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Sagenbuch der Bayrischen Lande. Alexander Schöppner
Читать онлайн.Название Sagenbuch der Bayrischen Lande
Год выпуска 0
isbn 9783742772664
Автор произведения Alexander Schöppner
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
der bayerische Wald S. 109.
In einer hohlen Eiche des Bannwaldes von Engelsberg
hatte ein frommer Hirt das Bildniß der Himmelskönigin
aufgestellt. Täglich in den Abendstunden fand
sich dort die Burgfrau ein, um der Gottesmutter ihr
Leid zu klagen. Anna, so hieß sie, lebte in unglücklicher
Ehe, denn ihr Gatte war rauhen Gemüthes, über
dem blutigen Waffenspiele und der wilden Lust der
Jagd und des Trinkgelages die Pflege der häuslichen
Freuden vernachlässigend. Wenn die arme Dulderin
betete, kniete immer der Hirt ihr zur Seite; so wollte
sie es, damit er sein Flehen mit dem ihrigen vereinige.
Doch der Weltsinn faßt die Reinheit solcher Seelenverwandschaft
nicht; er kann Mann und Weib sich
nicht nähern sehen, ohne an Unerlaubtes zu denken.
Ein Knappe im Schlosse, dem guten Hirten gram, flüsterte
dem Eheherrn schlimmen Verdacht in's Herz.
Dieser, dem falschen Buben nur zu willig Gehör leihend,
eilt in den Wald hinaus, sieht das Paar an der
Gnadenstätte knieen, reißt in blinder Zorneswuth das
Schwert aus der Scheide und trennt mit gewaltigem
Hiebe der Gattin die Hand vom Arme. Ohne einen
Laut der Klage auszustoßen, hob Anna voll Vertrauen
auf die mächtige Fürbitte Mariens, den blutigen
Stumpf gegen Himmel, und im Augenblicke war die
Hand wieder an ihrer Stelle. Nur ein rother Streifen,
rings um das Handgelenk sich ziehend, blieb als
Denkzeichen der gräßlichen Verwundung zurück. Der
Ritter, dem das Walten der höhern Mächte so augenfällig
sich kund gethan, ging in sich, änderte sein wildes
Leben und war fortan ein frommer, christlicher
Hausvater. Die Kirche, welche an der Wunderstätte
errichtet wurde, nannte das Volk in seiner Sprachweise
»Maria Handlab.«
87. Der Schatz auf dem Hohenbogen.
Sage vom B u r g s t a l l , Gipfel des
H o h e n b o g e n s im B a y e r w a l d e . A.
M ü l l e r s u. B. G r u e b e r s bayer. Wald. S. 265.
Von diesem Schatze gehen wunderliche Sagen. Er
liegt hundert Lachter unter dem Burgstall in einem
kupfernen Kessel. Alle hundert Jahre einmal wird ein
Mensch geboren, der ihn unter gewissen Bedingnissen
zu heben vermag. Ein solcher war ein Hirte von
Schwarzenberg, welcher eines Tages seine Heerde auf
der sogenannten kleinen Ebene am Flusse des Burgstallkegels
weidete. Als er Abends eintreiben wollte,
vermißte er ein junges Rind, und nach einigem Suchen
hörte er es hoch oben im Walde Laut geben. Er
stieg eilig den Burgstall hinan und war schon nahe
dem Gipfel, als plötzlich eine wunderschöne, aber
seltsam und fremdartig gekleidete Jungfrau vor ihm
stand und ihn mit einschmeichelnder Stimme anredete:
»Du kommst zu guter Stunde hieher. Wisse, daß es
in meiner Hand liegt, dich zum reichsten Manne im
Lande zu machen. Ich kann dir offenbaren, auf welche
Weise du den unter unsern Füßen vergrabenen Schatz
heben magst.« Der Hirt, welchen beim ersten Anblikke
der Erscheinung ein heimliches Grauen beschlichen
hatte, faßte Muth und entgegnete, daß er bereit
sei, die Unterweisung zu vernehmen. Freudig fuhr die
Jungfrau fort: »Finde dich heute über acht Tage zu
Beginn der Mitternachtsstunde am Fuße des Burgstalls
ein, begleitet von zwei Priestern, welche die Beschwörungen
zu sprechen wissen. Ihr werdet den
Schatz erhoben auf dem Gipfel des Berges liegen
sehen. Schreitet nur muthig darauf los und laßt euch
nicht irren, was euch immer in den Weg trete, sähe es
auch noch so schrecklich aus; denn es ist eitel Blendwerk
des Bösen, das euch weder an Leib noch Seele
schaden kann. Bist du an die Schatztruhe herangekommen,
so greife mit beiden Händen keck in den
Goldhaufen ein, und er ist dein für immer. Aber wehe,
so du durch die Künste Satans dich zur feigen Flucht
bewegen ließest, wehe dann mir! Abermal müßt' ich
hundert Jahre umherirren und könnte nicht zur ewigen
Ruhe eingehen. Siehe dieses zarte Reis!« hier wies sie
auf ein dem Boden entsprossendes Ahornbäumchen,
»es muß zum starken Baume heranwachsen, aus seinem
Stamme müssen Bretter geschnitten und diese zu
einer Wiege gefügt werden; der Knabe, welcher in
dieser Wiege ruhen wird, muß Mann geworden sein,
dann erst darf ich wieder auf Erlösung hoffen. Gedenke
der unaussprechlichen Leiden einer armen Seele
und erbarme dich meiner, wie du willst, daß Gott der
Herr sich deiner erbarme!«
In den letzten Worten lag der Ausdruck eines so
herzzerreißenden Jammers, daß der Hirt davon auf's
Tiefste ergriffen ward und mehr durch den Wunsch,
so große Pein zu lindern, als durch die Begierde nach
den verheißenen Reichthümern zu dem Wagnisse der
Schatzhebung sich getrieben fühlte. Eben wollte er
der Jungfrau seinen Entschluß kund geben, als sich
die Gestalt derselben in leichten Nebelflor auflöste,
den der Abendwind über den Gipfel des Burgstalls
hinwegtrieb. Aus dem Gebüsche aber, an welchem die
Erscheinung gestanden, kam das verlorene Rind hervor
und folgte willig seinem Herrn auf den Weideplatz
hinab.
Des andern Tages hatte der Hirt nichts eiliger zu
thun, als nach Neukirchen zum Kloster der Franziskaner
zu gehen, und dem Pater Guardian den wunderbaren
Vorfall zu berichten. Dieser hielt mit den Vätern
Rath, was in der Sache zu thun sei, und man kam zu
dem Entscheide, daß es sich hier um die Erlösung
einer armen Seele und einen Triumph über den Satan