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inne und zog rasselnd Luft ein. »Ich habe einfach überlebt. Aber für meine Leute bin ich ein furchtbares Monstrum in einem toten Körper, ein Albtraum. Unsere Seherin hat mich verbannt … und jetzt lassen mein Vater und meine Mutter mich leiden und hoffen, dass ich verschwinde … und sie sind zu feige, mich anzusprechen oder zu töten! Sie glauben, dass ich ein listiger Teufel bin, der so tut, als sei er noch ein Mensch, um ihnen nahe zu kommen. Und du … dummes Mädchen denkst … dasselbe wie sie …«

      Dem Dämon versagte die Stimme. Er hatte all seine Kräfte in dieser energischen Rede aufgezehrt. Helles Blut lief aus seinem Mundwinkel, als er röchelte und anfing krampfhaft zu husten, dann erschlaffte sein Körper vollends.

      »Ich habe so Durst …«, wisperte er mit rauer Stimme.

      Ein Schaudern lief durch ihren Körper, das sie sich selbst nicht richtig erklären konnte. »Wirst … wirst du mich töten, wenn ich dir helfe?«, fragte sie leise.

      Er öffnete zitternd die Augen und bei ihrem Gesichtsausdruck lachte er erneut röchelnd. Ashas Angst und Faszination wandelten sich in Ekel, als ihr sein Blut entgegen sprühte.

      Einen Moment war sie erstarrt, dann wischte sie die feuchten Tropfen auf ihrem Gesicht mit dem Handrücken weg.

      »Wann begreifst … du es endlich?«, fragte er mit zitternder, kaum hörbarer Stimme. »Egal, ob ich … nun ein Dämon bin oder nur ein … sehr armseliger Mensch. Ich denke wie du und werde vermutlich nur durch den Geist … dieses verdammten Baumes in dieser Welt gehalten … Selbst wenn ich bald sterben sollte, wünsche ich mir doch, dass du mich nicht noch beleidigst … Wer wäre denn so dumm, seinen einzigen Helfer zu töten?«

      Asha presste die Lippen aufeinander und deutete ein Nicken an, bevor sie sich langsam aufrichtete und einen Schritt zurück trat.

      Als sie weit genug entfernt war, wagte sie es, sich nicht mehr rückwärts von ihm zu entfernen. Sie warf einen letzten, forschenden Blick auf das Wesen, das noch immer nicht starb.

      Dann fragte sie sich, was der Geist des Hara–Baumes wohl mit diesen Taten bezweckte. Sie sah, dass das Gras um den dunklen Körper in den letzten drei Tagen so hoch gewachsen war, das man ihn von weiter weg kaum noch sehen konnte. Nur seine Hand ragte zwischen den starken Halmen hervor und der Oberkörper lag erhöht an den Wurzeln des Baumes, wo sein Kopf auf einem dicken Knoten ruhte.

      Seine Haut leuchtete schwach im Mondlicht, dann schoben sich große Wolken vor den Mond und sie hörte nur noch sein leises, flüsterndes Bitten nach Wasser.

      Schwäche

Bild13

      Jamils Mutter hatte die Nähe der anderen nicht mehr ausgehalten. Eigentlich war sie es als wichtige Persönlichkeit von Kas’Tiel gewohnt, permanent von allen beobachtet zu werden … doch hier machte es sie nervös. Als Aldos Frau schauten alle erwartungsvoll zu ihr hin, vor allem die Frauen vertrauten darauf, dass sie ihnen Hoffnung und Trost spendete. Aber in Wahrheit zerriss es Navenne jedes Mal das Herz, wenn ihr Blick in die Nähe des Hügels glitt oder man über ihren Sohn als Ungetüm und Dämon sprach.

      Es war dunkel geworden, während die anderen Frauen Essen für die hungrigen Mäuler zubereiteten. Der Mond und einige Kochfeuer erhellten die Senke – da hatte sie sich davongestohlen und verbarg sich in der Dunkelheit hinter der Baustelle ihres Hauses, das jetzt auf Aldos Befehl hin entstand. Die ersten Wände standen bereits, waren aus gefällten Stämmen geschichtet, die sie für den nahenden Winter noch irgendwie würden dämmen müssen. Die Frauen hatten Moos und Gras dafür vorgeschlagen, während die Männer einfach verbissen und stur weiterarbeiteten, als würden sie von den Göttern angetrieben.

      Mit steifen Bewegungen ließ Navenne sich im Schutz des halbfertigen Hauses auf einige Stämme sinken, die darauf warteten, ebenfalls verarbeitet zu werden.

      Einen Moment hielt sie die Luft an, dann fiel die ständige Kontrolle von ihr ab.

      Tränen traten ihr in die Augen und ihre Kehle schmerzte, so zugeschnürt fühlte sie sich an.

      »Mein armer Junge«, flüsterte sie atemlos und schlang sich die Arme um die schmerzende Brust.

      Als Aldo plötzlich neben der Baustelle auftauchte, fühlte sie sich schlagartig ertappt. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und stand von den Stämmen auf.

      »Was tust du da? Die Seherin hat doch gesagt, wir sollen dem Dämon keine Aufmerksamkeit schenken. Um ihn zu trauern, macht ihn nur stärker!«, begann Aldo erbost.

      »Das ist mir egal! Ich zeige es nicht vor den anderen. Aber was ich tief in mir empfinde, ist allein meine Angelegenheit.«

      Sie wusste, wie schrecklich sie in ihrer Verzweiflung und Verletzlichkeit aussehen musste, aber das war ihr gleich.

      »Bitte, Aldo! Tu etwas! Ich ertrage das nicht … gib mir meinen Sohn zurück!«, flehte sie.

      »Jamil ist tot! Er existiert nicht mehr!«

      »Die Seherin muss sich irren!«

      Aldo hob die Hand und einen Moment lang dachte sie wirklich, er würde sie schlagen. Entsetzt starrte sie ihren Mann an, der ihr auf einmal so fremd vorkam.

      »Das erzürnt die Götter, Navenne!«, presste er schließlich zwischen schmalen Lippen hervor und ließ die Hand wieder sinken. »Wir haben hier keine Tempel und nur eine einzige Seherin. Ihr Wort gilt! Sie hat mit den Göttern gesprochen und von ihnen die eindeutige Warnung erhalten, dass Jamil gefährlich ist. Er ist kein Mensch mehr.«

      »Dann besänftige du die Götter!«

      »Wie denn, Weib? Wir. Haben. Nichts. Mehr!«

      »Du bist unser Rätor! Du musst doch etwas tun können.«

      Aldo schnaubte, doch in seinem Trotz spürte sie eine tiefe Verbitterung. »Diesen Titel gibt es nicht mehr. Er ist mit den Feuern in Kas’Tiel verbrannt. Wir sind Flüchtlinge und ich bin nur noch der Anführer einer Gruppe Überlebender.«

      Navenne starrte ihn an und wusste nicht, was sie erwidern sollte. Ihre Trauer hüllte sie ein wie eine große Glocke aus Taubheit, die sie von ihrem Mann entfernte.

      »Ich bin müde«, murmelte Aldo und wischte sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich bin müde und alt und möchte einfach nur eine kleine Siedlung errichten. Balor und die Jäger werden uns vor den Wilden schützen und die Seherin soll den Dämon vertreiben.«

Bild14

      Dunkelheit hatte sich über die Wiese gelegt und die Gestalt des Mädchens verschluckt. Seine Stirn fühlte sich an, als wollte sie zu brennen anfangen, auch sein restlicher Körper glühte und er sah in seinem Sichtfeld graue Flecken anstelle des Grases.

      Der Durst brannte in ihm wie ein gleißendes Feuer, das auf seine Haut strahlte und ihn noch mehr schwitzen ließ.

      Das plötzlich wiederkehrende Flüstern des Baumes ließ ihn zusammenzucken.

      »Bitte …«, flehte er, »Bitte, gib mich frei! Warum willst du mich zu einem Dasein als Dämon zwingen? Kannst du mich nicht retten … weil ich schon verflucht und verloren bin? Das ist es, nicht wahr? Du tust das, was du auch für ihr Volk immer tust, und versuchst mich so nah am Leben zu halten, wie es geht … ein Geisterdasein. Das ist kein Leben! Selbst wenn ich noch aus Fleisch und Blut … bestehen sollte, werde ich zu einem willenlosen Monstrum …«

      Jamil schwieg, doch niemand antwortete ihm. Er schloss die Augen, als ihn neue Schwäche überkam und er wieder Blut auf den Lippen schmeckte. Für eine lange Zeit lauschte er dem Wind und dem Rauschen des Meeres, die ihm ebenfalls Geschichten erzählen wollten. Er konnte es durch die Hitze seines Fiebers spüren. Das Meer … groß und tief und dunkel … es wollte ihn in die kühle Tiefe seiner Erfahrungen ziehen, doch er wehrte sich dagegen. Bilder suchten ihn heim, wie er wieder über die Klippe stürzte und die schäumenden Wellen auf ihn

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