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Kreuzfahrt kann sehr tödlich sein. Jan Gillsborg
Читать онлайн.Название Kreuzfahrt kann sehr tödlich sein
Год выпуска 0
isbn 9783752913637
Автор произведения Jan Gillsborg
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
7. Eine erfreuliche Begegnung
Die große Halle des Kreuzfahrtterminals Elizabeth II war in Deckenhöhe mit britischen Fahnen geschmückt. Unter ihnen standen Shuttle-Busse und Taxis sowie die Ausflugsbusse für all jene, die eine organisierte Tour gebucht hatten. Da ich mich nach dem Hieb auf meinen Denkapparat noch ein bisschen schräg im Kopf fühlte, steuerte ich das nächstbeste Taxi an. Der Fahrer blickte mir aus dem herabgekurbelten Wagenfenster entgegen.
„Was kostet die Fahrt nach Southampton hinein?“, fragte ich ihn.
„Zwanzig Euro!“, sagte er wie aus der Pistole geschossen.
Ich dachte, ich hätte mich verhört. Zwanzig Euro für etwa zweieinhalb Kilometer. Das war ja schon mehr als Wucher. Ein Mondpreis!
„Das kann doch nicht wahr sein. Für diese kurze Strecke“, empörte ich mich.
„Wenn Sie in Britischen Pfund zahle, stelle ich das Taxameter an“, grinste er. „Aber dann wird’s noch teurer.“ Er freute sich über mein Gesicht. Ich konnte mir vorstellen, dass er den Nachttarif oder so etwas einstellen würde, um mir das Geld aus der Tasche zu ziehen.
„Nein, danke!“, ich machte abrupt kehrt und ging hinüber zu den Shuttle-Bussen, bei denen ich für hin und zurück neun Euro hinlegen musste.
Ich erwischte den nächsten Shuttle-Bus gerade noch rechtzeitig vor der Abfahrt. Er war schon fast völlig besetzt und ich hatte Glück, weil noch ein Platz neben einer fülligen Dame in engen lila Hosen und einer offenherzigen Bluse frei war. Ich musste meine Bordkarte vorweisen. Sie wurde gescannt – der Betrag für die Fahrt wurde damit automatisch von meinem Bordkonto abgebucht. Dann startete der Fahrer den Motor und es ging los.
Wir fuhren eine lange Strecke durchs Hafengelände, an einem anderen Kreuzfahrtschiff vorbei, und bogen an einem Park in eine Hauptverkehrsstraße ein, die noch nicht sehr städtisch aussah. Das änderte sich bald, aber die Häuser in den Straßen, durch die wir kamen, sahen manchmal wie Spielzeughäuschen aus, manchmal aber auch wie die Wohnblöcke daheim. Mein Kopf schmerzte – ich schloss die Augen, und als ich sie nach einer Weile wieder öffnete, waren wir da.
„Tudor House!“, rief der Busfahrer aus. Ich stieg mit den anderen aus und fand mich vor einem hübsch restaurierten Fachwerkgebäude aus dem 15. Jahrhundert wieder. Vor dem Haus stand ein Aufsteller, der darauf hinwies, dass es auch ein Café im Garten gab. Da ich auf dem Schiff gegessen hatte, konnte ich gut und gern auf einen Snack verzichten. Gegenüber befand sich ein Platz, der St. Michael’s Square, an dem sich das älteste Gebäude Southamptons befand – die um 1017 erbaute St.Michael’s-Kirche. Ich ging hinein, um das Taufbecken und die Relikte aus normannischer Zeit zu bewundern, und sie hatten sogar eine Toilette im Gotteshaus, die mir gerade recht kam, weil ich angesichts meiner Erlebnisse an Bord ewig nicht mehr aufs Klo gegangen war.
Ich nahm die Kamera und machte jede Menge Aufnahmen. In der Kirche, vor der Kirche, vom Tudor House und von der Straße der Altstadt, in der ich mich befand. Langsamen Schrittes bummelte ich im Schlepptau anderer Businsassen durch kleine Straßen und Gassen an hübschen alten Häusern vorbei, an einem Pub, der sich „The Titanic“ nannte („Welcome aboard“ stand über dem Eingang), sowie an einem anderen, der „Duke of Wellington“ hieß und vor dem ein Bild des edlen Herrn auf einem Schild malerisch über den Blumenkästen am Fachwerkbau hing. Auf Irr- und Umwegen gelangte ich irgendwann zum Castle Wall, wo mir angesichts einer gewissen Schlappheit aufgrund des Angriffs heute Vormittag einfiel, dass ich doch mal eine aufmunternde Tasse Kaffee vertragen könnte. So pilgerte ich umständlich wieder zurück zum Tudor House, in dem mir ein freundlicher Engländer im Eingangsbereich den Weg zum Café im Garten wies.
Als ich die Tür dorthin öffnete, breitete sich vor mir das Geviert eines schönen Kräutergartens aus, der nach historischem Muster angelegt worden war. Rechts standen kleine Steinhäuser, links dunkle Holztische und -stühle vor einem Flachbau, durch dessen Fenster ich auf ein Kuchenbuffet sehen konnte. Ich trat durch eine Schiebetür ein und grüßte vier gut angezogene, dezent geschminkte Damen im besten Alter, die sich zu ihrem Plausch im Café zusammengefunden hatten und mich so musterten, wie im Hühnerhof die Hennen den neuen Hahn ansehen. Am Tresen sah ich Sandwiches und Kuchen und allerlei Süßkram und eine Frau im dunklen Dress, auf dem „Staff“ stand, und die eine lila Schürze umhatte. Sie grüßte freundlich und blickte mir erwartungsvoll entgegen – ich blickte ebenso erwartungsvoll in die Auslage mit dem Angebot und hatte mich im Nu entschieden. Ein Scone, dazu Cream und Jam, und einen kleinen Kaffee Americano. Das Ganze kostete 5,20 Pfund; ich ließ mir auf sechs herausgeben und hatte damit wahrscheinlich übertrieben. Die Lady hinter dem Tresen, in meinem Alter und gut anzusehen, sagte, ich solle ruhig draußen im Garten Platz nehmen – sie würde mir alles herausbringen.
Ich suchte mir einen Tisch ganz links in der Ecke, in der Sonne. Es war offensichtlich der beste Platz draußen. Und ich hatte Glück, dass ich ihn erwischt hatte, denn bald darauf kamen noch mehr Leute, die sich an die anderen Tische setzten.
Die Serviererin brachte mir mein Bestelltes auf einem Tablett und wünschte mir guten Appetit. Ich nahm einen Schluck vom Kaffee, ehe ich den Scone aufschnitt und mit Creme und Jam beschmierte. Dann lehnte ich mich zurück, um den Snack und die Umgebung zu genießen.
Um das Holzgeviert im Kräutergarten bummelte eine Japanerin im roten Kleid mit ihren Kindern dahin und erklärte ihnen die Pflanzen. Im Hintergrund war ein altes Gemäuer zu sehen, zu dem ein Gang führte, in dem eine ebenso alte Kanone stand. Rings um mich waren Blumen und Gräser und eine alte Steinskulptur. Die Sonne schien warm auf mich hinab. Ich fühlte mich sauwohl und schloss die Augen.
„Ist bei Ihnen noch etwas frei?“, riss mich eine angenehme weibliche Stimme aus meinem überirdischen Dasein. Ich riss die Augen auf. Und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Aber ich bekam kein Wort heraus.
Denn vor mir stand die wunderschöne, attraktive junge Dame, die mir gestern im Buffetrestaurant meine Hose mit Gulaschsuppe verschlimmbessert hatte. Sie sah noch besser aus als am Vortag, soweit das möglich war. Das Haar fiel lässig bis auf die Schultern. Ihr angenehmes Gesicht lächelte mit Mund und Augen. Ihr Outfit war klasse. Weiße, mit bunten Ornamenten bedruckte Lagenbluse, pinkfarbene Skinny-Jeans mit Fransensaum und schicke Sandalen. Absolut perfekt.
„Sie?“, fragte ich entgeistert.
„Ich!“, sagte sie. „Ich habe Sie gleich erkannt.“ Und ein, zwei Sekunden später: „Was ist denn mit Ihrer Stirn los? Hatten Sie einen Unfall?“
„Nicht der Rede wert“, winkte ich mit Macho-Gebärde ab. „Wo kommen Sie denn her?“
„Wie Sie – vom Schiff“, lachte sie. „Was ist – darf ich mich zu Ihnen setzen?“
„Aber ja doch“, sagte ich übereifrig, sprang auf und nahm den Rucksack vom Stuhl neben mir. „Bitte!“
„Ich heiße übrigens Danielle Sedlacek und wohne in Linz“, stellte sie sich vor.
„Linz? Die Kulturhauptstadt des Führers?“ Ich konnte mir das nicht verkneifen.
„Ja – das hängt uns noch manchmal an“, lachte sie. „Ist aber längst aufgearbeitet.“ Sie schaute mich an und ich merkte, dass ich mich auch vorstellen sollte.
„Thomas Webb, aus Berlin – meine Freunde nennen mich Tom!“ Ich hoffte, sie würde mich auch so ansprechen.
„Die meisten Bekannten sagen „Dani“ zu mir. Aber ich mag das eigentlich nicht.“ Sie verzog das Gesicht ein bisschen, und ich beschloss, sie niemals so zu nennen. „Ist hier eigentlich Selbstbedienung?“
Ich erklärte ihr, dass man drinnen im Flachbau bestellen müsse und die Bedienung dann alles herausbringen würde. Sie nickte. Dann ging sie hinein und kam nach fünf Minuten wieder mit zufriedenem Gesicht heraus. Wie sich dann herausstellte, hatte sie eine Art Strudel ausgewählt, mit Sahne und dazu einen schwarzen Kaffee. Typisch – sie war Österreicherin.