Скачать книгу

in der Dämmerung von den gräulichen Häuserfassaden ab. Er schob einen Gegenstand auf die Rückbank des Wagens, drehte sich herum und blickte mich an. Mein Herz raste. In meinem Kopf zog sich alles zusammen zu einem schwarzen Loch. Der vermeintliche Verursacher all meiner Schmerzen, schön und unschuldig, jetzt sollte er mein Leid zu spüren bekommen. Meine Gedanken flogen undenkbar schnell, strudelten, und ich ertrank darin. Die Augen geschlossen, visierte ich ihn mit dem Lenkrad an, blinzelte, wusste nicht, ob ich ihn treffen wollte oder sollte oder lieber nur das Auto. Doch einem plötzlichen Impuls folgend peilte ich genau und drückte aufs Gaspedal – bis es knallte! Erschrocken setzte ich zurück. Die Seite seiner hübschen, blauen Karosse war eingeknüllt. So sieht es also aus, wenn solche Kraft auf ein Auto trifft, staunte ich verwundert. Paralysiert stand er zwischen Tür und Rahmen, ein Stück weit in die Knie gesackt, kreidebleich im Gesicht. Noch einmal setzte ich an, zögerte. Ich weiß nicht, wie sehr ich ihn wirklich treffen wollte, ich liebte ihn doch auch. Aber ich war so wütend und traurig, verletzt und verzweifelt und so hundeelendig einsam. Seit ich mit vierzehn von ihm träumte, wollte ich ihn zum Mann. Mein einziger Halt, den sollte ich auch noch verlieren?!

      Er rannte auf die andere Straßenseite.

      Warum kam er nicht zu mir? Enttäuschung wallte auf, brachte den Schmerz erneut zum Siedepunkt. Abermals rammte ich die Seite seines Autos. Dann setzte ich zurück und machte den Motor aus. Welch plötzliche Ruhe.

      Ich lehnte mich in den Sitz. In mir war es still. Ich schloss die Augen.

      Jemand öffnete die Fahrertür. Eine uniformierte Hand packte mich am Arm.

      „Kommen Sie mal raus da bitte!“

      Wie aus einer anderen Welt entstieg ich meinem Auto.

      „Würden Sie uns bitte folgen?“

      In dem Gebäude nebenan erkannte ich die Polizeiwache. Wahrscheinlich haben mir die Herren durchs Fenster zugeschaut. Leugnen ist sinnlos.

      Sie sperrten mich in die Ausnüchterungszelle, fuhren mich ein paar Stunden später nach Hause und kassierten bei der Gelegenheit meinen Führerschein ein.

      Meine große Liebe verzichtete darauf, mich wegen versuchten Totschlags anzuzeigen.

      Zum Glück! Sonst wäre ich vielleicht im Gefängnis gelandet.

      Steckten mörderische Veranlagungen in mir? Könnte ich morden?

      Nun hatte ich auch noch Angst vor mir selber. Und heute Abend soll ich auf der Bühne stehen und vor zweitausendfünfhundert Leuten singen. Mein Gott, das ist verrückt.

      Doch selbst in dieser Lebenslage machte ich meine Arbeit professionell. Das Publikum klatschte, die Jungs von der Band waren wie üblich mit mir zufrieden.

      Unser Sänger Will, ein Amerikaner, offerierte beiläufig: „Wenn du mal in die Staaten willst, sag mir Bescheid. Ich kenne da eine Menge Leute, bei denen kannst du wohnen.“

      Ja, das kam mir gerade recht, Hauptsache weit weg. Nach Amerika wollte ich schon immer, ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Insgeheim hegte ich die Hoffnung, einen Indianer zu treffen, in ein Gebiet vorzudringen, wo einer der letzten Stämme noch in seiner Urform lebt. Hundertprozentig würde ich bei ihnen bleiben, vorausgesetzt sie akzeptierten mich. Es war mir peinlich zur weißen Rasse zu gehören, die den Indianern ihren Lebensraum raubte, Keule gegen Atombombe eintauschte und sich zivilisiert nennt. Ich hasste die Weißen dafür, dass sie Völker entwurzelten und vernichteten, statt von ihnen zu lernen, wie man Mensch, Tier und Natur respektiert, eins wird mit der Schöpfung, wie man wieder Mensch wird, sich auf der Erde bewegt, ohne zu zerstören. Das wurde anscheinend im Laufe des Fortschritts vergessen.

      Will gab mir zwei Telefonnummern.

      Bevor ich meinen Flug buchte, rief ich in New York an. Eine Frau meldete sich. Ihre Stimme klang alt. Ich erklärte, ich hätte ihre Nummer von Will aus Deutschland und fragte, ob es ihr recht sei, wenn ich für ein paar Tage bei ihr einkehren würde, da ich niemanden kenne in Amerika.

      „No problem“, erwiderte sie freundlich, nicht im geringsten überrascht über meine spontane Anfrage, „you’re welcome!“

      Daraufhin buchte ich in den Flieger und trat meine Reise in die Vereinigten Staaten an.

      Am Flughafen von New York bestieg ich ein Taxi. Der Fahrer redete ununterbrochen auf mich ein. Man müsse sehr aufpassen in Amerika, vor allem, wenn man das erste Mal hier sei. Es gäbe viele linke Vögel, die wollen einem ans Leder, ja, selbst Taxifahrer würden die Touristen nur allzu gerne ausnehmen wie Weihnachtsgänse, man solle sehr vorsichtig sein und niemandem trauen. Er selbst sei griechischer Herkunft, also gar kein richtiger Amerikaner, aber er wisse Bescheid, und deshalb warne er Neuankömmlinge wie mich.

      Nachdem wir eine ganze Zeit lang gefahren sind, hielt er in einer Seitenstraße vor einem Mehrfamilienhaus.

      Ich bezahlte die sechzig Dollar, die er verlangte, und ging mit meiner Reisetasche ins Haus.

      Im dritten Stockwerk fand ich den Namen an der Haustür. Aufgeregt drückte ich den Klingelknopf. Hoffentlich ist überhaupt jemand zu Hause. Schon hörte ich Schritte über den Flur latschten. Die Tür öffnete sich. Vor mir stand die Mutter von Wills Freund. Unvorbereitet stutze ich: Sie war schwarz. Natürlich hatte ich schon Dunkelhäutige gesehen, nun aber sollte ich vorübergehend mit ihnen zusammen leben, auf dieselbe Toilette gehen, hautnah mit ihnen sein. Ich erschrak über mich selber, war ich etwa Rassist? Für einen Augenblick befielen mich Selbstzweifel, die glücklicherweise schnell meinem gesunden Menschenverstand wichen.

      Fünf Minuten später plauderte ich mit der beleibten Dame in ihrer Küche bei einer Tasse Tee über Gott und die Welt. Nach weiteren fünf Minuten hatte ich unsere unterschiedlichen Hautfarben gänzlich vergessen. Wir begegneten uns einfach als Menschen. Ich verzieh mir meine kurze Verwirrung.

      Als erstes fragte sie mich, wie viel Geld der Taxifahrer von mir genommen hätte.

      Ich nannte den Preis.

      “What? You paid sixty Dollar? The regular price is twenty-five, that fucking son of a bitch“.

       Dem Taxifahrer war ich auf den Leim gegangen. Er wiegte mich in Sicherheit und wusste, er würde mich betrügen. So musste ich Lehrgeld zahlen für meine Naivität.

      Die Mammy war wie eine Mutter zu mir. Ihr Sohn würde mir am nächsten Tag New York zeigen, alles, was ich sehen wolle, ich solle nur ja nicht alleine gehen, ich sähe ja, wie gefährlich es hier sei.

      Am nächsten Morgen lernte ich ihren Sohn kennen, einen hochgewachsenen, hageren Burschen mit Schnauzbart über vollen Lippen. Lässig lehnte er im Türrahmen, verkündete seine Mutter sei ausgegangen, wir wären jetzt allein in der Wohnung.

      „Soso, und du willst New York sehen. Was willst du denn sehen?“ Unverhohlen scannte er meine Körpermaße ab.

      „Den Broadway.“ Sein Blick bereitete mir Unbehagen.

      „Was hältst du davon, wenn wir Sex machen, bevor wir losgehen?“

      Mein Atem stockte. Blitzschnell suchte ich fieberhaft eine passende Antwort. Wenn ich nein sage, fällt er womöglich über mich her. Ich kenne den Mann nicht, bin alleine mit ihm. Dass er Wills Freund ist, nützt mir jetzt wenig. Ist er überhaupt Wills Freund? Egal. Auf keinen Fall soll ihn meine Unsicherheit provozieren. Ich rang mir ein gequältes Lächeln ab. „Nö, lass uns lieber losgehen.“

      Lange blickte er mich an, schweigend, etwas mitleidig, als sei ich einfach nur eine arme, dumme Sau, der nicht zu helfen ist. In breitem Amerikanisch ließ er ab: „Okay, du willst den Broadway sehen, ich werde dir den Broadway zeigen.“

      Per Taxi gelangten wir über die pittoreske Brooklyn Brücke nach Manhattan. In einer eher ärmlichen Wohngegend mit holperigem Pflaster hieß der Fahrer uns aussteigen. Will ging voran zu einer kleinen Kreuzung.

      „Please, Madame, this is the Broadway!“

      Wollte er mir einen dummen Streich spielen? Weil ich nicht mit ihm ins Bett gegangen bin? Dies konnte unmöglich der Broadway sein ohne Reklameschilder, Cabarets und

Скачать книгу