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ihm die Zunge heraus. Das war ein vertrautes Spiel, keine Auseinandersetzung. Er streckte ihr ebenfalls die Zunge heraus, täuschte eine Bewegung nach rechts an, ging dann blitzschnell nach links, schnappte sich seine Tochter und legte sie sich auf die Schulter. Die Kleine quietschte voller Vergnügen. Er stellte sie wieder auf die Füße, sie gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann verschwand sie lachend im Vorzelt. Eine glückliche Szene. Ich dachte kurz darüber nach, ob ich je Kinder haben würde, verwarf den Gedanken aber sofort.

      Jetzt war ich dran, wusch den Salat und ging schnell zurück zu den Zelten.

      Der Abend verlief für uns wunderbar ereignislos. Wir aßen Baguette und Salat, tranken Wein. Die Doppelkopfrunde ließen wir ausfallen, unsere Nachbarn waren sicher froh darüber. Sie waren gegen acht Uhr vom Tagesausflug zurückgekehrt, aßen etwas und waren gegen halb neun schon zum Schlafen im Zelt verschwunden. Kein Laut drang danach noch aus dem Zelt. Entweder waren sie beim Sex sehr leise, oder sie verkniffen es sich. Unser Abend endete am Strand, wo wir uns den Sonnenuntergang anschauten. Die Bunker warfen lange, breite Schatten. Ein Schild, das direkt vor uns stand, einen langen Dünnen. Am Himmel war nur ein einziges kleines, rosa Wölkchen zu sehen. Der Meeresspiegel war immer noch glatt wie ein Kinderarsch. Die Sonne spiegelte sich darin und stand wie jeden Abend als ein fetter, roter Ball über dem Horizont. Allein schon diese Sonnenuntergänge rechtfertigten die strapaziöse Fahrt.

      Viele waren in dieses Naturschauspiel vertieft. Andere saßen beisammen, lachten, spielten Gitarre, tranken Bier und Wein. Keinem fiel der Neuankömmling auf, der mit seinem Rucksack am Strand auftauchte. Er ging an der Wasserlinie entlang, beobachtete verstohlen die Menschen, die ihren Urlaub genossen. Nach einer Weile blieb er stehen und starrte lange auf das Meer.

      Er sollte es sein, der das Leben aller, die sich auf diesem Campingplatz am Atlantik befanden, in den darauf folgenden Tagen beeinflussen würde. Und das auf eine Art und Weise, die keiner, der nicht in eine derartige Situation gekommen ist, nachvollziehen kann.

      Wir, die an diesem Abend verzaubert vom Sonnenuntergang am Strand lagen, Wein tranken und guter Dinge waren, ahnten noch nichts. Keiner ahnte etwas. Katastrophen kündigen sich nicht an, sie passieren. Reißen Ahnungslose in den Tod, trennen Menschen von Menschen, die sich lieben, Eltern von ihren Kindern, Kinder von ihren Eltern. Hinterlassen tiefe Wunden. Wunden, die nie heilen. Eine zeitlose, immerwährende Verletzung, die nur einzelne betrifft, aber die ganze Menschheit angehen sollte. Sollte. Doch schaut man lieber weg. Ich habe nach den Tagen am Atlantik, im August dieses Jahres, nie wieder weg geschaut.

      Kapitel 3

      Mitten in der Nacht bemerkte ich den Wind, der über die Zeltplanen strich. Das erste Mal seit Tagen kam Wind auf. Mit dem Gedanken an hohe Wellen, schlief ich voller Vorfreude wieder ein. Der folgende Morgen war wohltuend frisch, wenn man Temperaturen um 20° Grad für einen Morgen als erfrischend ansehen mochte. Ich packte meine Duschsachen zusammen, nahm eine belebende Dusche und war zurück am Zelt bevor einer der anderen seine Augen geöffnet hatte.

      Also beschloss ich einkaufen zu gehen. Der kleine Supermarkt auf dem Platz war morgens immer zum Bersten voll. Wenn man nicht früh genug war, konnte schon mal das Brot ausverkauft sein. Deshalb war ich guter Dinge in Bezug auf unser morgendliches Frühstücksflute. Wie erwartet war es noch leer. Ich steckte 2 Flutes in die kleine Plastiktasche, die so typisch für die französischen Bäckereien war. Im Laden waren unerwarteter Weise nur ein paar Leute. Unter ihnen war einer der niederländischen Nachbarn mit einem kleinen Jungen. Ich warf ihnen ein freundlichen Gruß auf Niederländisch zu: „goedemoorgen“. Der Mann war überrascht und grüßte mit freundlichem Strahlen zurück.

      „Hoe gaat het met je?“ fragte er. „Het gaat goet met mij“ antwortete ich unter Aufbringung aller meiner Niederländisch-Kenntnisse. „Ik kann noor en beetje nederlands spraaten“, entschuldigte ich mich. Der Holländer lächelte immer noch. „Hoe heet je?“

      „Mij naam is Michael“, stellte ich mich vor. „Ik bin de Ruud“, sagte er. Wir zahlten flugs unsere Einkäufe. Ruud musste seinen Sohn von den Süßigkeiten wegziehen, nicht ohne ihm ein süßes Versprechen für den nächsten Tag geben zu müssen.

      Unser Gespräch war unbemerkt belauscht worden. Der Neuankömmling vom Vortag hatte die Nacht am Strand verbracht und war nun auf der Suche nach einer Unterkunft und etwas zu essen. Er deckte sich mit etwas Essbarem ein und ging hinter den beiden Männern und dem Kind her. Ein Zelt besaß er nicht, deshalb war er darauf angewiesen, sich einen Platz für die nächste Nacht zu besorgen, wenn er nicht noch eine Nacht am Strand verbringen wollte.

      Ruud, sein Sohn und ich schlenderten mit unseren Einkäufen zurück. Unter den Pinien, die das Morgenlicht lustig auf den Weg und die vielen Zelte sprenkelten, war es erträglicher, als in der jetzt schon prallen Sonne. Ein sorgenfreier Morgen. Wir scherzten noch eine Weile. Ruud versuchte auf Deutsch zu erzählen, wo er her kam, ich verbesserte gelegentlich seine Aussprache. Er sprach besser Deutsch als ich Holländisch. Dann wünschten wir uns noch einen guten Tag und jeder bog zu seinem Stellplatz ab.

      Meine Freunde waren immer noch nicht wach, kein Laut drang aus den Zelten. Ich legte die Einkäufe leise auf dem Campingtisch ab und überlegte. Eine Runde über den Platz würde ich noch drehen, danach müssten sich die Langschläfer aus den Schlafsäcken pellen. Ich trat wieder zwischen unseren Zelten zurück auf den Weg und ging in die Richtung, aus der wir eben zu dritt gekommen waren. Ein Mann in meinem Alter, Mitte Dreißig oder vielleicht auch jünger, kam mir entgegen. Er trug einen Trekkingrucksack und sah aus, als sei er seit Tagen unterwegs, abgerissen, etwas dreckig. Er sprach mich an.

      „Hallo“, sagte er in akzentfreiem Deutsch, „Habt ihr vielleicht einen Schlafplatz frei?“

      „Nein“, erwiderte ich, „wir sind komplett belegt. Tut mir leid. Da müssen Sie weitersuchen.“

      „Ok, ich bin nicht so schlimm, wie ich aussehe“, scherzte er ohne ein Lächeln in den Augen, „Dann werde ich mal weiter fragen. Ich wollte ja nur mal fragen.“

      Er drehte sich um, ging wortlos weiter. Komischer Kerl, dachte ich und vergaß ihn auch direkt wieder. Mein Weg führte mich zum Strand, wo die Rettungsschwimmer auch ihren Tag begannen. Einige standen auf der Veranda des Gebäudes und hielten eine Teambesprechung ab. Ein anderer holte gerade ein sechsrädriges Strandfahrzeug aus der kleinen Garage und kam den Weg vom Strand hoch gefahren. Sand flog gegen meine Beine als er an mir vorbeifuhr. Cool sah der junge Kerl aus, wie er auf dem Gefährt den Weg hinaufbrauste. Ein Hauch von Bay Watch am französischen Atlantik.

      Der Ozean hatte sein Bild verändert. Der aufgekommene Wind zauberte weiße Gipfel auf die Wellen, die in dichter Folge auf den Strand zurollten. Die beiden Sandbänke, die in den letzten Tagen immer aus dem Wasser ragten, waren jetzt überspült. Man konnte von dort wo ich stand sehen, dass viel Sand von den Wellen bewegt wurde, das Türkis war einem Braunton gewichen. Die gefährlichen Unterströmungen gab es jedoch scheinbar noch nicht. Die Flagge, die hektisch an der Spitze des Mastes wehte, erlaubte das Schwimmen. Draußen auf dem Meer waren schon einige Surfer zu sehen. Ich beobachtete noch eine Weile ihr Spiel mit dem Wind und ging dann zum Zeltplatz. Jetzt waren die Freunde alle wach, sogar der Tisch war gedeckt.

      „Guten Morgen, na ihr Langschläfer, auch wach?“, grüßte ich.

      „Hallo Micha, guten Morgen, warum sollten wir denn nicht lange schlafen. Ist doch Urlaub.“ Sonja dehnte die ‚As’ in den Wörtern lange und schlafen

      „Ihr werdet es nicht glauben, es gibt richtige Wellen“, berichtete ich aufgeregt, „Ich war grade am Strand. Es sind auch schon Surfer draußen.“

      Die beiden Frauen bekamen große Augen. „Echt?“, fragte Simona.

      „Ja, der Wind kam heute Nacht auf. Bin kurz wach geworden und dann wieder eingeschlafen.“

      Sonja

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