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runzelte er die Stirn. Seine Lippen fühlten sich trocken und leblos an, aber er öffnete sie trotzdem. »Ich … ich bin nicht tot«, schaffte er zu sagen, es war kaum mehr als ein Hauchen im Wind, der das Gras um ihn sanft hin und her bewegte.

      Sie schreckte zurück, doch plötzlich hielt seine Hand ihren Knöchel umfasst. Sie zog daran, fluchte und versuchte wegzukommen, dann hatte sich sein Griff gelockert und gab ihren Fuß frei.

      Hastig machte sie einen Sprung von ihm weg und beobachtete argwöhnisch seinen schlaffen Körper, das Messer erhoben.

      »Bitte … ich bin nicht tot!«, murmelte er flehend, jetzt ein wenig lauter. Er wollte energisch klingen, noch mehr sagen, aber es kam nur ein Röcheln aus seiner Kehle.

      »Ich dachte, du wolltest dir das Leben nehmen, dein Leid beenden …«, murmelte sie. »Ich dachte, du seist verblutet, die Wunden sehen schlimm aus.« Sie duckte sich näher zu ihm und ließ sich auf ihre Knie nieder, ehe sie zu ihm kroch. Seine Hand fiel wieder zurück in das hohe Gras. Im Dunkeln konnte das Mädchen sein Gesicht sicher nicht richtig sehen, auch den Schmerz darauf nicht.

      »Warum kannst du meine Sprache sprechen? Warum verstehst du mich? Ist das ein Trick? Dämonen können mit jedem sprechen, habe ich gehört«, meinte sie und rutschte etwas näher.

      Sein Atem ging schwer und rasselnd. »Ich … ich habe dem Baum gelauscht. Er hat von … deinem Volk erzählt. Den Sukrani. Ich glaube, ein Gott lebt in ihm.«

      Er hatte keine Kraft, um zu lachen, aber ein merkwürdiges Glucksen entwich seiner Kehle. Das war einfach zu unglaublich. Vermutlich träumte er noch immer, aber er würde das Spiel mitmachen, das sein Fieber mit ihm spielte. War das Mädchen überhaupt echt? Ein Teil von ihm bezweifelte es und tat sie als Hirngespinst ab.

      »Für mein Volk ist der Hara–Baum heilig. Er kann Leben geben und heilen. Deshalb hatte ich dir bedeutet, zu ihm zu gehen. Ich dachte, er würde dich retten.«

      Zorn wallte in ihm auf. »Aber ich bin weder tot noch lebendig … ich atme … ich leide … der Baum nimmt die Qualen nicht von mir!«, zischte er und konnte den Schmerz in seinen Worten nicht verbergen.

      »Du sagst die Wahrheit, Fremder. Du bist nicht tot, aber ich glaube, du wirst es sein … bald. Sieh nur, was der Baum bewirkt«, hörte er sie sagen, als sie noch näher gekommen war und auf seinen Arm deutete. »Du wirst vielleicht nicht sterben … aber ins Reich der Toten führt er dich dennoch.«

      Damit hob sie nach einem Zögern seine rechte Hand. Er drehte seinen Kopf schwach und sie hielt seinen Arm vor sein Gesicht, sodass das Mondlicht auf seinen Unterarm fiel – und hindurch.

      Jamil riss die Augen auf. Dort wo das Licht seine Haut traf, war diese fast transparent, alles glitzerte grünlich und bläulich und Jamil konnte am Himmel verschwommen die Mondsichel durch seinen Arm sehen.

      Sogar seine Knochen waren sichtbar und die Adern, die an den Muskeln entlang liefen.

      Auf einmal war neue, verzweifelte Kraft in ihm. Jamil riss seinen Arm aus ihren Fingern und stieß sie weg.

      »Nein!«, rief er krächzend. »Nein, ich werde nicht aufgeben! Ich werde kein Dämon!«

      Von Angst und Wut erfüllt sammelte er all seine Kraft und stützte sich mit seinem gesunden Arm vom Boden ab. Doch er hielt sich keine zwei Atemzüge aufrecht, da knirschten die Knochenbrüche und voller Schmerz sackte er zurück zwischen die Wurzeln.

      Er spürte neues Blut aus seinem Körper rinnen und mit ihm die letzte Hoffnung.

      »Nein! Neeeein!«, rief er verzweifelt.

Bild12

      Ashanee kniete vor ihm und musterte ihn fasziniert. Noch nie hatte sie einen Verfluchten wie ihn gesehen, doch hatte sie sich diese Wesen der Nacht dank der Erzählungen ganz anders vorgestellt. Er schien so traurig und wütend über sein Dasein und sich seines alten Lebens vollkommen bewusst … War er nun ein Dämon? Oder wurde er zu einem Gehilfen des Hara–Baumes, da seine Augen so seltsam blau leuchteten?

      Es war erst einmal ein Dämon in die Nähe ihres Dorfes gekommen, das war schon viele Jahre her. Sie konnte sich nur an die schaurigen Berichte der Alten erinnern. Er hatte rot glühende Augen gehabt und seine Haut war schwarz wie die Nacht gewesen, als er durch ihr Dorf hetzte und schrie, wie es kein menschliches Wesen vermochte. Da war kein Verstand mehr in ihm gewesen, keine Vernunft. Nur der Durst nach Tod und Feuer … so beschrieben es die Schamanen.

      Und jetzt, nachdem der junge Mann auf seinen Arm gestarrt hatte, drehte er den Kopf zu ihr. Seine Augen schimmerten, als seien sie ein Tor zu einer anderen Welt. Sie waren türkis und glitzerten, als strahlten Sterne in ihnen.

      Es war nichts mehr zu sehen von diesem feurigen, dämonischen Blick. Stattdessen schien der Geist selbst durch seine Augen zu blicken und jagte ihr damit eine Gänsehaut ein.

      Wieder streckte er die Hand nach ihr aus.

      »Bitte«, flüsterte er eindringlich. »Bitte, hilf mir! Bring mich fort von dem Baum und diesem grässlichen Ort! Sag meinen Leuten, dass ich lebe, sag ihnen, sie sollen mir helfen!«

      »Das kann ich nicht! Du gehörst jetzt zum Geist des Hara–Baumes, er entscheidet über dich. Es tut mir leid, ich wollte nicht, dass du stirbst. Ich dachte wirklich, er würde dich heilen.«

      »Nein! Dann töte mich! Ich will kein Dämon werden, der im Schatten des Todes existiert!«, meinte er flehend, aber die Stimme versagte ihm. Er hustete und verzog das Gesicht beim Geschmack des Blutes.

      »Du bist schon ein Verfluchter. Ich habe es in deinem Blick gesehen, als du mir das Messer weggenommen hast. Der Geist des Baumes geleitet dich hinüber in die andere Welt, wahrscheinlich, um dich von diesem Dämon zu befreien.«

      Er presste die Lippen aufeinander und echtes, menschliches Leid zeigte sich auf seinem Gesicht.

      Als er wieder zu sprechen begann, war seine Stimme leblos. »Ich wusste nicht, dass man verflucht und ein Dämon … sein kann, ohne es zu spüren. Also, warum findest du … es nicht heraus, ob man mich noch töten kann? Nimm das Messer und … stich zu!« Seine Stimme wurde plötzlich energischer. »Schneid mir die Kehle durch und befreie mich von meinen Qualen, denn … ich dachte immer, Dämonen seien starke, mächtige Wesen – und nicht gebrochen, von Fieber und Schmerz halb von Sinnen, so wie ich. Wenn ich jetzt ein Dämon bin, dann will ich keiner sein, denn ich bin schwach und hilflos.«

      Asha zögerte, dann machte sie einen Schritt auf ihn zu, das Messer hoch erhoben.

      Es war erschreckend, wie zusammengesunken er da lag, aber sie sah auch das Glimmen in seinen Augen …

      »Das ist eine Falle! Du willst, dass ich dir wieder näher komme!«

      Sie meinte fast, so etwas wie ein verzweifeltes Lächeln auf seinen Zügen zu erkennen. Er versuchte zu lachen, doch es kam nur ein schwaches Gurgeln aus seiner Kehle. Sein Kopf lag noch immer seitlich an die Wurzeln gelehnt. Blut lief aus seinem Mundwinkel und auch die Wunden an seiner Seite hatten sich wieder geöffnet.

      Sie verspürte den beängstigenden Drang, ihm zu helfen, ihm die Wunden zu verbinden und sein Leid zu lindern, doch ihre Vorsicht hielt sie zurück. Obwohl er unglaublich schwach wirkte, schien er nicht an dem Blutverlust zu sterben, wie es ein Mensch getan hätte.

      »Ich kann mich nicht mal aufrichten, aber du hast Angst, ich könnte dir etwas antun«, murmelte er und lachte auf.

      War er verrückt geworden? Sein Blick wirkte fiebrig, aber konnte ein Dämon krank sein? Sie hatte noch nie davon gehört, dass man sich ihnen so nähern, geschweige denn ein Gespräch mit ihnen führen konnte.

      »Das Leben rinnt aus mir, aber ich sterbe nicht. Du glaubst, ich werde mich auf dich stürzen – dabei gibt es nur eine Person, die ich wirklich zerreißen möchte: Derjenige, von dessen Bogen die Pfeile schnellten, die mein Fleisch zerfetzt haben. Meine Familie denkt, ich sei verflucht, aber soll ich dir etwas verraten? Ich weiß nicht, was mit mir geschehen ist. Als ich von der Klippe stürzte

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