie und ihre Stimme war kaum mehr als das Fiepsen eines verängstigten Tieres. Sie schämte sich kaum dafür – es war immerhin berechtigt. Die einzige Hoffnung, die noch in ihr keimte, war, dass er sie noch brauchte.
»Du