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Die Wurzelsucher. Sabine Stegmeyer
Читать онлайн.Название Die Wurzelsucher
Год выпуска 0
isbn 9783750236974
Автор произведения Sabine Stegmeyer
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Einen schönen guten Abend ...“, lachte es aus Lautsprechern, und an der Wand gegenüber erstrahlte eine weizenblonde Rate-Fee vor Sommerwolkenhimmel. Licht floss über die reglose Gestalt im Bett, beleuchtete das entsetzte Gesicht des Mannes daneben. Mit fliegenden Fingern drückte er auf 'stumm' und schaltete den Großschirm ab. Für zwei Sekunden hatte sich die Internetwelt in das Zimmer katapultiert und Frederik Grabers Blutdruck auf bestimmt hundertachtzig getrieben. Er hatte das Gefühl, als hallten seine Herzschläge an den Wänden wieder und er blickte zu seinem Vater. Doch der schluckte nur ein, zwei Male trocken und mit einem Stöhnen sank sein Kopf zur Seite.
Frederik Graber wandte sich vom Bett ab und atmete tief durch. Als er sich wieder beruhigt hatte, nahm er das Gerät auf und klickte sich durch die mit Werbung gespickte Internetwelt. Auch des Vaters Nachrichtenfächer waren gefüllt mit Werbebotschaften, vor allem Erektionshilfen und Gesundheitsartikel.
Keine Freunde und einen kostenfreien Anbieter, grummelte es in ihm. Alle paar Sekunden musste ein aufgeplopptes Bild weggedrückt werden. Bei manchen Clips dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis die Fläche des Schirms wieder reagierte. Es war, als würde man durch eine Einkaufsstraße eilen und alle paar Meter spränge jemand herbei, packte dich am Schlafittchen und zerrte dich in den Laden. Erst als er sich auf der Bankseite befand, wurde es ruhiger. Viele Proteste hatte das die Netzgemeinde gekostet, bis sie durchdrücken konnten, dass Bankseiten keine Fremdwerbung beinhalten durften. Noch ein Fingerabdruck zur Bestätigung und mit einem 'wenigstens etwas' studierte er die Tabelle. Hübsche, kleine Zahlen, die etwas über Ein- und Ausgaben erzählten und den momentanen Kontostand.
Frederik klickte sich durch Sonderkonten und Unterabteilungen, doch außer zwei alten Fonds gab es nichts zu entdecken; immerhin waren die Einnahmen stets höher als die Ausgaben gewesen.
„Wirklich nicht viel ... und das bei der mickrigen Miete“, brummte er. „Ich musste mich da ganz anders krumm legen.“ Er räusperte sich, lauschte in die Stille des Hauses. Wäre peinlich gewesen, wenn jemand seine Worte gehört hätte. Schließlich waren Söldner-Verdienste nicht schlecht. Hätte er das Geld beisammengehalten, anstatt es Glücksspiel und Hurenkram hinterher zu werfen ...
„Aber wer will schon ewig leben... schon gar nicht mit so einem Scheißrobot“, murmelte er und klickte sich durch ein paar Nachrichten, ohne ihren Inhalt aufzunehmen und landete schließlich auf einer Seite der internationalen Streitkräfte. „Oh Mann ...“ Er schaute zu, wie sich die Seiten aufbauten, Kriegsheldenbilder abwechselten, ineinander flossen. Soldaten auf Dünen, in die Ferne schauend; kleine Mädchen und Lazarette beschützend. 'Wir brauchen euch!', lockte die multinationale Truppe. Und dann stehen sie da, drei Männer und zwei Frauen und schauen in den Sonnenuntergang.
So eine Soldatin hätte ich mir auch gerne eingefangen, dachte Graber und zoomte die rechte Frau heran, näher, noch näher, und sein Blick wanderte über braunes Haar, den im Nacken gebundenen Pferdeschwanz, zarte Ohrläppchen und den Hals hinunter über die Grube. Der Rest steckte im festen Stoff der Uniform. Nein, solche gab es nicht zu sehen.
Das nächste Filmchen warb um Drohnen-Operatoren. Graber mochte diese Dinger nicht. Gut, sie waren praktisch, um das Gebiet vorab zu sondieren; aber versprengte Feinde konnten auch sie nicht so leicht entdecken. Richtig widerlich waren die Schwarmdrohnen. Ein Operator bediente einen Schwarm Kamikazedrohnen. Die waren untereinander vernetzt und suchten sich für ein Ziel die besten Winkel aus, stürzten sich auf den Feind und explodierten. Widerliches Zeug. Frederik Graber stieß ein leises Schnauben aus.
Was wohl seine alten Kumpels machten? Oben rechts hätte er sich anmelden können, in die Foren der Ehemaligen schauen – wer sich mit welchem Zivilistenjob rumschlagen musste, wer wieder mal in Kur war, wer auf Entzug ... er hätte nur seine Kennung eingeben müssen. Einer von denen hing immer dort drin oder bekam automatisch eine Nachricht, wenn sich was rührte. Sofort hätten sie Bescheid gewusst, welcher Computer, welche Seiten er aufrufe „… nein, lieber nicht …“, brummte er. Dann drehte er sich auf dem Stuhl, bis er zum Krankenbett schauen konnte. Der Kopf des Alten war noch immer zur Seite gesunken und nur leicht und unregelmäßig hob sich der Brustkorb.
„Die von der Reha werden bestimmt dein Konto abräumen“, murmelte er und ließ den Vater nicht aus den Augen, während er einen silbern glänzenden Beutel aus der Brusttasche zog. „Einen kleinen Erbvorschuss kann ich mir doch erlauben, einen feinen Abend … den hab ich mir verdient.“ Er öffnete und nahm sein Band heraus, legte es um das Handgelenk. Aktiviert von seiner Körperwärme, schmiegte es sich fester und ein leichter Schimmer zeigte ihm, dass er nur noch mit dem Daumen darauf drücken musste, als Hubschrauberknattern anschwoll. Rasch nahm er es ab und schob es in die Hülle zurück, schloss die Augen … wartete … wartete wie damals in den Höhlen der Steinwüste, als feindliche Drohnen jeden Winkel der Berge abgesucht hatten. Lichtflecken huschten über Gärten und Häuser, hellten den Raum auf, um Sekunden später wieder zu verschwinden. Als das Dröhnen kaum noch zu hören war, betrachtete er den glänzenden Beutel; ließ ihn wieder in der Brusttasche verschwinden. Guthaben übertragen wäre keine gute Sache, entschied er und stöberte auf des Vaters Bankseite nach Barkartenaufladung. Er hätte nur einen Maximalbetrag zur Verfügung; aber für einen netten Abend würde der schon reichen. Ein rotes Feld erschien in der Mitte und beleuchtete Grabers Gesicht. Er zog eine Karte aus seiner Jackentasche, legte sie darauf und tippte auf den angezeigten Höchstbetrag. Das Rot wurde intensiver und er hielt für einen Moment die Luft an. Grün leuchtete auf und Graber atmete hörbar aus. Er ließ die Karte in seiner Tasche verschwinden und schaltete das Gerät ab.
„Der Abend ist gerettet … danke, lieber Vater“, murmelte er und schob den Schirm wieder in seine Halterung.
***
Ein Brummen schwebte aus der Ferne heran und arbeitete sich in Lenas Bewusstsein. Es wurde lauter und lauter und schwoll an zu dröhnendem Knattern. Lena öffnete die Augen, sah Lichter über Tisch und Boden tanzen.
Als würden sie im Garten landen, ging es ihr durch den Sinn und sie richtete sich auf, erhob sich von der Couch und streckte sich. Sie tappte zum Fenster und blickte nach unten. Zerstückelt vom Geäst der Bäume zitterte Scheinwerferlicht über die Wiese, krabbelte über die Sträucher. Laub wirbelte auf, immer schneller zwirbelten sich Blätter in die Höhe. Zweige, sogar Äste bewegten sich und unsichtbare Hände strichen über das Gras, brachten es zum Flimmern. Doch die Hubschrauber landeten nicht. Sie schwebten langsam, sehr langsam über die Siedlung hinweg und entfernten sich. Um sie herum ein Sternenkreis aus Drohnen. Erst als sie kaum noch zu hören waren, fasste sich Lena an die Magengegend.
So oft waren sie noch nie auf der Suche gewesen, dachte Lena; aber wie würde ihr Mutter sagen? Dass es bis jetzt noch immer weitergegangen sei?
Sie blickte nach unten, wo das Licht der Straßenlaternen seine vergilbten Finger zwischen den Häusern in die Gärten streckte. Lena rieb sich die Augen. Sie muss eingeschlafen sein, kaum dass sie sich auf die kleine Couch in ihrem Zimmer hatte fallen lassen. Wie war das noch? Sie hatte dem Nachbarn zugenickt und die Tür hinter sich geschlossen und war an der Tür zu Semras Wohnzimmer stehen geblieben.
Es hatte ausgesehen, als habe Semra nur für einen Moment den Raum verlassen. Über der Sofalehne lag eine Strickjacke, auf dem Tisch ein paar Bücher, zwei davon geöffnet. Aber es waren nicht die Bücher, auch nicht die auf dem Tisch stehende Bechertasse, die Lena plötzlich das Atmen schwer gemacht hatten. Es war der Geruch. Jener eigentümliche Nestgeruch, der einen Menschen in die Vergangenheit katapultiert. Kaffee und Maiglöckchen. Maiglöckchenöl in einer Schale auf der Fensterbank und Kaffee rund um die Uhr. Semra schien nichts anderes zu trinken. Immer war eine Tasse mit schwarzbrauner Brühe in ihrer Nähe gestanden.
Wäre es nach Semras Ernährung gegangen, hätte sie schon vor langer Zeit den Kaffeelöffel abgeben müssen, war es Lena durch den Sinn gegangen und sie war in bitteres, seltsam hohl klingendes